VII, Verschiedenes 13, 1936 undatiert, Seite 3

13.
Miscellaneous
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WIEN, I., WOLLEILE 11


Ausschnitt aus: „NEUES WIENER JOURNAL
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.
17 APR.
von

Georg=Reimers Erinnerungen.
Von
M. K. F.
„Sie kommt nicht wieder“, heißt es in Schnitzlers „Liebelei“
und alle, die nun todtraurig von Georg Reimers letzten Abschied
nehmen, empfinden ungefähr das gleiche: sie kommt nicht wieder
die eigene Jugend, die mit Georg Reimers ins Grab sinkt. „Der
Reimers“ — ihm galt die erste leidenschaftliche und doch schüchterne
Liebe, die ersten, ach, wie schlechten, Verse waren ihm gewidmet.
Nicht nur bei den kleinen Mädchen; auch die Herren Gymnasiasten
verschlangen seinen Namen auf Butterbrot und schwärmten für
Georg Reimers, den strahlendsten aller Helden. Alle liebten seine
Ritter und Helden, und wenn er den herrlich draufgängerischen
Percy Heißsporn etwa, den in goldener Rüstung schimmernden
Sigismund („Das Leben, ein Traum"), den Waffenmeister Marcel
de Prie in Wiener oder den lebensfrohen Maler in dem ein Wort zugesellt wurde, besserte Hofrat Reimers seine
längst vergessenen Lustspiel „Renaissance“ spielte, dann wurde der Scherze auch an „Max und Moritz"
unerreichbar scheinende Wunsch wach, „den Reimers“ kennen
Blühende Manteltaschen.
zulernen. Und wo er sich zeigte, bildeten die Umstehenden unwill
kürlich eine Art Ehrenspalier: bei den Klosterspielen der Schotten
Als Georg Reimers vor Jahresfrist an seinem 75. Geburts¬
bei Ausstellungen, auf Bällen oder auch nur bei zufälliger
tag, vom Publikum stürmisch bejubelt, eine seiner liebens¬
Begegnungen auf der Straße.
wertesten Rollen, den alten, gütig=weisen Scharfrichter im
„Schelm von Bergen" spielte, hatten sich nach der Vorstellung bein
Der Gimpel des Herrn Hofrates.
Bühnentürl die Reimers=Enthusiasten ein Stelldichein gegeben.
Nur wenige kannten den privaten Georg Reimers, von den
Es war ein seltsamer Anblick, der sich allen bot: um die vielen
manch seiner Zug zu erzählen wäre. In seinem Arbeitszimme
Blumen nicht nach Hause tragen zu müssen, hatte er sie einfach
stand in einem Käfig ein Gimpel, ein nicht gerade freundlicher eingesteckt. Und so blühten aus allen Rocktaschen und Knopf¬
Geselle; doch wenn Georg Reimers allmorgendlich an das Bauer löchern Palmkätzchen, Veilchen, Primeln und Flieder.
trat und mit dem ganzen Wohlklang seiner unvergeßlich schönen
Der Wachmann beim Bühnentürl.
Stimme fragte: „Guten Morgen, mein Junge, wie hast du ge¬
Vor sieben Monaten, an seinem Jubiläumsabend, lud er in
schlafen?", da schmetterte der Kleine sein schönstes Lied als Dan
einer Ansprache alle Anwesenden zum nächsten Jubiläum ein.
für diesen täglichen Gruß. Um die Weihnachtszeit schloß der klein¬
Unter der Nachwirkung des Festrausches, in der Vorfreude der
Vogel für immer die Augen, und alle Freundinnen und Ver
kommenden Reimers=Feste und vielleicht, um auch diesen Abend
ehrerinnen des Hauses Reimers wollten sich mit einer gefiederter
noch irgendwie zu feiern, warteten seine Getreuen scharenweise
lebendigen Gabe einstellen — zum Glück hat Frau Hofrat Reimers beim Bühnentürl. Seltsamer, überraschender Anblick von einem
rechtzeitig von dieser geplanten Ueberraschung erfahren und ab¬
Wachmann geführt, verließ der Jubilar das Theater. Der Anblick
gewinkt, denn sonst gliche die Wohnung einer Voliere.
der unzähligen Wartenden wirkte auf Reimers ein wenig be¬
Max und Moritz.
ängstigend und er hatte Angst, nicht heil und ganz in seine
Wohnung hinübergelangen zu können. Deshalb mußte der dienst¬
Eine Freundin des Hauses besaß einen süßen, kleinen
sprechenden Wellensittich, den Maxi, den Frau Hofrat Reimers habende Wachtposten dem Gefeierten einen Weg bahnen.
bei ihren gelegentlichen Besuchen immer sehr bewunderte. Auch
Georg Reimers interessierte sich für dieses sprechende klein¬
Im Burgtheater muß mit Rücksicht auf das
Wunder und so oft er seine Herrin sah, sagte er mit dem hin
morgen Samstag stattfindende Begräbnis des Hof¬
reißendsten Ernst, sehr zum Gaudium aller Umstehenden: „Ih
schauspielers Hofrat Georg Reimers die für den genannten
habt also einen Vogel?“ Dann nach einer wirkungsvoll ein Tag angesetzte Schülerabonnementvorstellung, zweiter Zyklus, auf
geschalteten Pause: „Er soll ja ein wahres Unikum an Gescheit Mittwoch den 6. Mai („Der Verschwender, Beginn 15 Uhr) ver¬
heit sein, ich werde ihn besuchen kommen." Als dem Maxi dann schoben werden.