VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 361

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2. Schnitzler's Death 2. Schnitzler's Death
Derr Neue Mr Derr Neue Mr
Nr. 21 Nr. 21
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Arthur Schnitzler *. Arthur Schnitzler *.
Das Burgtheater in Wien hat sich jüngst an die Spitze Das Burgtheater in Wien hat sich jüngst an die Spitze
der deutschen Bühnen gestellt. Es hat die gesamte deut¬ der deutschen Bühnen gestellt. Es hat die gesamte deut¬
sche Schauspielkunst repräsentiert, als es die Trauerfahne sche Schauspielkunst repräsentiert, als es die Trauerfahne
für Arthur Schnitzler hißte. Keine Berufung auf die Not für Arthur Schnitzler hißte. Keine Berufung auf die Not
der Zeit, auf ihren veränderten Charakter, auf die an¬ der Zeit, auf ihren veränderten Charakter, auf die an¬
gebliche Ueberholtheit der Schnitzlerschen Probleme kann gebliche Ueberholtheit der Schnitzlerschen Probleme kann
die Gleichgültigkeit auch nur entschuldigen, mit der die die Gleichgültigkeit auch nur entschuldigen, mit der die
deutschen Bühnen den Tod dieses Großen in ihrem Reiche deutschen Bühnen den Tod dieses Großen in ihrem Reiche
hinnahmen. Sind der älteren Generation wirklich die hinnahmen. Sind der älteren Generation wirklich die
zahllosen Steigerungen der eigenen Erkenntnis, die zahllosen Steigerungen der eigenen Erkenntnis, die
Schnitzlers Psychologie brachte, die zahllosen Beglückungen, Schnitzlers Psychologie brachte, die zahllosen Beglückungen,
die die beschwingte Grazie seines Dialogs schenkte, nicht die die beschwingte Grazie seines Dialogs schenkte, nicht
mehr gegenwärtig? Hat unsere Jugend wirklich für ewige mehr gegenwärtig? Hat unsere Jugend wirklich für ewige
Gemütswerte kein Verständnis? Allerdings, für Arthur Gemütswerte kein Verständnis? Allerdings, für Arthur
Schnitzler war das Hauptgebiet der Mensch, und nicht die Schnitzler war das Hauptgebiet der Mensch, und nicht die
illustrierenden Beigaben, die auf der Bühne von heute illustrierenden Beigaben, die auf der Bühne von heute
seine Darstellung zu überlagern drohen. Ist kein Inter¬ seine Darstellung zu überlagern drohen. Ist kein Inter¬
esse mehr vorhanden für den Menschen auf der Bühne? esse mehr vorhanden für den Menschen auf der Bühne?
Dann allerdings wäre das Theater tot. Dann allerdings wäre das Theater tot.
Es ist nicht tot. Und nicht die Themen der Schnitzler¬ Es ist nicht tot. Und nicht die Themen der Schnitzler¬
schen Dichtungen ließen diese in den letzten Jahren in schen Dichtungen ließen diese in den letzten Jahren in
den Hintergrund treten, sondern nur die Tatsache, daß den Hintergrund treten, sondern nur die Tatsache, daß
die ganze Ausdrucksform unserer Epoche grobschlächtiger die ganze Ausdrucksform unserer Epoche grobschlächtiger
geworden ist. Damit vielleicht auch stürmischer, eindring¬ geworden ist. Damit vielleicht auch stürmischer, eindring¬
licher, schärfer, „zeitgemäßer“, aber doch grobschlächtiger. licher, schärfer, „zeitgemäßer“, aber doch grobschlächtiger.
Schnitzler, der Arzt, führte die Sonde. Die heutigen Dich¬ Schnitzler, der Arzt, führte die Sonde. Die heutigen Dich¬
ter, soweit sie sich überhaupt mit der Seele des Menschen ter, soweit sie sich überhaupt mit der Seele des Menschen
befassen, haben das Chirurgenmesser in der Hand. befassen, haben das Chirurgenmesser in der Hand.
