VII, Verschiedenes 12, Schnitzlers Tod, Seite 742

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box 44/2 box 44/2
Schnitzler s Deatl Schnitzler s Deatl
Photo Ernst-Hilscher Photo Ernst-Hilscher
ist noch der letzte Bogen zum Diktat eingespannt. ist noch der letzte Bogen zum Diktat eingespannt.
Ein paar Dutzend Stunden später versagte Ein paar Dutzend Stunden später versagte
sprach von gleichgültigen Dingen, Auf- sprach von gleichgültigen Dingen, Auf-
dieses Herz, keine seiner anderen Krank- dieses Herz, keine seiner anderen Krank-
lagen, Verfilmungen, während ihm die lagen, Verfilmungen, während ihm die
heiten, ob sie wahr oder eingebildet waren, heiten, ob sie wahr oder eingebildet waren,
Tränen fortwährend über die ganz grauen Tränen fortwährend über die ganz grauen
hatte Zeit, ihn zu überwältigen. Es ist ber hatte Zeit, ihn zu überwältigen. Es ist ber
Wangen rollten.) Wangen rollten.)
seiner besonderen Art, über sich nachzu¬ seiner besonderen Art, über sich nachzu¬
Diesmal, das letztemal, fand ich ihn Diesmal, das letztemal, fand ich ihn
grübeln, ein großer Segen, daß er nicht grübeln, ein großer Segen, daß er nicht
schlecht aussehend wie in der ganzen letz- schlecht aussehend wie in der ganzen letz-
einen einzigen Tag wirklichen Siechtums einen einzigen Tag wirklichen Siechtums
ten Zeit, aber ohne die sprühenden Funken ten Zeit, aber ohne die sprühenden Funken
gehabt hat. Schon seine nicht allzu arge gehabt hat. Schon seine nicht allzu arge
von Geist und Leidenschaft, die sonst das von Geist und Leidenschaft, die sonst das
Schwerhörigkeit quälte ihn weit über Fug Schwerhörigkeit quälte ihn weit über Fug
fahle Gesicht belebten. Da diese Funken fahle Gesicht belebten. Da diese Funken
und Gebühr. Sie bestätigte ihm fortwährend, und Gebühr. Sie bestätigte ihm fortwährend,
nicht photographierbar waren, gibt es kaum nicht photographierbar waren, gibt es kaum
das er nicht mehr jung war. das er nicht mehr jung war.
ein gutes Bildnis Schnitzlers aus seinen ein gutes Bildnis Schnitzlers aus seinen
Altersjahren. Er sieht auf den Photogra- Altersjahren. Er sieht auf den Photogra-
phien aus wie das, was er ganz bestimmt phien aus wie das, was er ganz bestimmt
Wer Arthur Schnitzler in seinen letzten Wer Arthur Schnitzler in seinen letzten
nicht war: wie ein vollbärtiger Würdegreis. nicht war: wie ein vollbärtiger Würdegreis.
Jahren gekannt hat, dem bleibt die Erinne- Jahren gekannt hat, dem bleibt die Erinne-
Er scherzte oft darüber, noch am letzten Er scherzte oft darüber, noch am letzten
rung an einen großen, edlen, schönen, frei rung an einen großen, edlen, schönen, frei
Tag. Tag.
lächelnden Menschen, dessen persönliche lächelnden Menschen, dessen persönliche
Anmut und heiter-vornehme Haltung nie- Anmut und heiter-vornehme Haltung nie-
Er sprach mit mir von seinem körper Er sprach mit mir von seinem körper
mals versagten, der aber immer unglück- mals versagten, der aber immer unglück-
lichen Zustand. Er bekannte sich lächelnd lichen Zustand. Er bekannte sich lächelnd
licher wurde. Nicht nur mehr als eine licher wurde. Nicht nur mehr als eine
als eine unglückselige Mischung von Arzt als eine unglückselige Mischung von Arzt
Tragödie in seiner Familie, nicht der Tod Tragödie in seiner Familie, nicht der Tod
und Hypochonder und stellte sich selbst die und Hypochonder und stellte sich selbst die
seines edlen Freundes Hugo von Hofmanns- seines edlen Freundes Hugo von Hofmanns-
Diagnosen. Die mildesten und optimisti¬ Diagnosen. Die mildesten und optimisti¬
thal allein bildeten den Grund. Der Grund thal allein bildeten den Grund. Der Grund
schen deuteten auf ein schwer nervöses schen deuteten auf ein schwer nervöses
steht für jeden, der lesen kann, in allen steht für jeden, der lesen kann, in allen
Werken Schnitzlers seit „Casanovas Heim- Werken Schnitzlers seit „Casanovas Heim-
Magenleiden, aber er schien insgeheim viel Magenleiden, aber er schien insgeheim viel
fahrt“, also seit 1918. Dieser Mann, dieser fahrt“, also seit 1918. Dieser Mann, dieser
Argeres zu vermuten. Argeres zu vermuten.
