VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 20

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Fackel, Wien
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vom:
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Besetzt
Der neue Literaturprofessor hielt seine Antrittsvorlesung auf
der bekannten Lehrkanzel Minors. Wenn die Neue Freie Presse
nicht aus Pietät für diese die Gedankengänge entstellt hat, so hat
der neue Literaturprofessor, der sich nicht etwa mit den Minne¬
sängern, sondern geradezu mit unserer Zeit befassen will, dieser
etwas nachgerühmt:
sie bietet uns den Vorteil, daß wir ihren Werdegang
vom Gesichtspunkte des Mitlebenden beurteilen können.
Das ist durchaus richtig, aber der neue Literaturprofessor
begründete es auch:
#e set undere Tei, die under lier; kennt wie keine undere.
Nämlich die Richtungen, die im Zeitalter des lenkbaren
Luftballons, des Automobils usw. zutage treten, =sind uns instinktiv
verständlich. Kein Zweifel: welche Zeit sollte so gut unsere Zeit
gekannt haben wie unsere Zeit? Und von der Zukunft weiß man nichts
in diesem Punkte. Der neue Literaturprofessor wird nun den Versuch
machen, aus der Literatur nachzuweisen, wie aus dem Volk von
Denkern und Empfindern ein politisch und wirtschaftlich tätiges
geworden ist.: Das kann ihm an Proben aus den bei Staackmann
erscheinenden Autoren unschwer gelingen.
Der strengen Wissenschaft entziehen sich unbedingt die letzten
drei Jahrzehnte.
Der neue Literaturprofessor aber verspricht mildere Saiten
aufzuziehen.
Die Wissenschaft muß ihr Objekt tôten, um es für die Wissen¬
schaft wieder zu erwecken und lebendig zu machen.
Er steht aber nicht auf dem bekannten Standpunkt: Tôte
sie!, sondern fühlt vielmehr
das Bedürfnis, in einem Gesamtbilde des jetzigen Lebens das Chaos der
Gegenwart in einen Kosmos zu verwandeln, ohne dabei jedoch in die
Räder der Entwicklung hineingreifen zu wollen.
Das ist anständig. Trotzdem will er sich
an sie heranmachen, aber mit dem Vorbehalt, daß die strengsten
Gesetze der Wissenschaft hier nicht gelten.
Das tut mir leid für Schnitzler, den ich mir schon gern
sub specie aeternitatis angeschaut hätte. Aber von allem kann man
nicht haben und noblesse oblige, sagt Karpath.
Im letzten Teile des Einführungsvortrages beleuchtete Professor
Brecht die Entwicklung Deutschlands durch die Freiheitskriege und
vertrat die Auffassung, daß nicht Leipzig, sondern Jena die geistige
Wiedergeburt herbeigeführt habe, indem nicht die Wirkung, sondern
die Gedankenauslösung die Richtung erzeugt.
Das ist mir nicht ganz klar, aber ich bin der Ansicht, daß
weder Leipzig noch Jena, sondern Budapest die geistige Wieder¬
geburt herbeigeführt habe. Der neue Literaturprofessor indes bleibt
bei seiner Behauptung, daß nicht die Wirkung, sondern die
Gedankenauslösung die Richtung erzeugt:
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Grazer Volksblatt, Gras
Ausschnitt aus:
8-J0L 15 Abendblatt
vom:
Ein „guter“ Roman
Theater, Kunst und Musik.
liederlichster, womöglich
Lebensführung darstell
Wider den literarischen Schmutz!
„Probleme“ zu bieten,
Zu diesem, leider nicht in gutem Sinne aktuellen Thema
Sittlichen haben, so n#
schreibt der Berliner „Reichsbote“ einige kräftige Worte, die in
lehnt. Ein „wahrhaft
weitesten Kreisen, namentlich der Erzieher, beachtet werden soll¬
ruf und für zeitgemäß
ten. Die Erkenntnis, daß weitaus die Mehrzahl der in Massen
keit zu „besingen“, wol
produzierten belletristischen Bücher die Wirkung haben, „die
daß das mit wohlbewu
Seele hinab in den Schmutz zu ziehen“, gipfelt in dem Rufe:
schäft geschieht. Schwin
Los vomschlechten Buche! Dann heißt es hierzu weiter:
Allheilmittel von Kur
„Über das Kapitel der Schundliteratur ist in den letzten Jahren
mit Nachdruck und E
mehr als genug gesagt worden, aber geholfen hat es wenig und
bedrohen. Aber zur Ge
zwar deshalb wenig, weil das Hauptstück, die Romanlitera¬
Anpreisung von Liter
tur, die der Aufnahme in die sogenannte Nationalliteratur für
Gesundheit verwüsten,
würdig erachtet wird, jenseits jeder ihre Verbreitung eindäm¬
Anpreisungen beschaffe
menden Anfechtung steht. Romane, Novellen, Erzählungen und
Aufsatze von Julius v
ähnliche Hervorbringungen werden heute am meisten gelesen.
besliteratur“ entnomm
Sie sind die Hauptträger des Giftes, das durch Bücher verbreitet
die internationale, stat
wird. Aber sie erfreuen sich sorgsamer Pflege und Obhut. Als
tende Kamaraderie bei
Erzeugnisse der „ästhetischen Geisteskultur“, als „Dokumente
einem Wiener Blatte
der deutschen Bildung“ gelten sie als unantastbar. Unsere ge¬
ständigkeit“ also bezeug
samte liberale Presse und die noch weiter links stehende
Raffinement, die sicher
schätzen die Romanschriftsteller, wenn sie nur für die Bearbeitung
„im Unanständigen“ ei
des Schmutzes ein gewisses Maß formeller Begabung betätigen,
rigen Boden nicht zu
als Literaturgrößen, als Künstler, deren Erzeugnisse nicht mit
tyationen nicht ins Las
demselben Maßstabe gemessen werden dürfen wie gewöhnliche
für Herren“ zu vergröb
Hintertreppenromane, worin dieselben schmutzigen Stoffe mit
Aupreisungsverfahren,
dem gleichen Aufgebot von Zynismus, nur etwas weniger
für einen Lyriker, der
„fein“ vertrieben werden. Die Mehrzahl der Romane, zu
„Die singende Sünde
alllermeist die meistgelesenen und meistgepriesenen, haben heute
er sich nicht scheut, Di
zum Inhalt die „freie“, ungebundene Geschlechtsliebe. Die Ro¬
nennen, ja zu preisen,
manliteratur scheint fast nur noch dazu da zu sein, die Sinn¬
denn sein neuer Gedicht
lichkeit und die Frivolität in Worten und Werken mit „psycho¬
für aber ein Buch, das
logischem Raffinement“ zu schildern und anzuregen, besonders
zücken muß, weil es nich
in ihrer Entartung und Verirrung. Die bekanntesten Romane,
vor allem — singend.
für die sich die Reklame zu Handlangerdiensten verpflichtet
lautet: „Die Schilderun
fühlt, sind Kuppler der Unzucht und der Unnatur. Stoffes dürfte der Rom