VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 53

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Schnitzler's Death Schnitzler's Death
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Donnerstag, 22. Oktober 1931. Donnerstag, 22. Oktober 1931.
Arthur Schnitzler gestorben. Arthur Schnitzler gestorben.
Wien, 21. Oktober. Der Dichter Arthur Schultzler Wien, 21. Oktober. Der Dichter Arthur Schultzler
ist heute nachmittags einem Herzschlag erlegen. Er ist am ist heute nachmittags einem Herzschlag erlegen. Er ist am
25. Mai 1862 geboren, stand also im 70. Lebensjahre. 25. Mai 1862 geboren, stand also im 70. Lebensjahre.
Seine Tochter hat bekanntlich vor zwei Jahren Selbstmord Seine Tochter hat bekanntlich vor zwei Jahren Selbstmord
verübt, ein Schlag, von dem sich Schnitzler nie erholen verübt, ein Schlag, von dem sich Schnitzler nie erholen
konnte. Außerdem soll Schnitzler bei den verschiedenen konnte. Außerdem soll Schnitzler bei den verschiedenen
Bankzusammenbrüchen, so auch bei der Amstelbank, einen Bankzusammenbrüchen, so auch bei der Amstelbank, einen
großen Teil seines Vermögens verloren haben. großen Teil seines Vermögens verloren haben.
Arthur Schnitzler, Sohn des ord. Professors an der Wiener Arthur Schnitzler, Sohn des ord. Professors an der Wiener
Universität, Dr. Johann Schnitzler, eines Laryngologen von Universität, Dr. Johann Schnitzler, eines Laryngologen von
Bedeutung, studierte gleichfalls Medizin in Wien, promovierte Bedeutung, studierte gleichfalls Medizin in Wien, promovierte
1885 und war, nachdem er auf verschiedenen Kliniken prakti¬ 1885 und war, nachdem er auf verschiedenen Kliniken prakti¬
ziert und auch eine Reise zum Studium der hygienischen Ein¬ ziert und auch eine Reise zum Studium der hygienischen Ein¬
richtungen nach London und Paris unternommen hatte, bis richtungen nach London und Paris unternommen hatte, bis
1893 Assistent seines Vaters an der Wiener allgemeinen Poli¬ 1893 Assistent seines Vaters an der Wiener allgemeinen Poli¬
klinik. Den militärärztlichen Dienst mußte er nach der Publi¬ klinik. Den militärärztlichen Dienst mußte er nach der Publi¬
kation seines „Leutnant Gustl“ aufgeben und bald widmete kation seines „Leutnant Gustl“ aufgeben und bald widmete
er sich ausschließlich der Literatur. er sich ausschließlich der Literatur.
Die Atmosphäre der Geistigkeit, die in Schnitzlers Vater¬ Die Atmosphäre der Geistigkeit, die in Schnitzlers Vater¬
haus herrschte, die enge Berührung mit der sogenannten guten haus herrschte, die enge Berührung mit der sogenannten guten
Gesellschaft der 80er= und 90er=Jahre, einer eigenartigen, spe¬ Gesellschaft der 80er= und 90er=Jahre, einer eigenartigen, spe¬
zifisch österreichischen Mischung von heterogenen Elementen, zifisch österreichischen Mischung von heterogenen Elementen,
von Gelehrten, Großkaufleuten, Advokaten, Künstlern, Ban¬ von Gelehrten, Großkaufleuten, Advokaten, Künstlern, Ban¬
kiers u. a., der enge Kontakt mit den Größen der „ersten deut¬ kiers u. a., der enge Kontakt mit den Größen der „ersten deut¬
schen Bühne", des Burgtheaters, die in seines Vaters Hause schen Bühne", des Burgtheaters, die in seines Vaters Hause
aus- und eingingen, beeinflußten Schnitzlers Entwicklung; die¬ aus- und eingingen, beeinflußten Schnitzlers Entwicklung; die¬
ses Jugendmilieu drückt seinem späteren Schaffen nicht weni¬ ses Jugendmilieu drückt seinem späteren Schaffen nicht weni¬
ger den Stempel auf wie sein ärztlicher Beruf. ger den Stempel auf wie sein ärztlicher Beruf.
