VII, Verschiedenes 11, 1912–1913, Seite 13

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Miscellaneons
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— Redlesische- Norteheste Wancher
Gelix Salten: Die Wege des Herrn. Novellen (Wien, Deutsch=Österreichischer Ver¬
7) lag, M 3.—). Die siebzehn teils kürzeren teils längeren Stücke dieses Bandes sind
ungleich auch im Wert. Manche erheben sich nicht über die empfindsam geistrei¬
chelnde Durchschnittsskizze unterm Strich, manche sind vorzüglich. Salten hat einen
schlimmen Feind seiner künstlerischen Entwicklung; das ist seine Geschicklichkeit,
die ihn verleitet sich in allen Sätteln gerecht zu zeigen und seine Begabung zu
industrialisieren. Wer eine so gute Hundeskizze schreiben kann wie die erste, die
dem Buch den Titel gab, sollte es verschmähen, ihr einen psychologisch aufgeputzten
Gemeinplatz folgen zu lassen wie die Audienz beim Minister oder novellistische
Kartenkunststücke wie den Orestes oder Tini Holms Aufstieg: Sachen, welche man
sich unwillkutt, von Schuitler behandelt denkt, der in seinen schwächsten Konstruk¬
tionen eleganter ist, und der auch Stosse, wie die Multer der Sängerin, oder den alten
Narren feiner behandelt hätte. Salten sollte zu stolz sein, um nach dem Ruhme eines
#ecomsehand-Schnitzler zu streben; er kann dafür manches, das Schnitzler versagt ist.
Ich rechne dazu nicht die Hinterbliebenen, bei welchem Stück die Schalen ziemlich
gleich stehen werden (abgesehen von der recht problematischen Form der Ich-Erzäh¬
lung); aber das Manhard=Zimmer oder die Erhebungen über die hundertjährige
Barbara Liebhardt, oder Begräbnis sind knapper Maupassant aus der besten Zeit,
Feiertag hingegen auf der Höhe des letzten, nicht mehr erfindenden, aber desto
schärfer beobachtenden Maupassant. Das letzte Stück: Die Geliebte Friedrichs des
Schönen dürfte, wenn das Entstehen der Monomanie feiner gezeichnet wäre — die
Sache spielt sich in zu kurzer Zeit ab — sogar an In Geur Simple von Flaubert er¬
innern. In solchen Stücken und nicht in dem mit aristokratischen Kreisen und
Problemen kokettierenden Kitsch liegt Saltens Stärke; ebensowenig in konstruierten
Künsteleien, wie den Srutzen bei Sedan. Ertüftelt und künstlich sind auch die drei
Erzählungen des Bandes „Das Schicksal der Agathe“ (Inselverlag,M 3.—),
in denen uns der Salten der kleinbürgerlichen Wiener Novelle als klassischer Prosa¬
schriftsteller maskiert überrascht. Ich kann dabei den Gedanken nicht loswerden,
daß er außer dem Genre Schnitzler und dem Genre Kleist auch das Genre Buchbinder
oder sagen wir Victor Leon führt; er liefert alles, er kann alles, er kann zuviel. Er
jongliert im „Schicksal der Agathe“ mit jenem st zifisch wienerischen Schicksals¬
begriff, der etwas von der erhabenen Notwendigk it eines Lotto=Quaternos hat.
„Heimfahrt“ ist ein entsetzlich spannender Hintertreppenromanextrakt, der ausgeht
wie das Hornberger Schießen, „König Dietrichs Befreiung“ ein von psychologischem
Tiefsinn schier zerplatzender #o#ausrent, der zusammenfällt, sobald man kritisch
hineinsticht. Bleibe im Lande und nähre uns redlich! möchte man Salten zurufen.
Schiele nicht nach rechts zu Arthur Schnitzler, noch nach links zu Jakob Wasser¬
mann und werde einseitig! Man muß nicht nur den Mut zu seiner Begabung,
sondern auch den zu seinem Genre haben. Eine gute moderne Geschichte ist uns
lieber als historische Stilübungen. Der Fall ist typisch. Viele unserer besten Er¬
zähler flüchten vor der Zeit und vor sich selbst in die Lüge einer Vergangenheit,
an die sie selbst nicht glauben, und schreiben Geschichten, die weder historisch noch.“
modern sind.
Josef Hofmiller.
München.
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