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box 41/4
Miscellaneeus
2.—
G 20
25. November 1912
2
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Bruch und Berlag:
##
Audolk Molle, Berlin
„Berliner Tageblatt
blatt zum
heitsstückchen „Folle entreprise“. Ein junger Mann probt mit
einen schöpferischen Gedanken hat, ihm nur durch eigene Begeisterung,
einer Schauspielerin ein Theaterstück. „Wenn Sie bei mir
ja selbst durch eigenen Fanatismus zum Erfolg verhelfen kann, dann
sind, sagt er ihr, „haben Sie nichts zu fürchten — von den
sind wir einig, ich spreche hauptsächlich gegen jenes unnütze Hetzen
anderen“
und Verhetzen, das eine bessere Ueberzeugung nie aufkommen läßt. Es
wurm.
Der „Lyfistrata“ steht die „Education du prince“ im Tone
ist nur ungemütlich und hat noch nie zu etwas Gutem geholfen.
erboten.!
nahe. Kein Drama, nur lose, aneinandergereihte Szenen. Ein
Ich: Was man gut oder nicht gut nennt, ist schon ein Stückchen
Buben¬
abgetakelter Kronprätendent eines Balkanreiches soll in die
Fanatismus für sich. Das kommt auf den Standpunkt an. Ketzer zu
Pariser Kokottenwelt eingeführt werden . .. zur Vervollstän¬
1ajor
verbrennen, hat man lange Zeit für sehr gut gehalten, heute gilt es
digung seiner Erziehung. Eine kostbare Figur ist seine Mutter.
Königin von Silistrien, ehemals Liebling des Puhlikums (als
für inhuman. Kriegführen halten heute noch sehr viele Menschen
dene ge¬
Sängerin) in Prag. Potipharszenen von schwer vergeßbarer
für durchaus nötig, vielleicht kommt eine Zeit, in der es allgemein
Gelegen¬
Heiterkeit. Andere, in denen zum Beispiel der Gerichtsvoll¬
auch für inhuman gilt.
ilkan die
zieher von dem historischen Schreibtische Beschlag nimmt, an
Sie: Wir wollen's hoffen. Heute sind wir jedenfalls sehr weit
dem die Könige von Silistrien schliefen. Eine Bacchanalszeue
davon entfernt und müssen auch mit jener Begeisterung oder jenem
irklicher
der Pariser Grisettenwelt voll funkelnden Witzes und ausge¬
Fanatismus rechnen, der Blutvergießen zum Vorwurf hat. Man mag
laubens¬
lassenster Laune. Vieles Pathetische, Dekorative mit herzlichem
es beklagen oder als Gelegenheit preisen, männlichen Mut zu zeigen,
Lachen gesehen. Der Gegner des Prinzen fällt nach dem Duel
jedenfalls weckt auch die Begeisterung edle und schöne Züge.
verehrte
in Ohnmacht: er ist nicht verwundet, nur stark betrunken. Da¬
Er: Spartanische Anwandlungen. In der Schule haben wir
Ganze von herzhafter Frechheit, von einem Mangel an
Wärme
verecundia, von einem prachtvoll heiteren Aufdecken der
gelernt, das schön zu finden, aber unsere ganze Kultur, unser ganzer
n sagen
Menschlichkeiten hinter all dem Getue. daß man sich herzlich
Fortschritt, zielt darauf, jede Gelegenheit dazu sorgfältig aus der
Reserve.
freut.“
Welt zu schaffen. Was andere Leute denken und glauben, ist ja so
den mo¬
Sein Bestes hat Donnay in den „Amanis“ gegeben. Zwei
gleichgültig, solange sie mich denken und glauben lassen, was ich mag.
ung ab.
Leute, die einander heiß und tief lieben. Romeo und Julia in
Ich: In dem „solange“ liegt der Fehler Ihrer Weltanschauung.
verliert
Paris. Trotzdem Claudine die Maitresse eines alternden Grafen
Dem Fanatiker ist es nicht gleichgültig, und dadurch müssen Sie auch
Lebens¬
ist und Betheuil auf der Straße warten muß, bis der andere
zum Verteidiger, das heißt zum Fanatiker Ihrer Meinung werden.
verschwunden ist. Sie lieben und streiten sich, versöhnen sich
Statt ruhig in Ihrem Klubsessel zu sitzen, müssen Sie sich eventuell
und hassen sich wieder. Heftige Eifersuchtsszenen, leidenschaft.
