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43. Der Sekundant
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Die Staatliche Kunstbibllothek hat zur Zeit eine Aus¬
stellung „Deutsche Volkstypen und Volkstrachten“
in sotografischen
Aufnahmen von Hans Retzlaff veranstaltet.
In der Galerie Weber beginnt Sonntag, 3. Januar, eine Aus¬
stellung von Arbeiten des Berliner Malers Rudolf Riester.
Der Verein Berliner Künstler beginnt das neue Jahr
mit einer Ausstellung Münchner Kunst. Diese Veranstaltung wird
in zwei aufeinanderfolgenden Abteilungen durchgeführt werden.
Das
gesamte Material wurde von den Münchner Professoren Bolgiano,
Wackerle und Schinnerer zusammengetragen. Die Eröffnung dieser
in der Bellevuestraße 3 stattfindenden Ausstellung ist auf Mittwoch,
6. Jannar, nachmittags 5 Uhr, festgesetzt.

Am gleichen Tage, um
6 Uhr, wird in der Tiergartenstraße Zu eine Sonderausstellung von
Hauptwerken des
Professors Heinrich Reifferscheid, anläßlich
eines 60. Geburtstages, und eine Gedächtnisausstellung von graphischen
Arbeiten des verstorbenen Professors Franz August Börner eröffnet.
Der Sekundant
Novelle von
ARTHUR SCHNITZLER
Copyright 1931 by Heinrich Schnitzler
Ich war damals dreiundzwanzig Jahre alt, und es war
mein siebentes Duell — nicht mein eigenes, aber das
siebente, an dem ich als Sekundant teilnahm. Lächeln Sie
meinetwegen. Ich weiß, es ist in unserer Zeit üblich ge¬
worden, sich über derartige Veranstaltungen lustig zu machen.
Man tut nicht recht daran, meine ich, und ich versichere Sie,
das Leben war schöner, bot jedenfalls einen edleren Anblick
damals — unter anderem gewiß auch darum, weil man es
manchmal aufs Spiel setzen mußte für irgend etwas, das in
einem höheren oder wenigstens anderen Sinn möglicherweise
gar nicht vorhanden oder das wenigstens den Einsatz, nach
heutigem Maß gemessen, eigentlich nicht wert war, für die
Ehre zum Beispiel, oder für die Tugend einer geliebten Frau,
oder den guten Ruf einer Schwester, und was dergleichen
Nichtigkeiten mehr sind. Immerhin bleibt es zu bedenken,
daß man im Laufe der letzten Jahrzehnte auch für viel
Geringeres völlig nutzlos und auf Befehl oder Wunsch
anderer Leute sein Leben zu opfern genötigt war. Im Zwei¬
kampf hat doch immer das eigene Belieben mitzureden gehabt,
auch dort, wo es sich scheinbar um einen Zwang, um eine
Konvention oder um Snobismus handelte. Daß man über¬
haupt mit der Möglichkeit oder gar der Unausweichlichkeit
von Duellen innerhalb eines gewissen Kreises wenigstens
rechnen mußte, das allein, glauben Sie mir, gab dem gesell¬
schaftlichen Leben eine gewisse Würde oder wenigstens einen
gewissen Stil. Und den Menschen dieser Kreise, auch den
nichtigsten oder lächerlichsten, eine gewisse Haltung, ja den
Schein einer immer vorhandenen Todesbereitschaft, wenn
Ihnen dieses Wort auch in solchem Zusammenhang doch allzu
großartig erscheinen sollte.
Aber ich schweife ab, noch ehe ich angefangen habe. Ich
wollte Ihnen ja die Geschichte meines siebenten Duells er¬
zählen und Sie lächeln wie vorher, weil ich wieder von
meinem Duell spreche, obwohl ich doch, wie es nun einmal
meine Bestimmung war, auch in diesem Fall nur Zeuge, aber
Deh Alberschweiter unwen
hatten, sie wurden unserm Churfürsten präsentiret, hernach
die Nerven reißen, müssen imme
drescherei als Mittel einspringen
auf dem Reichstag zu Speyer vom Römischen König
schließlich über Seele und Persto
Ferdinand und andern Fürsten als ein Wunder beschauet,
staffel ist scharf beobachtet, die
und von Henrich Vogther eigentlich abgemahlet.“
der Feind wird nicht verunglit
durch eine lyrische Szene zwisc
Franzosendirnchen unterbrochen,
Rundfunk: Werkwochen. Wir hörten dem aufschlu߬
Menschen sich finden über alle
reichen Gespräch mit einem Arbeitslosen zu, allerdings war es
von Dr. von Gordon faßte die
nicht irgendein typischer, sonbern einer, der sich durch zähe Arbeit
straff zusammen, im Vordergrun
an sich selber und mit der Gemeinschaft durchringen konnte zu
in allen Wandlungen der Stim
erträglicher geistiger Sitnation. Er widmet sih jetzt der Selbst¬
wurde mehrmals gerufen, man us
hilfe der Erwerbslosen (er bekämpft das Wort arbeislos), be¬
die gegen den Wahnsinn des Kri
nicht Duellant gewesen bin. Schon mit achtzehn Jahren, als
trieben die Vorsicht so weit,
Kavalleriefreiwilliger, war ich zum ersten Male Sekundant
zu nehmen, stiegen aber nat
in einer Ehrenaffäre zwischen einem Kameraden und einem
Städtchens aus, wo am näch
Attaché der französischen Gesandtschaft. Bald darauf wählte
finden sollte.