Schnitzler, der Dichter, führte die Sonde. Er war Arzt Schnitzler, der Dichter, führte die Sonde. Er war Arzt
auch als Dichter. Das Gebiet seiner Forschungen war auch als Dichter. Das Gebiet seiner Forschungen war
lange, ehe man in der Wissenschaft diesen Begriff kannte lange, ehe man in der Wissenschaft diesen Begriff kannte
und exakt umschrieb, das Unterbewußtsein des Menschen, und exakt umschrieb, das Unterbewußtsein des Menschen,
waren jene Stunden, die durch keinen Verstand ergründ¬ waren jene Stunden, die durch keinen Verstand ergründ¬
bar sind und sich nur dem hellseherischen Empfinden des bar sind und sich nur dem hellseherischen Empfinden des
Dichters öffnen: die Stunden der Hingabe und die Stun¬ Dichters öffnen: die Stunden der Hingabe und die Stun¬
den des Sterbens. Die Atmosphäre dieser Seelenland¬ den des Sterbens. Die Atmosphäre dieser Seelenland¬
schaft kannte er wie keiner. Er fand Worte, die auch schaft kannte er wie keiner. Er fand Worte, die auch
den psychologischen Laien die Kompliziertheit gewisser den psychologischen Laien die Kompliziertheit gewisser
Vorgänge im menschlichen Denken und Empfinden ahnen Vorgänge im menschlichen Denken und Empfinden ahnen
ließen. Die Kraft seiner Empfindung deckte immer neue ließen. Die Kraft seiner Empfindung deckte immer neue
geheime Relationen der Menschen zueinander auf. Sein geheime Relationen der Menschen zueinander auf. Sein
Dialog war unerschöpflich an zarten und zartesten Schat¬ Dialog war unerschöpflich an zarten und zartesten Schat¬
get.. Er war mondlan und gründlich, er war voll get.. Er war mondlan und gründlich, er war voll
komödiantischer Laune und tiefem Wissen um die Not, komödiantischer Laune und tiefem Wissen um die Not,
er war der leichte Spötter und der resignierende Ironiker, er war der leichte Spötter und der resignierende Ironiker,
er war der Lichter des „Grünen Kakadu“, des „Einsamen er war der Lichter des „Grünen Kakadu“, des „Einsamen
Weg“, des „Jungen Medardus“, des „Weiten Land“, des Weg“, des „Jungen Medardus“, des „Weiten Land“, des
„Leutnant Gustl", des „Fräulein Else“, des „Anatole“, des „Leutnant Gustl", des „Fräulein Else“, des „Anatole“, des
„Reigen“ und — der „Liebelei“, seines ersten und stärk¬ „Reigen“ und — der „Liebelei“, seines ersten und stärk¬
sten Erfolges, aber auch der Verfasser von „Fink und sten Erfolges, aber auch der Verfasser von „Fink und
Fliederbusch , der „Komödie der Worte“, von „Literatur“, Fliederbusch , der „Komödie der Worte“, von „Literatur“,
vom „Zwischenspiel“ und schließlich auch der Autor von vom „Zwischenspiel“ und schließlich auch der Autor von
„Professor Bernhardi“, eines für alle Zeiten mustergültigen „Professor Bernhardi“, eines für alle Zeiten mustergültigen
Zeitstückes. Und in allen diesen dramatischen und epischen Zeitstückes. Und in allen diesen dramatischen und epischen
Dichtungen und in seinen vielen, vielen anderen war er, Dichtungen und in seinen vielen, vielen anderen war er,
was die vorübergehende geringere Wertung seines Schaf¬ was die vorübergehende geringere Wertung seines Schaf¬
fens begreiflich macht: ein Könner. Was er schrieb, konnte fens begreiflich macht: ein Könner. Was er schrieb, konnte
er. Er arbeitete daran. In seinem Schaffen lag Kontinuität, er. Er arbeitete daran. In seinem Schaffen lag Kontinuität,
nicht nur geistige und seelische Kontinuität, sondern auch nicht nur geistige und seelische Kontinuität, sondern auch
die des dauernd an sich und seiner Entwicklung arbei¬ die des dauernd an sich und seiner Entwicklung arbei¬
tenden verantwortlichen und bewußten Arbeitsmenschen. tenden verantwortlichen und bewußten Arbeitsmenschen.
Auf eine Bitte um ein Merkwort schrieb er mir einmal: Auf eine Bitte um ein Merkwort schrieb er mir einmal:
„Was war, ist, das ist der tiefe Sinn des Geschehenen.“ „Was war, ist, das ist der tiefe Sinn des Geschehenen.“
Es war sein Glaubensbekenntnis. Es liegt in diesem Es war sein Glaubensbekenntnis. Es liegt in diesem
Axiom seine Beziehung zum Sein, es liegt darin der Axiom seine Beziehung zum Sein, es liegt darin der
ganze Respekt, den der Kultivierte vor dem Gewordenen ganze Respekt, den der Kultivierte vor dem Gewordenen
hat. Es liegt darin auch ein Bekenntnis zu jenem freu¬ hat. Es liegt darin auch ein Bekenntnis zu jenem freu¬
digen Realismus, den Goethe lehrte. digen Realismus, den Goethe lehrte.
Schnitzlers Wesen war die Summe kultivierten Oester¬ Schnitzlers Wesen war die Summe kultivierten Oester¬
reichertums. Melancholische Skepsis, gütige Ironie, Weich¬ reichertums. Melancholische Skepsis, gütige Ironie, Weich¬
heit des Empfindens und herbste Selbstkritik einigten sich heit des Empfindens und herbste Selbstkritik einigten sich
in ihm, formten sich in ihm, wurden zum vollendetsten in ihm, formten sich in ihm, wurden zum vollendetsten
Ausdruck des geistigen Wien. Es hat durch Schnitzlers Ausdruck des geistigen Wien. Es hat durch Schnitzlers
Tod seinen repräsentativen Dichter verloren. Tod seinen repräsentativen Dichter verloren.
Emil Lind. Emil Lind.
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