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46. Parabeln
# dh I. —
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merksamkeit im Gebet bestraft habe. Hiebei beruhigte er sich fürs
ersie und war schon ganz bereil, was ihm begegnet, als einen neuen
Beweis für Gottes Allgegenwart und Gerechtigkeit zu preisen, — als
er erfuhr, daß der Roßdieb eingefangen und aufgehängt worden
war. Hierüber aber geriet der fromme Mann in heftige innere Ge¬
wissenszweifel, da er ja wußte, daß jener Dieb nur das Werkzeug
eines göttlichen Willens gewesen war und somit keine Strafe ver¬
dient hätte. Doch er erinnerte sich allmählich, daß Goll auch schon
in vielen anderen Fällen allerlei Verbrechen, die doch auch nur mit
seiner Zustimmung, ja auf sein Gebot hatten geschehen können,
auf das härteste, sei es auf einfachem Weg oder durch Vermittlung
menschlicher Richter, gestraft hälte und daß auch eine solche Be¬
strafung von den Priestern und anderen weisen Männern als Be¬
weis göttlicher Allgegenwart und Gerechtigkeit gepriesen worden
war. So gab er es denn für eine Weile auf, der Sache weiter nach¬
zugehen, bis ihm eines Tages bekannt wurde, daß der Richter, der
das Urteil über den Pferdedieb gesprochen, in der Stunde darauf
eines plötzlichen Todes verblichen war. Nun traten neue Zweifel in
die Seele des frommen Mannes, und lange erwog er, auf welche
Weise das Hinscheiden des Richters, soforf nachdem er von amts¬
wegen und nach bestem Wissen und Ermessen ein gerechtes Urteil
gesprochen, zu erklären sei, bis er diesen Tod wie durch eine plötz¬
liche Erleuchtung als Goftes unerforschlichen Ratschluß erkannte.
Wer aber hatte ihm diese Erleuchtung gesand!? Gott.
Lese
von Jaques Deval
Die Frauen darf man nicht böse machen, denn sie sind es, die die
öffentliche Meinung über uns bestimmen.
Unser Ruf wird erst gebildet, wenn wir bereits einen anderen ver¬
dienen.
Merkwürdigerweise sagt unser Ruf alles aus, was wir geglaubi
haben, verstecken zu können.
Ein sehr bekannter Name braucht kein guter mehr zu sein.
Nichts verschönt eine gute Handlung so wie ein schlechter Ruf.
Das Glück, das man sich wünscht, verdirbt das bestehende.
Wir beneiden das Glück anderer, während diese uns beneiden.
Wie viele Freuden sind zu opfern, damit man glücklich leben kannl.
Glüick bedeutet nicht, alles zu besitzen, sondern alles zu erhoffen.
Es ist Vorsicht, das Glück schon im Entstehen auszukosten.
Die Schamhaftigkeit der Freundschaft ist liefer als die der Liebe.
Wirkliche Freunde verstehen sich so gut, daß sie sich nichts zu
sagen haben.
Du hast kein Recht auf die Treue deines Freundes, aber auf seine
Reue.
Die Freunde unserer Freunde sind unsere Feinde.