VII, Verschiedenes 11, 1913–1915, Seite 48


„Teplitzer Zaitung Nr-18.

Ein Protest Arthur S#
Arthur Schnitzler veröffentlicht in
einem Schweizer Blatte die folgende
Erklärung:
Wie ich durch Freunde in Rußland auf einem
Umweg erfahre, sind in Petersburger Blättern an¬
gebliche Aeußerungen von mir über Tolstoi, Maeter¬
linck, Anatole France, Shakespeare von so phantasti¬
scher Unsinnigkeit veröffentlicht worden, wie sie mir
zu normalen Zeiten von niemandem, der mich kennt,
zugetraut würden, die aber in unserer vom Ueber¬
maß des Hasses und vom Wahnsinn der Lüge ver¬
wirrten Welt immerhin auch sonst urteilsfähigen
Menschen nicht unglaubhaft erscheinen könnten.
Solche Verhetzungsversuche, wie sie weit hinter
den Fronten der ehrlich kämpfenden Armeen im
wohlgedeckten Gelände unverantwort¬
licher Publizistik gefahrlos unternommen wer¬
den, scheinen ja eine besondere, und vielleicht die
widerwärtigste Eigentümlichkeit dieses Krieges zu
betenten. Auch der lächerlichste dieser Versuche,
wenn er gelingt, könnte späteren Verständigungen
zwischen einzelnen, auf die es ankomme. Schwierig¬
keiten bereiten; daher möchte es leicht als ein. Fehler
erscheinen, wenn ich diesen (etwa um seiner be¬
sonderen Albernheit willen) auf sich beruhen ließe.
Der Wortlaut der mir zugeschriebenen Aeuße¬
rungen ist mir noch nicht bekannt; ihr Sinn und
die Tatsache der Veröffentlichung stehen unbezweisel¬
bar fest. Da es unter den gegenwärtigen Verhält¬
nissen lange dauern kann, ehe ich in den Besitz des
Originalartikels gelange, muß ich mich vorläufig auf
die Erklärung beschränken, daß Aeußerungen der Art,
wie sie in jener Publikation offenbar mitgeteilt sind,
von meiner Seite niemals gefallen sind, nach meiner
Gesinnung niemals, weder im Frieden noch im
Kriege, hätten fallen können. Es ist freilich etwas
beschämend für jemanden, der sich zeitlebens vom
Pathos der Selbstverständlichkeiten leidlich fernzu¬
halten gewußt hat, erst ausdrücklich versichern zu
müssen, daß ihm das Schöne jederzeit schön,
das Große jederzeit groß bleiben
wird — auch wenn es Nationen angehört oder
innerhalb von Nationen geworden und gewachsen ist,
mit denen sein Vaterland eben in einen Krieg ver¬
wickelt ist; aber — der zahlreichen Menschen ge¬
denkend, die sich in dieser Epoche auch zu schlimmeren
Arten von Selbstverleugnung verstehen müssen als
zu kleinen Geschmacklosigkeiten —, stehe ich nicht
an, es hier niederzuschreiben, daß ich Tolstoi
(einen Russen!) für eines der gewaltigsten dichteri¬
schen Ingenien halte, die je über den Erdkreis ge¬
schritten sind; — daß ich Anatole France (einen
Franzosen!) nach wie vor als einen der vornehm¬
sten Geister der Gegenwart und zugleich als einen
Erzähler höchsten Ranges erkenne; und daß Mae¬
terlincks (eines Belgiers!) naturwissenschaftlich
poctisierende Rhapsodien sowie viele seiner kleinen
Dramen, auch dann von ihrem seltsam edlen Reiz nicht
das geringste für mich verlören,, wenn er wirklich all
das krause Zeug über Deutschland geschrieben hätte, das
neuerdings unter seinem Namen durch die Zeitungen
ging. Soll ich mich nun auch noch öffentlich mit
allem Ernst zu Shakespeare bekennen (dem
Engländer! ja, denn er ist in Stratford geboren) ¬
oder fängt es selbst den Zweiflern zu dämmern an,
daß mir Shakespeare, auch wenn dieser Krieg dreißig
Jahre dauerte, immer Shakespeare bedeuten wird und
erläßt man es mir für das Unvergleichliche und
Einzige nach Worten des Preises und der Bewun¬
derung zu suchen?
So mag denn die leidige Angelegenheit für
diesmal als abgetan gelten. Doch später einmal,
wenn der Friede wieder da ist, wollen wir uns mit
schmerzlichem Staunen erinnern, daß es eine Zeit gab,
in der wir genötigt waren, über die Grenzen hinüber
Mortie
#l #11