geisterte
hinter seinen Lederwänden verteidigen.
liche Erklärungen. Er will nicht mehr in diesem Lügengespinst
Er: Sie wollen mich nicht verstehen. Welchen Fanati#mus ich
verharren; sie kann ihr Kind nicht verlassen. Nach kurzem ge¬
deutsche
meinschaftlichen, aller Seligkeit vollen Aufenthalt im Süden
bekämpfe, will ich Ihnen in einer kleinen Geschichte erklären. Als
gnädige
reißt er sich schweren Herzens los um sich einer Expedition nach
Napoleon daranging, Aegypten zu erobern, machte ihm ein Derwisch
unter¬
Indochina anzuschließen. Ein Abschied, voll zitternder, leiden¬
viel zu schaffen, indem er die Massen sanatisierte und drohte, der
braucht
schaftlicher Erregung, voll Qual und Schmerz. „Lasse mich
Engel Gabriel werde sich mit erhobener Hand zwischen Erde und
dich betrachten, schluchzt Claudine. —. geh. geh. sag' mir
Sonne stellen, wenn die Araber die Fremden im Lande duldeten.
r. Des¬
nichts mehr!“
Nun war aber eine Sonnenfinsternis in Aussicht, auf die der
ein, die
Sie weint und leidet lange, lange Zeit. Nie, glaubt sie, wird
Derwisch mit dem Bild vom Engei Gabriel hingewiesen. Napoleon
ist das
sie das überwinden können. Der letzte Akt spielt achtzehn Mo¬
ließ ihn kommen und ihm durch Gelehrte die Sonnenfinsternis er¬
ternunft
nate später. Betheuil ist zurückgetehrt. Die beiden tresfen
klären. Er hörte aufmerksam zu, einmal, zweimal, dreimal, und
ergießt,
sich in Gesellschaft wieder. Er hat sich mit einem jungen
erwiderte jedesmal, wenn man ihn fragte, ob er die Sache einge¬
Mädchen verlobt und sie wird den alten Grafen heiraten. Man
Dann
sehen: „Es ist der Engel Gabriel, der sich drohend zwischen Erde und
ist geheilt und spricht freundlich, ja herzlich mit dem anderen.
ärmerei
Sie spricht, die Photographie der Braut des einst so Heißge¬
Sonne stellt.“ Da verlor Napoleon die Geduld und rief: „Das ist
liebten betrachtend: „Wenn ich jemals das Original treffe.
ein Fanatiker. Werst ihn hinaus und prügelt ihn durch!“
ie selbst
werde ich es von ganzem Herzen küssen.“
Sie: Aber die Prügel werden ihn auch nicht überzeugt haben.
intönige
#ine Szone #n## die Vergänglichkeit irdischer Regungen.
Ich: Nein. Das ist gerad dus Schlimme, daß die Mittel gegen
chritten,
shlbarer wird. Der Menschheit ganzer Jammer im engsten
den Fanatismus nicht be#ter, sind als der Fanatismus selbst. Doh
8 zu er¬
Kahmen. Es liegt Melancholie und Heiterkeit über dieser Ke¬
es ist spät, und wenn wir weiter sprechen, werden wir noch alle
ssen uns
mödie; sie ist bitter und grotesk, schmerzlich und lustig wie das
sanatisch.
as neue
Leben. Heineverse klingen beim Lesen im Ohr: Schattenküsse,
un wir
Schattenliebe; Schattenleben wunderbar
Liebesprobleme wersen auch fast alle übrigen Stürke
s in der
Flaurice Donnay.
Donnays auf. Sie zeigen alle Phasen des Geschlechtskampse¬
nuß ge¬
Nachbruck
mit allen seinen Ueberraschungen und heimlichen Wunden
Von Br. Theodor Reih (Glien). verboten.]
seinem Hinterhalt und seinen Siegen. Am Ende gibt es aber
gnödige
eigentlich nur besiegte Sieger.
