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Fraculein Else
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Freiherr von daube, Jean Moréas' Stanzen in deutscher Sprache
Schlußstück des Bandes hin, die schöne Novelle „Die
risten nämlich. Die denkbar einfache Handlung wird in
Träume von Siena“, die in wohllautender, kultivierter
der Hauptsache von drei Personen getragen, einem
Sprache das Problem der „Grenze der Ersüllung“ behandelt.
alternden Gelehrten, dessen lebensprühender Tochter und
Des Heidelberger Schriftstellers Otto Frommel
einer jener geradezu sprichwörtlich gewordenen alten Tan¬
sympathische, mit volkstümlicher Schlichtheit erzählte No¬
ten. Die Tochter heiratet — der Geheimrat gerät unter
vellen „Schicksal“ bringen eine Auseinandersetzung der
die Herrschaft der Tante, des Alters. Eine Fülle komischer
Individualität mit jenen Mächten, die auf unser Dasein
Situationen aller Art ergibt sich im Ablauf des Geschehens;
fördernd oder hemmend einwirken. Das Buch rührt an
alles ist wunderbar leicht und vornehm hingestellt.
viele Fragen, aber der Verfasser bescheidet sich, sie ledig¬
Franz Karl Ginzkeys Erzählung „Der Weg zu
lich aufzuzeigen, ohne ihre Lösung sich anzumaßen.
Oswalda“ erscheint soeben in einer reizend ausgestatteten
Arno Holz' Jugendnovelle „Der erste Schultag“ liegt
Kleinoktavausgabe. Ginzkey, der Erheller und Deuter
endlich in einer Einzelausgabe vor, noch dazu in einer
so vieler Dunkelheiten des menschlichen Seelenlebens,
ausgezeichnet gedruckten und gebundenen. Die kleine
schildert in seiner Dichtung, die alle Vorzüge seiner Kunst
Dichtung, vielleicht das einzige stilreine Beispiel einer
weist, das Schicksal eines Mannes, in dessen Leben ein
deutschen naturalischen Novelle, gehört zum Besten, was
tragisches Erlebnis seiner Kinderzeit — er wurde Zeuge
Holz geschrieben hat.
der Untreue seiner Mutter —
unheilvoll fortwirkt. Os¬
Rudolf Huch veröffentlicht in Reclams Universal¬
walda, eine Blinde, bringt nach vielerlei Irrungen und
Bibliothek seinen „Tollen Halberstädter“ in einer Neu¬
Wirrungen die heilende Erlösung.
bearbeitung. Die jetzige, wesentlich konzentriertere Fassung
In der Reihe der an dieser Stelle ausführlich
ist der ursprünglichen vorzuziehen: viel störendes Bei¬
gewürdigten „Musikalischen Novellen“ des Verlags
werk, viele retardierende Momente sind fortgefallen; die
Kistner & Siegel veröffentlicht Franciscus Nagler die
glut= und blutvolle Rhapsodie aus der Zeit des Dreißig¬
kleine romantische Erzählung „Flüte d’amour“, welche
jährigen Krieges braust nun mit um so rückhaltloserer
die Erfindung jener Orgelstimme durch Gottfried Silber¬
Leidenschaft dahin. Das jüngste Werk des Dichters, der
mann zu Straßburg behandelt. Das sympathische Ge¬
kleine Roman „Altmännersommer“ offenbart eine ganz
schichtchen bieret ein ansprechendes Kulturbild aus dem
andere Wesensseite Huchs, den Melancholiker und Humo¬
Beginn des 18. Jahrhunderts.
Jean Moréas Stanzen
in deutscher Sprache
Von Otto Freiherrn von Taube
as steht außer Zweifels: die Franzosen haben in
gab ihm einen selbstzüchtigenden unerbittlichen Ernst. So
ihrem Schrifttum keine Montblancs und keine
vermöchte denn der Deutsche, dem Sehnen und Ernst Na¬
Gaurisankars wie Deutsche, Italiener, Spanier, Briten.