9. Seite.
MATTTONTS
EINZIG
BeS
M SEINER
ATBEWAHNTES
MAIVTISCHEN K
FAMILIEN-
ESCHAFFENNEIT.
GETRANK.

SURERR ATUE
CCERBRO
Depot in Teplitz-Schönau bei A. Mitreiter.

jeder unsere Heimat geliebt haben, daß wir aber
trotzdem Gerechtigkeit, Urteil und Dankbarkeit nie¬
mals verlernt, daß wir, um es kurz zu sagen, auch in
dieser ungeheuren Epoche der Verwirrung niemals.
gänzlich den Verstand verloren haben.
Dezember 1914. Arthur Schnitzler.
Afghanistau.
(Nachdruck verboten.)
Von Dr. Julius Pasig.
An der Grenze von Afghanistan und Russisch¬
Zentralasien wird bereits gekämpft, und im nörd¬
lichen Persien, in der Provinz Aserbeidschan, die
von den Russen schon seit Jahren als russische Pro¬
vinz behandelt wird, steht der Ausbruch einer Re¬
volution gegen die russischen Eindringlinge bevor.
Afghanistan macht jetzt Ernst, die Ketten der Ab¬
hängigkeit und halben Abhängigkeit, in der viele Völ¬
ker Asiens gehalten werden, zu sprengen. Der Emir
hat eine starke Streitmacht regulärer Truppen, die
mach Konstantinopeler Meldungen 400.000 Mann be¬
tragen soll, unter dem Oberbefehl seines Bruders
Nasr=Allah Khan gegen die Stadt Peschawar, den
Schlüssel Indiens, entsendet, und eine andere Armee,
die aus 300.000 Mann bestehen soll, unter dem Ober¬
befehl des Thronfolgers, marschiert gegen Rußland.
Der kluge und energische Emir Habib=Ullah
Khan, der seit 1904 regiert, wartet seit Jahren auf
eine passende Gelegenheit, sich der englisch=russischen
Vormundschaft zu entledigen. Die geographische
Lage Afghanistans inmitten großer und wichtiger
englischer und russischer Besitzungen, Schutzherrschaf¬
ten und Interessengebiete hat Afghanistan zum
Schauplatz ungezählter blutiger Kämpfe hauptsächlich
mit England gemacht, das sich das Land zur Abwehr
der russischen Anschläge auf Indien sichern wollte.
England schaltete schließlich als Schutzherr über
Afghanistan; es zahlte dem Emir eine Jahresrente
von 1.200.000 Mark, schränkte aber dafür dessen Ho¬
heitsrechte in vielen wesentlichen Punkten ein. Im
Jahre 1907 schlossen England und Rußland den be¬
rühmten asiatischen Vertrag, der die Selbständigkeit
Persiens zerstörte und auch den Rest der Selbständig¬
keit Afghanistans bedrohte.
Hatten des jetzigen Emirs Vorfahren, insbeson¬
dere sein Vater und Vorgänger Abd=ur=Rahman, die
Engländer dadurch abzuschütteln versucht, daß sie blu¬
tige und langwierige Aufstände im westlichen Indien,
in demselben Gebiet von Peschawar, in das der Emir
jetzt eine starke Streitmacht entsendet hat, anzettel¬
ten oder unterstützten, so hat Habib=Ullah Khan den
direkten „Weg des Angriffs vorgezogen. Aber auch
Rußland will er durch einen Einfall in Turkestan
zwingen, von weiteren Anschlägen auf die Selbstän¬
digkeit Afghanistans abzustehen. Peschawar ist frü¬
AeLughanistänischee Gebtet gewesen, und die dort