VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 93

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Schnitzler's Death Schnitzler's Death
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Arthur Schnitzler, der bekannte öster¬ Arthur Schnitzler, der bekannte öster¬
reichische Dramatiker und Novellist, ist reichische Dramatiker und Novellist, ist
gestern abend gegen 7 Uhr in seiner Wiener gestern abend gegen 7 Uhr in seiner Wiener
Wohnung einem Schlaganfall erlegen. Von Wohnung einem Schlaganfall erlegen. Von
einem kurzen Nachmittagsspaziergang zurück¬ einem kurzen Nachmittagsspaziergang zurück¬
gekehrt, sank er plötzlich zusammen und ver¬ gekehrt, sank er plötzlich zusammen und ver¬
schied, ohne das Bewußtsein wiedererlangt schied, ohne das Bewußtsein wiedererlangt
zu hab.n. zu hab.n.
Arthur Schnitzler, der einer Wiener Arthur Schnitzler, der einer Wiener
Aerztesamilie entstammte, wäre am 15. Mai Aerztesamilie entstammte, wäre am 15. Mai
des kommenden Jahres 70 Jahre alt ge¬ des kommenden Jahres 70 Jahre alt ge¬
worden. Zur Feier dieses Jubiläums waren worden. Zur Feier dieses Jubiläums waren
Arthur Schnitzler Arthur Schnitzler
Festaufführungen seiner Stücke an Wiener Festaufführungen seiner Stücke an Wiener
und vielen deutschen Bühnen geplant. Erst und vielen deutschen Bühnen geplant. Erst
vor ein paar Wochen ist ein neuer Roman vor ein paar Wochen ist ein neuer Roman
des bis in sein hohes Alter außerordentlich des bis in sein hohes Alter außerordentlich
produktiven Dichters erschienen. Schnitzler produktiven Dichters erschienen. Schnitzler
war ursprünglich Arzt. Durch seinen „Leut¬ war ursprünglich Arzt. Durch seinen „Leut¬
nant Gustl“, eine scharf antimilitaristische nant Gustl“, eine scharf antimilitaristische
Komödie, erregte er Ende der neunziger Komödie, erregte er Ende der neunziger
Jahre die Empörung der altösterreichischen Jahre die Empörung der altösterreichischen
Bürokratie. Seine frühen Arbeiten tragen Bürokratie. Seine frühen Arbeiten tragen
alle einen ausgeprägt gesellschaftskritischen alle einen ausgeprägt gesellschaftskritischen
Zug, jedoch ohne irgendeine Konsequenz und Zug, jedoch ohne irgendeine Konsequenz und
mit jenem spielerischen, leichten, österreichi¬ mit jenem spielerischen, leichten, österreichi¬
schen Hauch, der, je länger Schnitzler schrieb, schen Hauch, der, je länger Schnitzler schrieb,
seinen Werken schließlich die trübe Patina seinen Werken schließlich die trübe Patina
der Wiener Dekadenz aufprägten. Sein der Wiener Dekadenz aufprägten. Sein
Ruhm begann mit den Büchern „Anatol“ Ruhm begann mit den Büchern „Anatol“
und „Der Weg ins Freie“. Die Repo¬ und „Der Weg ins Freie“. Die Repo¬
lutionskomödie „Der grüne Kakadu", lutionskomödie „Der grüne Kakadu",
eines seiner stärksten Würfe, wurde am eines seiner stärksten Würfe, wurde am
seltensten gespielt. Die Szenenfolge „Rei¬ seltensten gespielt. Die Szenenfolge „Rei¬
gen“ erregte noch in den letzten Jahren die gen“ erregte noch in den letzten Jahren die
Entrüstung völkischer Spießer. Die A.czte¬ Entrüstung völkischer Spießer. Die A.czte¬
tragödie „Prosessor Bernardi“ er¬ tragödie „Prosessor Bernardi“ er¬
weckte den Groll der Ultramontanen. weckte den Groll der Ultramontanen.
Schnitzler kam aus dem Gesichtskreis des Schnitzler kam aus dem Gesichtskreis des
liberalen weltmännischen Wiener Bürger¬ liberalen weltmännischen Wiener Bürger¬
tums nicht heraus. „Der Schleier der tums nicht heraus. „Der Schleier der
Beatrice“, die sehr bekannt gewordene Beatrice“, die sehr bekannt gewordene
und auch versilmte Novelle „Fräulein und auch versilmte Novelle „Fräulein
Else“, „Sterben". „Der Sohn des Me¬ Else“, „Sterben". „Der Sohn des Me¬
dardus". „Fink und Fliederbusch", und wie dardus". „Fink und Fliederbusch", und wie
alle seine Werke heißen, sie sind alle für uns alle seine Werke heißen, sie sind alle für uns
weltenfern. Die blendende Sprache, die weltenfern. Die blendende Sprache, die
künstlerische Form können nicht darüber hin¬ künstlerische Form können nicht darüber hin¬
wegtäuschen, daß dies alles uns nur sehr wegtäuschen, daß dies alles uns nur sehr
wenig angeht. Schnitzler war ein Literat im wenig angeht. Schnitzler war ein Literat im
besten Sinne des Wortes. Er hat stets Re¬ besten Sinne des Wortes. Er hat stets Re¬
klame und Mache abgelehnt. Der Olymp der klame und Mache abgelehnt. Der Olymp der
Dichterakademie blieb ihm verschlossen. Sein Dichterakademie blieb ihm verschlossen. Sein
Lebenöabend war auch durch familäres Un Lebenöabend war auch durch familäres Un
glück verbittert. glück verbittert.
Schnitzler war einer der „letzten Wiener“, Schnitzler war einer der „letzten Wiener“,
ein wenig romantisch, melancholisch, witzig. ein wenig romantisch, melancholisch, witzig.
Für die Schwere unserer Zeit sand er, ein Für die Schwere unserer Zeit sand er, ein
Aief musikalischer Mann, nicht mehr die Aief musikalischer Mann, nicht mehr die
richtige Melodie. Er hat „Das süße richtige Melodie. Er hat „Das süße
Mädel von Wien" zu einem künstlerischen Mädel von Wien" zu einem künstlerischen
Begriff gemacht, den nach ihm hunderte ver¬ Begriff gemacht, den nach ihm hunderte ver¬
kitschten. Aber die Zeit steht heute nicht mehr kitschten. Aber die Zeit steht heute nicht mehr
nach diesen Gestalten. Die Einsamkeit, die nach diesen Gestalten. Die Einsamkeit, die
Schnitzler zuletzt umsing, war nur der Schnitzler zuletzt umsing, war nur der
Ausdruck dafür, daß er noch immer allein in Ausdruck dafür, daß er noch immer allein in
Bezirken der Seele herumspazierte, die heute Bezirken der Seele herumspazierte, die heute
die Welt nicht mehr bewegen. die Welt nicht mehr bewegen.