tur sind, jene fremde Seele wohl zu begreifen, wenn auch
Jedoch die Höhe und die Zahl ihrer Durchschnittsgrößen
der späte Sprößling der Antilen das Herz nicht auf der
übertraf bisher die der unseren, und an achtbaren Gip¬
Hand trägt. Vielmehr hat er seinen Gehalt, gehaltensten
seln nicht erster Ordnung waren sie nicht arm. Doch
Ausdrucks, in einer Erscheinung von strengster Schön¬
das war: was heute jenseits des Wasgenwaldes ge¬
heit gestaltet. Seine Kunst, — knapp, wortkarg, einfacher
schrieben wird, ist bestenfalls anständiges Nachfahrenwerk,
Bilder, feierlich,

ist vor allem keusch; sie hat die
sonst blutloses Hirngespinst, exotische Wertlosigkeit
Herbheit der griechischen Bildnerei des frühen 5. Jahr¬
(Comtesse de Noailles) oder der Kitsch sogenannnter
hunderts; es verlockt, sie „dorisch“ zu nennen. Deshalb
guter Menschen und schlechter Musikanten (Romain
ist auch die Wendung „Latinität“, mit der einige dem
Rolland). Die letzten erheblichen Dichter französischer
Dichter vielleicht würden beikommen wollen, ihm gegen¬
Zunge waren ein Grieche und ein Vlaeme. Doch, während
über nur ein Ungefähr; sie reicht auch nicht heran bis
Verhaeren dank der Stimme seines uns verwandten
in die Gründe seines nur Kennern sich offenbarenden
Blutes in Deutschland geradezu heimisch geworden ist,
südlichen Mittelmeerglanzes, seiner verhehlten, — hel¬
hat Jean Moréas bei uns kaum Anklang gefunden.
lenischen,
— Süße.
Die Bedürfnisse, mit denen wir den Dichter suchen,
Dem Freiherrn Rolf v. Ungern=Sternberg ist es ge¬
prallen ab an seiner gepanzerten Brust, wir neigen dazu,
lungen, eine Übertragung der Stanzen von Jean Moréas
ihn als zu französisch=formal, zu kalt abzulehnen, während
zu schaffen, die alle bisherigen Versuche übertrifft. (Wir¬
er in Wirklichkeit auch den Franzosen nicht entspricht
Verlag, Berlin 1921.) Große Gewissenhaftigkeit und
wegen einer gewissen Schwere. Wohl besitzt er die von
große Liebe zu dessen Werke scheinen ihn getrieben zu
ihnen geschätzte Gedrungenheit und von ihnen geforderte
haben, nicht eher Halt zu machen, als bis er, hinter
Geschliffenheit. Doch fehlt ihm jeder Sinn für das Spiel,
Wort und Bild, in des Dichters tiesste Stimmung und
für die Nippsache. Seine Dichtung begreift viel Gehalt;
Meinung eindrang, und, was er dort fand, in unserer
und der ist ursprünglich und tief empfunden, im Sinne
Sprache hinstellte in einer aus jenem Geiste heraus ge¬
eines Leidens. Zwar scheint bei flüchtigem Betrachten
forderten, dem Urbilde gleichwertigen Form. Geistes¬
sein Stoff sich immer um das bewußte Paris und das
verwandtschaft, ob von Geburt, ob infolge gleicher Er¬
verpariserte Frankreich zu schichten; die Liebe jedoch, die
fahrung, mag ihm dabei geholfen haben. Aus diesem
der Grieche zu dieser Umgebung hegte, der, — fremd
Verhältnis zum Urbild und aus jenem Verfahren erklären
hergekommen,
— nie völlig mit ihr eins ward, die ihm
sich sowohl Treue als auch Freiheit der Übertragung.
darum statt leichten Besitzes unablässiges Ringen eintrug,
Sie hat des Dichters Schmerz und Glück, seine Einsam¬
das stete Umschwebtsein von Bildern der fernen Heimat,
keit, seine Bitternis in sich begriffen. Sie strahlt aus seine
der er sich entwöhnt hatte und die zu wünschen er trotzdem
ungemeine Kälte, doch mundet feuriger Schaumwein am
nie aufhörte, hatten ihm, — um mit Ibsen zu reden, —
besten gekühlt, und hier ist Gewächs von südlicher Glut
„die Gabe des Schmerzes“ verliehen, die Sehnsucht. Das
zu Eise geschlagen; wer tiefer und reicher kostet, trinkt
Bewußtsein, als Dichter einem strengen Gotte zu dienen,
sich aus der apollinischen Form Dionysos, — den Rausch.
Veranwortlich für die Schrfteltung: Gottlob Nayer, Leivig. —
Herausgeber für Deutschösterreich: Friese & Lang, Wien I, Bräunerstraße 3;
verantwortlich ## die Schriftleitung:
Erich Friese, Wien I, Bräunerstraße 3.