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Casanovas Heimfahrt
15. MIERZ 1919
Das Litterarische Echo, Berlin
chnitzlers Er¬
— Arthur
zählung „Casanovgs=Heinssehr“ (S. Fischer) rd=von
Paul Zifferer (9. Fr. Prisse, Wien, 19545) gewürdigt:
„Schnitzler zeigt uns Casanova als eine tragische Figur.
Mitten durch den edlen Vortrag des Dichters hört man
freilich bisweilen den Abenteurer selbst die wunderbaren
Erlebnisse seiner Jugend mit welscher Lebhaftigkeit durch¬
einandersprudeln: von der seltsamen Unbekannten, die
wochenlang mit ihm als Offizier verkleidet herumgereist
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und eines Morgens plötzlich von seiner Seite verschwunden
war; von der lieblich unschuldigen Manon Balletti, der
einzigen, die er beinahe geheiratet hätte, von jener schlechten
Sängerin in Warschau, die er ausgepfiffen, worauf er sich
mit ihrem Geliebten, dem Krongeneral Branitzky, hatte
duellieren und aus Warschau fliehen müssen; von der bösen
Charpillon, zie ihn in London so jämmerlich zum Narren
ggehalten; von einer nächtlichen Sturmfahrt durch die
Lagunen, die ihm fast das Leben gekostet. ... Aber auch
alles, was er selbst erzählt, bringt er hier ohne jede Zwei¬
deutigkeit vor, so daß man eher den Bericht eines gefühl¬
vollen Narren der Liebe als den eines gefährlich wilden—
Verführers und Abenteurers zu hören vermeint?“
—. „, Ccntoralag.a..
9mhr. 1076
Kanhschet Gauifefe. Kurseig

Lose Blätter.
rd. Schauburg. Willy Kaufmanns Operettenschwank „Buden¬
zauber“ hat seinem Namen Ehre gemacht, er hat der Schauburg
schon eine lange Reihe ausverkaufter „Buden gezaubert“. Die
Jubiläumsaufführung am Montag (eigentlich merk¬
würdig, daß Bühnen=Jubiläen immer auf Montag oder Freitag
fallen) gestaltete sich darum zu einem Festtage für die Schauburg.
Der glückliche Verfasser und Inhaber der männlichen Hauptrolle,
Herr Kaufmann, war in erster Linie Gegenstand der freudigen
Kundgebungen des sehr zahl#rich erschienenen Publikums, das
der wohlabgerundeten außererdentlich frisch gespielten Auf¬
führung mit lebhaftem Interesse folgte. Die musikalischen Schlager
und Tanznummern wurden fast sämtlich wiederholt, und in der
großen Pause ergoß sich ein wahrer Blumenregen, untermischt
mit reelleren „Niederschlägen“ verschiedenster Art über die Mit¬
wirkenden. Das reizvolle Werk wird wohl noch eine Reihe von
weiteren Aufführungen erleben.
= Der Streit um die Hagia Cophie. In London sollte eine
Versammlung abgehalten werden, in der die Forderung nach einer
gewaltsamen Ueberführung der Hagia Sophia in Konstantinopel
aus dem mohammedanischen in christlichen Besitz vertreten werden
sollte. Die Versammlung wurde verschoben, soll aber doch
abgehalten werden. Der Grund für die Verschiebung ist, wie die
„Daily News“ erfahren, der Einspruch der englischen Regierung,
die sich der Tatsache nicht verschließen kann, daß das britische
Reich mehr mohammedanische Untertanen zählt
alsjedesandere Land der Welt. „Es ist auch zu befürchten.“
meint das Blatt, „daß die Versammlung über die Hagia Sophia
auch in England lebhaften Streit hervorrufen wird. Viele
Leute, deren christliche Gesinnung über alem Zweifel erhaben ist,
widersetzen sich durchaus der Ausnutzung eines militärischen
Sieges zur Austreibung des Islam aus der Hagia Sophia zu¬
gunsten des Christentums. Welches auch die früheren Schicksale
des Bauwerks gewesen sind, die Mohammedaner haben es über
400 Jahre in ihrem Besitz gehabt, und wenn das keinen guten
Besitztitel gibt, so dürften wir nicht viele englische Kathe¬
dralen haben, die in den Händen der Protestanten bleiben
dürfen.“
ml. Zwei Erzählungen recht gegensätzlicher Art sind „Casa¬
novas Heimfahrt“ von Arthur Se
Hler (S. Fischers
Verlag, Berlin) und „Gudula“ von #####reesser
(Inselverlag zu Leipzig). Sie haben aber doch ein Gemeinsames,
und das ist die zurzeit gar selten gewordene Lust am Erzählen.
Beide Bücher berichten mit Liebe, Ausführlichkeit und Schlicht¬
heit äußere Geschehnisse, die die unzweisinnigen Deutungen
barker innerer Vorgänge sind. Sie verlieren sich nicht in klein¬
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liche Einzelheiten, sie zersetzen nicht das Ganze in psychologisch
schimmernde Lumpen, sie spielen nicht mit nebensächlichem Aller¬
lei, weil ihnen die ernste Kraft zur Hauptsache fehlt; sie sind
gerade, zupackend und fest und also eine große Seltenheit in
unseren Tagen. Beide sind sich auch darin nicht unähnlich, daß
sie im Grunde voll innigster, zartester Poesie sind, aber Gudula
ist ein Prinzeßchen aus königsichem Blute, die ihr Leben tragen
muß einen weiten, harten Weg entlang und nicht müde wird,
gläubig und froh zu sein, Casanova, der Alternde, ist ein Mann
aus Bauernblut, der von Abenteuer zu Abenteuer schreitet und
sich selbst aus dem Altern und dem Sterben noch einen Mummen¬
schanz, einen Liebesroman macht, so kläglich die Rolle auch wird,
die er zum Schlusse nach so viel glänzend gemimten Rollen ab¬
geben muß. Wunderliebliche Keuschheit umduftet das Werk des
Norddeutschen, während das des Süddeutschen aufdringlich nach
den wilderen Gerüchen der Lüsternheit schmeckt; und doch ist nichts
darin, was verletzt, nichts, was unzsichtig oder par gemein an¬
mutet. Es nennt nur beim rechten Namen, was nun einmal von
der Melt und den Menschen keinen anderen Namen empfangen
hat. So mag man beide Dichtungen lieb haben, und sie zu denen
rechnen, die man ohne Haft, mit Herzlichkeit liest, und die man
(sich merkt, um sie ein zweites Mal noch euhiger und noch herzlicher
zu lesen. Sie führen abseits von den großen Wegen in die Stille
und in die Beschaulichkeit.
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