mich der berühmte Herrenreiter Vulkovicz zu seinem Se¬
Doktor Mülling war ein I
kundanten in dem Duell mit dem Fürsten Luginsfeld und
Freund Loibergers, fünfundd
auch weiterhin, trotzdem ich weder Adeliger noch Berufs¬
belangt, verdankte ich die Ehr
offizier, ja sogar jüdischer Abstammung war, wandte man
erwählt zu sein, außer meinen
ich ganz besonders in schwierigen Fällen, wenn man eine
Eignung dazu, dem Umstand,
Sekundanten bedurfte, mit besonderer Vorliebe an mich. Ich
gleichen Sommerfrische verbrac
will gar nicht leugnen, das ich es zuweilen ein wenig be¬
Villo ziemlich oft zu Gast war
dauerte, diese Dinge immer nur sozusagen als Episodist mit¬
er mir nie gewesen, aber das¬
zumachen. Recht gern wäre ich einmal selbst einem gefähr¬
genehme Menschen gingen aus
lichen Gegner gegenübergestanden und weiß nicht einmal,
Tennis gespielt, gemeinsame
was ich im Grunde vorgezogen hätte — zu siegen oder zu
wurden unternommen und er
fallen. Aber es kam niemals dazu, obzwar es wahrlich nicht
Jahre alt. Als Ursache des D
an Gelegenheiten fehlte und wie Sie sich wohl denken können,
angegeben worden zwischen
an meiner Bereitwilligkeit niemals der geringste Zweifel
Gegner, dem Ulanenrittmeisten
bestand. Vielleicht war übrigens das mit ein Grund, daß
kaum. Sonntags war er am
ich niemals eine Forderung erhielt, und daß in den Fällen,
seiner Garnison, offenhar n
wo ich mich zu fordern genötigt sah, die Angelegenheiten
wechsels, der als Vorwand für
stets ritterlich beigelegt wurden. Jedenfalls Sekundant war
im Jahr vorher hatte er den
ich mit Leib und Seele. Das Bewußtsein, gewissermaßen
Frau hier verbracht.
mitten in ein Schicksal oder besser an die Peripherie eines
Die Erledigung der Angeleg
Schicksals gestellt zu sein, hatte stets etwas Bewegendes, Auf¬
offenbar sehr eilig. Die Bes
rührendes, Großartiges für mich.
danten hatte schon am Sonntal
Dieses siebente Duell aber, von dem ich Ihnen heute er¬
jenem Wortwechsel, und zwar
zählen will, unterschied sich von allen meinen andern,
und ich waren von Loiberger
früheren und späteren dadurch, daß ich von der Peripherie
der gegnerischen Sekundanten
gleichsam in den Mittelpunkt rückte, daß ich aus der Episoden¬
sie waren schwer.
figur eine Hauptperson wurde, und daß bis zum heutigen
Also am Montag kamen 2
Tage kein Mensch von dieser sonderbaren Geschichte etwas
Stadt an.
erfahren hat. Auch Ihnen mit Ihrem ewigen Lächeln hätte
Wir besichtigten vor allel
ich nichts davon erzählt, aber da Sie ja in Wirklichkeit gar
Rendezvous=Platz für morgen
nicht existieren, so werde ich Ihnen auch weiterhin die Ehre
einer kleinen Spazierfahrt, die
erweisen zu Ihnen zu reden, junger Mann, der immerhin
ling von seinen Reisen, län
so viel Takt besitzt, zu schweigen.
studien, Studentenmensuren,
So ist es auch ziemlich gleichgültig, wie und wo ich anfange.
bauten, Meisterschaften im Ru#
Ich erzähle die Geschichte wie sie mir in den Sinn kommt
gemeinsamen Bekannten. Ich
und beginne bei dem Augenblick, der mir zuerst in den Sinn
letzten Staatsexamen. Mülling
kommt, also in dem, da ich in Gesellschaft des Doktor Mülling
Anwalt. Von dem, was für n
in den Zug stieg. Nämlich, um keinerlei Mißtrauen zu er¬
wie auf Verabredung kein A
regen, vor allem bei der jungen Gattin Eduards, verließen
Duells wußte Doktor Mülling
wir schon Montag vormittag den Villenort am See, ja, wir
anzuvertrauen für gut fand.
Onterhaltungs btatt d. Voss 448 Nr. 4 4. 4. 1413)