Dichter, dieser Arzt dachte nur noch ans Dichter, dieser Arzt dachte nur noch ans
„Nur das Herz“, sagte er, „ist erstaun- „Nur das Herz“, sagte er, „ist erstaun-
Altwerden und Sterben. Er war von irgend Altwerden und Sterben. Er war von irgend
lich gesund." lich gesund."
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DIE BUHNE DIE BUHNE
einer Resignation so weit entfernt wie von einer Resignation so weit entfernt wie von
vulgärer, schlotternder Angst. Aber das vulgärer, schlotternder Angst. Aber das
Problem war immer gegenwärtig, eine stete Problem war immer gegenwärtig, eine stete
Gedankenmarter. Seine Arbeit, die letzte Gedankenmarter. Seine Arbeit, die letzte
Strecke seiner glanzvollen, künstlerischen Strecke seiner glanzvollen, künstlerischen
Laufbahn, waren ganz davon überschattet. Laufbahn, waren ganz davon überschattet.
Von dem Toten nichts als das Wahre: Von dem Toten nichts als das Wahre:
ich bezeuge hier, daß der grosse Dichter ich bezeuge hier, daß der grosse Dichter
der „Liebelei“ und des „Anatol“ und so der „Liebelei“ und des „Anatol“ und so
vieler Loblieder auf die Jugend gänzlich vieler Loblieder auf die Jugend gänzlich
ohne Groll gegen die junge Generation von ohne Groll gegen die junge Generation von
heute gestorben ist, aber schwer getroffen heute gestorben ist, aber schwer getroffen
von der Gleichgültigkeit, die sie ihm in von der Gleichgültigkeit, die sie ihm in
den letzten Jahren zu zeigen begann. den letzten Jahren zu zeigen begann.
Unser letztes Gespräch handelte auch Unser letztes Gespräch handelte auch
davon. Wir saßen nun nach dem Essen in davon. Wir saßen nun nach dem Essen in
Schnitzlers Arbeitszimmer (dem Zimmer, Schnitzlers Arbeitszimmer (dem Zimmer,
in dem der Tod ihn dann berührt hat). in dem der Tod ihn dann berührt hat).
Ein länglicher Raum, wie das ganze Haus Ein länglicher Raum, wie das ganze Haus
mit dem feinsten Geschmack, altwienerisch, mit dem feinsten Geschmack, altwienerisch,
eingerichtet, an den Wänden, ausser den eingerichtet, an den Wänden, ausser den
Bücherregalen, lauter Goethe-Bilder und Bücherregalen, lauter Goethe-Bilder und
Goethe-Autogramme. Auf dem Stehpult Goethe-Autogramme. Auf dem Stehpult
nicht eine „peinliche“ Ordnung, sondern nicht eine „peinliche“ Ordnung, sondern
eine spielerische. Schnitzler spielte mit eine spielerische. Schnitzler spielte mit
Sächelchen, Stiften, Scheren, Papieren, Sächelchen, Stiften, Scheren, Papieren,
Photographien, und hielt dieses Allerlei Photographien, und hielt dieses Allerlei
streng in Zucht, wic ein Knabe seine Blei- streng in Zucht, wic ein Knabe seine Blei-
soldaten. soldaten.
Am Fenster stand ein gepolsterter Liege- Am Fenster stand ein gepolsterter Liege-
stuhl, auf dem er beim Lesen, auch beim stuhl, auf dem er beim Lesen, auch beim
Diktieren und Flaudern sich auszustrecken Diktieren und Flaudern sich auszustrecken
pflegte. Auf dem Fensterbrett die Bücher, pflegte. Auf dem Fensterbrett die Bücher,
die er zur Zeit las. Hinter dem Fenster der die er zur Zeit las. Hinter dem Fenster der
kleine schöne Garten. kleine schöne Garten.
In diesem Zimmer fragte mich Schnitz- In diesem Zimmer fragte mich Schnitz-
ler: „Schätzen Sie! Meine letzten vier ler: „Schätzen Sie! Meine letzten vier
Theaterstücke — über wie viele deutsche Theaterstücke — über wie viele deutsche
Bühnen hat jedes seinen Siegeszug voll¬ Bühnen hat jedes seinen Siegeszug voll¬
endet? endet?
Ich senkte beschämt dan Kopf. Ich Ich senkte beschämt dan Kopf. Ich
wußte, daß jedes der vier Stücke nur von wußte, daß jedes der vier Stücke nur von
je einem Theater einige Male aufgeführt je einem Theater einige Male aufgeführt
worden war. worden war.
Am tiefsten kränkte ihn die Tatsache, Am tiefsten kränkte ihn die Tatsache,
daß nicht eine einzige reichsdeutsche Bühne daß nicht eine einzige reichsdeutsche Bühne
Photo Atelier Edith Glogau Photo Atelier Edith Glogau