An Deutschland schließt jede Komödie mit einer Heirat.
ans gar
Der junge Mann ist bei Donnay ein Typ wie bei Arthur
In Frankreich und im Leben beginnt sie damit. Stücke
en Ler¬
Schnitzler; es ist fast derselbe Typ. Er und seinesgleichen wer¬
##### dieser Art schreibt Maurice Donnay.
den mit „vieux jeunes gens“ am besten bezeichnet. C
Er begann im Chat=Noir, jenem berühmten Kabarett der
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25. November 1912
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Bruch und Berlag:
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Audolk Molle, Berlin
„Berliner Tageblatt
blatt zum
heitsstückchen „Folle entreprise“. Ein junger Mann probt mit
einen schöpferischen Gedanken hat, ihm nur durch eigene Begeisterung,
einer Schauspielerin ein Theaterstück. „Wenn Sie bei mir
ja selbst durch eigenen Fanatismus zum Erfolg verhelfen kann, dann
sind, sagt er ihr, „haben Sie nichts zu fürchten — von den
sind wir einig, ich spreche hauptsächlich gegen jenes unnütze Hetzen
anderen“
und Verhetzen, das eine bessere Ueberzeugung nie aufkommen läßt. Es
wurm.
Der „Lyfistrata“ steht die „Education du prince“ im Tone
ist nur ungemütlich und hat noch nie zu etwas Gutem geholfen.
erboten.!
nahe. Kein Drama, nur lose, aneinandergereihte Szenen. Ein
Ich: Was man gut oder nicht gut nennt, ist schon ein Stückchen
Buben¬
abgetakelter Kronprätendent eines Balkanreiches soll in die
Fanatismus für sich. Das kommt auf den Standpunkt an. Ketzer zu
Pariser Kokottenwelt eingeführt werden . .. zur Vervollstän¬
1ajor
verbrennen, hat man lange Zeit für sehr gut gehalten, heute gilt es
digung seiner Erziehung. Eine kostbare Figur ist seine Mutter.
Königin von Silistrien, ehemals Liebling des Puhlikums (als
für inhuman. Kriegführen halten heute noch sehr viele Menschen
dene ge¬
Sängerin) in Prag. Potipharszenen von schwer vergeßbarer
für durchaus nötig, vielleicht kommt eine Zeit, in der es allgemein
Gelegen¬
Heiterkeit. Andere, in denen zum Beispiel der Gerichtsvoll¬
auch für inhuman gilt.
ilkan die
zieher von dem historischen Schreibtische Beschlag nimmt, an
Sie: Wir wollen's hoffen. Heute sind wir jedenfalls sehr weit
dem die Könige von Silistrien schliefen. Eine Bacchanalszeue
davon entfernt und müssen auch mit jener Begeisterung oder jenem
irklicher
der Pariser Grisettenwelt voll funkelnden Witzes und ausge¬
Fanatismus rechnen, der Blutvergießen zum Vorwurf hat. Man mag
laubens¬
lassenster Laune. Vieles Pathetische, Dekorative mit herzlichem
es beklagen oder als Gelegenheit preisen, männlichen Mut zu zeigen,
Lachen gesehen. Der Gegner des Prinzen fällt nach dem Duel
jedenfalls weckt auch die Begeisterung edle und schöne Züge.
verehrte
in Ohnmacht: er ist nicht verwundet, nur stark betrunken. Da¬
Er: Spartanische Anwandlungen. In der Schule haben wir
Ganze von herzhafter Frechheit, von einem Mangel an
Wärme
verecundia, von einem prachtvoll heiteren Aufdecken der
gelernt, das schön zu finden, aber unsere ganze Kultur, unser ganzer
n sagen
Menschlichkeiten hinter all dem Getue. daß man sich herzlich
Fortschritt, zielt darauf, jede Gelegenheit dazu sorgfältig aus der
Reserve.
freut.“
Welt zu schaffen. Was andere Leute denken und glauben, ist ja so
den mo¬
Sein Bestes hat Donnay in den „Amanis“ gegeben. Zwei
gleichgültig, solange sie mich denken und glauben lassen, was ich mag.
ung ab.
Leute, die einander heiß und tief lieben. Romeo und Julia in
Ich: In dem „solange“ liegt der Fehler Ihrer Weltanschauung.
verliert
Paris. Trotzdem Claudine die Maitresse eines alternden Grafen
Dem Fanatiker ist es nicht gleichgültig, und dadurch müssen Sie auch
Lebens¬
ist und Betheuil auf der Straße warten muß, bis der andere
zum Verteidiger, das heißt zum Fanatiker Ihrer Meinung werden.
verschwunden ist. Sie lieben und streiten sich, versöhnen sich
Statt ruhig in Ihrem Klubsessel zu sitzen, müssen Sie sich eventuell
und hassen sich wieder. Heftige Eifersuchtsszenen, leidenschaft.