Von seinen Werken sind besonders erwähnenswert: „Ana¬ Von seinen Werken sind besonders erwähnenswert: „Ana¬
tol", eine Reihe von dramatischen Dialogen, „Das Märchen", tol", eine Reihe von dramatischen Dialogen, „Das Märchen",
1893, „Liebelei", dessen Uraufführung (1895) am Burgtheater 1893, „Liebelei", dessen Uraufführung (1895) am Burgtheater
Schnitzlers erster großer Bühnenerfolg war. In Wien spielt Schnitzlers erster großer Bühnenerfolg war. In Wien spielt
auch das nächste Stück: „Freiwild" (1896). In diese Jahre auch das nächste Stück: „Freiwild" (1896). In diese Jahre
fällt die Entstehung des „Reigen". Schnitzlers Werke reihen fällt die Entstehung des „Reigen". Schnitzlers Werke reihen
sich nun in rascher Folge. Es erschienen: „Das Vermächtnis“ sich nun in rascher Folge. Es erschienen: „Das Vermächtnis“
(1897), die drei Einakter: „Paracelsus", „Die Gefährtin", „Der (1897), die drei Einakter: „Paracelsus", „Die Gefährtin", „Der
grüne Kakadu" (1898), sein Drama: „Der Schleier der Bea¬ grüne Kakadu" (1898), sein Drama: „Der Schleier der Bea¬
trice" (1899), dann der Einakterzyklus: „Lebendige Stunden", trice" (1899), dann der Einakterzyklus: „Lebendige Stunden",
woraus besonders „Literatur“ hervorragt (1901), das Drama woraus besonders „Literatur“ hervorragt (1901), das Drama
„Der einsame Weg“ (1903), die Komödie „Zwischenspiel“ „Der einsame Weg“ (1903), die Komödie „Zwischenspiel“
(1904;) ferner im gleichen Jahre eine neue Einakterreihe: (1904;) ferner im gleichen Jahre eine neue Einakterreihe:
„Marionetten". „Der junge Medardus", dessen Titelrolle, dem „Marionetten". „Der junge Medardus", dessen Titelrolle, dem
großen Josef Kainz zugedacht, dem Künstler nicht mehr zu großen Josef Kainz zugedacht, dem Künstler nicht mehr zu
spielen vergönnt war, ist ein Drama aus den Tagen der Be¬ spielen vergönnt war, ist ein Drama aus den Tagen der Be¬
setzung Wiens durch Napoleon I. (erschienen 1909). Diesem setzung Wiens durch Napoleon I. (erschienen 1909). Diesem
Werke folgte „Das weite Land" (1910), eine Tragikomödie des Werke folgte „Das weite Land" (1910), eine Tragikomödie des
Alterns und 1912 „Professor Behardi", ein Schauspiel aus Alterns und 1912 „Professor Behardi", ein Schauspiel aus
dem ärztlichen Beruf, bei seiner Aufführung von politischen dem ärztlichen Beruf, bei seiner Aufführung von politischen
Gruppen vielumstritten. Im Jahre 1915 erschienen drei Ein¬ Gruppen vielumstritten. Im Jahre 1915 erschienen drei Ein¬
akter unter dem Titel: „Komödie der Worte", 1917 das akter unter dem Titel: „Komödie der Worte", 1917 das
schwache „Fink und Fliederbusch", 1919 „Die Schwestern oder schwache „Fink und Fliederbusch", 1919 „Die Schwestern oder
Casanova in Spa", 1924 „Komödie der Verführung" und Casanova in Spa", 1924 „Komödie der Verführung" und
1925 die dramatische Dichtung: „Der Gang zum Weiher“. 1925 die dramatische Dichtung: „Der Gang zum Weiher“.
Schnitzlers Eigenart und großes Talent offenbart sich nicht Schnitzlers Eigenart und großes Talent offenbart sich nicht
weniger in seinen erzählenden Werken. Schnitzlers neueste er¬ weniger in seinen erzählenden Werken. Schnitzlers neueste er¬
zählende Werke sind: „Frl. Else" (1924), eine in ihrer schwieri¬ zählende Werke sind: „Frl. Else" (1924), eine in ihrer schwieri¬
gen Form geradezu meisterhafte Novelle, „Die Frau des Rich¬ gen Form geradezu meisterhafte Novelle, „Die Frau des Rich¬
ters“ (1925) und „Traumnovelle“ (1926). Alle diese Werke ters“ (1925) und „Traumnovelle“ (1926). Alle diese Werke
sind durchwegs kürzere Arbeiten erzählenden Inhalts, Novel¬ sind durchwegs kürzere Arbeiten erzählenden Inhalts, Novel¬
len und Noveletten. „Der Weg ins Freie“, eine groß gesehene len und Noveletten. „Der Weg ins Freie“, eine groß gesehene
Synthese des geistigen Wiener Lebens zur Zeit der letzten Synthese des geistigen Wiener Lebens zur Zeit der letzten
Jahrhundertwende, erschien 1908 Jahrhundertwende, erschien 1908
Es ist ein charakteristisches Merkmal der so zahlreichen Es ist ein charakteristisches Merkmal der so zahlreichen
Werke Schnitzlers, die dem Wiener Milieu entstammen und Werke Schnitzlers, die dem Wiener Milieu entstammen und
sauch solcher, die erst in den allerletzten Jahren erschienen sind, sauch solcher, die erst in den allerletzten Jahren erschienen sind,
daß sie zumeist Bilder der Zeit aus des Dichters jüngeren daß sie zumeist Bilder der Zeit aus des Dichters jüngeren
Jahren geben. Einer viel sorgloseren und unbekümmerteren Jahren geben. Einer viel sorgloseren und unbekümmerteren
Welt, als es die heutige ist, eines satten und dabei schöngeisti¬ Welt, als es die heutige ist, eines satten und dabei schöngeisti¬
gen Bürgertums, an das soziale Probleme selten herantreten. gen Bürgertums, an das soziale Probleme selten herantreten.
Selten hallen seine Werke in einem schrillen Ton aus, sie ver¬ Selten hallen seine Werke in einem schrillen Ton aus, sie ver¬
klingen und verdämmern. Seine weiche und dabei oft spiele¬ klingen und verdämmern. Seine weiche und dabei oft spiele¬
rische Behandlung der Probleme läßt Schnitzler als den aus¬ rische Behandlung der Probleme läßt Schnitzler als den aus¬
gesprochenen österreichischen Dichter erscheinen, den Dichter gesprochenen österreichischen Dichter erscheinen, den Dichter
eines vergangenen Wien, dessen Landschaft und 1 gebung ir eines vergangenen Wien, dessen Landschaft und 1 gebung ir
seinen Werken lebendig wird. seinen Werken lebendig wird.