VII, Verschiedenes 11, 1915–1917, Seite 24

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Miscellaneous
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Glashüttenmärchen von der Pippa,
die Neue Wiener
Bühne bringt ganz ausgezeichnete Ihren Aufführungen
zuwege, die Residenzbühne hat es mit ein paar hochlitera¬
rischen Wiederbelebungen vergessener Stücke versucht. Der
Spielplan aller dieser Bühnen verwässert sich allerdings
rasch immer wieder mit allerlei seichtem Zeug. Immerhin
sind solche Ansätze bemerkenswert und jedem dieser Bul¬
nenleiter kann man beruhigt mehr Umsicht, schöpferische
Kraft, mehr literarischen Verstand zusprechen als der
Leitung des Burgtheaters, dieses großen, mit allen Mit¬
teln so reich ausgestatteten Hauses, das heute glücklich das
uninteressanteste Theater von Wien geworden ist. Alles
ist hier prunkvoll, alles prächtig, nirgends tönen die Worte
so hoch, wie hier, nirgends pranget das Mahl königliche
Gelage so getreu, wie hier. Gewiß, hier ist Stätte, wo
jegliche Theateraufgabe befriedigend gelöst zu werden ver¬
mag. Aber auch nicht mehr als eben befriedigend. Dies
ist das Haus der Tadellosigkeiten. Hier beherrschen die
Schauspieler ihre Rollen immer aufs Beste, hier arbeitet
der Szenenwechsel mit bewunderungswürdiger Raschheit.
Immer ist die Maschine gut geölt, alles klappt und daß
einmal an einer Wand ein Bild schief gehangen hätte, ist
kaum jemandem erinnerlich. Doch, fast ebenso schwer fällt
es uns heute schon, uns des Abends zu erinnern, an dem
in diesem Prachtbau zum letzten Male wirkliche Kunstbe¬
geisterung ihre rauschenden Flügel entfaltete. Gewiß, solche
Abende sind heute überhaupt schon recht selten geworden.
Aber unschwer könnte man von jedem der kleineren
Wiener Schauspielhäuser solche Abende aus der Erinne¬
rung aufzählen, von jeder dieser kleinen Bühnen, die mit
ewigen Sorgen zu kämpfen haben, in denen die Bilder
stetig schief an den Wänden hängen, in denen die Schau¬
spieler häufig genug ihre Rollen nicht völlig beherrschen.
Jede von ihnen hat wenigstens einmal im Jahre ihren
Ehrenabend. Wann aber hat das Burgtheater seinen
letzten Ehrenabend gehabt? Wann hat man hier zum letzten
Male jenes Geistes letzten Hauch verspürt, der einst in
mächtiger Fülle dieses ganze Haus beherrschte Gegen¬
wärtig erschöpfen sich die einst unerschöpflichen künstleri¬
schen Kräfte schon in der Darstellung Schnitzlerischer Witze¬
leien. Und kommt einmal ein Großer zu Worte, so zeigt
es sich, daß sein großes Wort, vom Munde des Burg¬
theaters ausgesprochen, kläglich klein geworden ist. Gegen¬
wärtig ist eine Neuaufführung aller Grillparzerdranten
im Werden. Der Zyklus hat unlängst so ledern, so mittel¬
mäßig begonnen, daß man der Fortsetzung mit bangen
Befürchtungen entgegensehen muß. Besser bliebe Grill¬
parzer auch weiterhin unaufgeführt, als so unfreudig auf¬
geführt zu werden. Für starke, feurige Geister, für hochbe¬
schwingte Werke ist hier kein Boden mehr. Eingesagt in
den Goldschrank am Ring liegt die große Theatervergan¬
genheit des alten Wien. Der neue Ruhm der Theaterstadt
ist den Vorstadtbühnen in Pacht gegeben worden.
An Grillparzers Todestag wieder einmal in seiner
hilosophischen und geschichtlichen Schriften geblättert. Da
inden sich Stellen, die nachzulesen recht zeitgemäß ist. Da
ist Grillparzers Entwurf des Ehrenburgerdiploms der
Stadt Wien für den Feldmarschall Radetzky. Darin heißt
es (der Entwurf stammt vom 7. August 1848) im Hin¬
blicke auf den siegreichen italienischen Feldzug: „Auf die
höchste Stufe des Krieger= und Bürgerruhmes hob den
Grafen Josef v. Radetzky aber die jüngste Vergangenheit,
als sein Name und sein Heer der alleinige Ausdruck von
der einst gefürchteten Macht Oesterreichs waren, als er in
zwölf Tagen, deren jeder ein Sieg, einem jahrelang vorbe¬
reiteten türkischen Ueberfallskriege ein Ende machte und
sich jenen Helden anreihte, die als Wiederhersteller des
Vaterlandes im Gedächtnisse der spätesten Enkel fortleben.
Die Meinungen der Zeit verschlingt die Zeit, was aber
alle Zeiten groß genannt haben, steht unerschüttert in
jedem Wechsel.“ Ein vom 18. August 1851 stammender Ent¬
wurf eines Trinkspruches auf Kaiser Franz Josef I. fängt
an: „Ich trinke die Gesundheit unseres Kaisers und Herrn,
als eines Leuchtturms in unserer sturmbewegten Zeit, als
einer Fahne, um die sich alle Rechtgesinnten scharen mögen,
um nicht vereinzelt zu unterliegen in dem Streite gegen
den Wahnsinn und das Verbrechen“ und schließt: „Glück
und Segen über Franz Josef, den Gott für uns gewählt,
und den unsere Herzen bestätigt
Und an anderen Stellen findet sich eine Anmerkung,
die jedem, über den Verfall des heutigen Theaters Trauri¬
gen den schwachen Trost bieten mag, daß der Geist, der
heute unsere Kunststätten versucht, der heute die dumm¬
sten Operetten in mehrhundertfacher Wiederholung er¬
zwingt, daß dieser selbe Geist schon einen Grillparzer
seufzen machte: „Es ist merkwürdig, daß in einer Zeit, die
sich für so gebildet hält, die Albernheit, ja der Blödsinn
oben auf ist.“ Um wie viel gebildeter aber hält sich erst
unsere Zeit, als jene, und um wie viel tiefer ist sie in die
Herrschaft der Albernheit, ja des Blödsinns geraten