geisterte
hinter seinen Lederwänden verteidigen.
liche Erklärungen. Er will nicht mehr in diesem Lügengespinst
Er: Sie wollen mich nicht verstehen. Welchen Fanati#mus ich
verharren; sie kann ihr Kind nicht verlassen. Nach kurzem ge¬
deutsche
meinschaftlichen, aller Seligkeit vollen Aufenthalt im Süden
bekämpfe, will ich Ihnen in einer kleinen Geschichte erklären. Als
gnädige
reißt er sich schweren Herzens los um sich einer Expedition nach
Napoleon daranging, Aegypten zu erobern, machte ihm ein Derwisch
unter¬
Indochina anzuschließen. Ein Abschied, voll zitternder, leiden¬
viel zu schaffen, indem er die Massen sanatisierte und drohte, der
braucht
schaftlicher Erregung, voll Qual und Schmerz. „Lasse mich
Engel Gabriel werde sich mit erhobener Hand zwischen Erde und
dich betrachten, schluchzt Claudine. —. geh. geh. sag' mir
Sonne stellen, wenn die Araber die Fremden im Lande duldeten.
r. Des¬
nichts mehr!“
Nun war aber eine Sonnenfinsternis in Aussicht, auf die der
ein, die
Sie weint und leidet lange, lange Zeit. Nie, glaubt sie, wird
Derwisch mit dem Bild vom Engei Gabriel hingewiesen. Napoleon
ist das
sie das überwinden können. Der letzte Akt spielt achtzehn Mo¬
ließ ihn kommen und ihm durch Gelehrte die Sonnenfinsternis er¬
ternunft
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klären. Er hörte aufmerksam zu, einmal, zweimal, dreimal, und
ergießt,
sich in Gesellschaft wieder. Er hat sich mit einem jungen
erwiderte jedesmal, wenn man ihn fragte, ob er die Sache einge¬
Mädchen verlobt und sie wird den alten Grafen heiraten. Man
Dann
sehen: „Es ist der Engel Gabriel, der sich drohend zwischen Erde und
ist geheilt und spricht freundlich, ja herzlich mit dem anderen.
ärmerei
Sie spricht, die Photographie der Braut des einst so Heißge¬
Sonne stellt.“ Da verlor Napoleon die Geduld und rief: „Das ist
liebten betrachtend: „Wenn ich jemals das Original treffe.
ein Fanatiker. Werst ihn hinaus und prügelt ihn durch!“
ie selbst
werde ich es von ganzem Herzen küssen.“
Sie: Aber die Prügel werden ihn auch nicht überzeugt haben.
intönige
#ine Szone #n## die Vergänglichkeit irdischer Regungen.
Ich: Nein. Das ist gerad dus Schlimme, daß die Mittel gegen
chritten,
shlbarer wird. Der Menschheit ganzer Jammer im engsten
den Fanatismus nicht be#ter, sind als der Fanatismus selbst. Doh
8 zu er¬
Kahmen. Es liegt Melancholie und Heiterkeit über dieser Ke¬
es ist spät, und wenn wir weiter sprechen, werden wir noch alle
ssen uns
mödie; sie ist bitter und grotesk, schmerzlich und lustig wie das
sanatisch.
as neue
Leben. Heineverse klingen beim Lesen im Ohr: Schattenküsse,
un wir
Schattenliebe; Schattenleben wunderbar
Liebesprobleme wersen auch fast alle übrigen Stürke
s in der
Flaurice Donnay.
Donnays auf. Sie zeigen alle Phasen des Geschlechtskampse¬
nuß ge¬
Nachbruck
mit allen seinen Ueberraschungen und heimlichen Wunden
Von Br. Theodor Reih (Glien). verboten.]
seinem Hinterhalt und seinen Siegen. Am Ende gibt es aber
gnödige
eigentlich nur besiegte Sieger.
An Deutschland schließt jede Komödie mit einer Heirat.
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Der junge Mann ist bei Donnay ein Typ wie bei Arthur
In Frankreich und im Leben beginnt sie damit. Stücke
en Ler¬
Schnitzler; es ist fast derselbe Typ. Er und seinesgleichen wer¬
##### dieser Art schreibt Maurice Donnay.
den mit „vieux jeunes gens“ am besten bezeichnet. C
Er begann im Chat=Noir, jenem berühmten Kabarett der