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Casanovas Heinfahrt
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30 J eeeene
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„Rundschau.

enenngenen

Rundschau.
Neue Erzählungsliteratur.
Der echte Roman ist weitausladend, reich¬
verzweigt; nur im großen Menschheitsroman
Wie in Drama und Lyrik hat sich
auch in der Roman= und Novellenliteratur
spiegelt sich das kulturelle Leben einer Gene¬
ration in charakteristischem Ausschnitt. In
die neue Ausdruckskunst der jungen Gene¬
diesem Sinne ist die Reihe „Der große Ro¬
ration die Beachtung weiter Leserkreise er¬
man“ (Berlin, S. Fischer) nur zu begrüßen.
rungen und jetzt, wo der Expressionist ge¬
Das religiöse Moment hat immer zu den
legentlich in Sammelwerken neben Vertreter
deutschen Wesenselementen gehört und so
der älteren Dichterkreise tritt, sieht man, daß
tritt neben den „Emanuel Quint“ der um¬
es doch schließlich heute wie ehedem auf das
fangreiche Bauernroman Hermann Stehrs
von der Empfindung übervolle Herz an¬
„Der Heiligenhof““. Das äußere Geschehen,
kommt, oder mit anderen Worten: ob der
wie bei dem primitiveren Rosegger ein¬
Dichter es versteht, uns mitzureißen, uns in
geordnet in den engen Kreis des bäuerlichen
eine andere Welt zu versetzen, ob seine Ge¬
Alltags, ist fast nebensächlich. Die tiefen,
staltenfülle oder seine Problemkraft uns in
inneren Wirren des Sintlinger Bauern und
den Bann seiner Darstellung — gleichgültig
seines Weibes, die metaphysisch gesteigerte
ob sie alt oder neu wirkt — zu ziehen vermag.
Feindschaft der alten Bauerngeschlechter der
Ein solches repräsentatines Sammelwerk, in
Brindeisener und Sintlinger, das Geschick
dem sich die älteren, soignierten Herren und
des blinden Lenchens — alle diese mystisch
Damen unserer Literatur mit den Wort¬
erhöhten, weit über die bäuerliche Sphäre
führern der jüngsten Richtung friedlich be¬
gerückten und doch geheimnisvoll mit dem
gegnen, sind die „Neuen deutschen Erzähler““
alten schlesischen Landschaftsgeist, dem der
Da steht der heute schon recht konservativ
Dichter entstammt, verwurzelten Geschehnisse
wirkende Thomas Mann und die vornehme
lassen uns die gelegentlich ermüdende Breite
Ricarda Huch neben dem explosiven Kasimir
des Werkes nicht als allzu hartes Pensum
erscheinen. Mit um so größerem Behagen
zierenden Paul Kornfeld, der wohl einer
aber greifen wir zu Fontanes unvergäng¬
der interessantesten Erscheinungen unter den
lichem „Stechlin“ der in der Romanreihe als
Jüngsten ist. Die Novelle „Die Begegnung“
Ehrengast ausgenommen ist und sich neben
ist nur ein Dialog zweier junger Menschen,
den jüngeren Genossen wahrlich zu behaupten
und doch zittert darin die Sehnsucht Höl¬
weiß. Was sind diese vielgescholtenen preußt¬
derlins und die Weltangst, in der Walzel
schen Junker doch für prächtige Menschheits¬
mit Recht ein wesentliches seelisches Moment
exemplare. Man darf es gerade heute, wo
der jüngsten Dichtung findet. Daß diese kurze
die Herrlichkeit dieser Kaste zertrümmert ist,
Probe von den eigentlichen Zielen des jungen
ruhig sagen und Theodor Fontane, der
Dichters keinen rechten Begriff zu geben
Sproß romanischen Blutes und der genaue
vermag, ist einleuchtend. Wir verweisen auf
Kenner englischer Kultur, braucht sich seiner
den Essai Kornfelds „Der beseelte und der
leicht ironisch gefärbten, aber doch herzens¬
psychologische Mensch“ im 1. Heft der Zeit¬
warmen Sympathie für die märkischen
schrift „Das junge Deutschland“ der ein be¬
Standesherren nicht zu schämen. Was bei
deutsames Manifest der Welt= und Kunst¬
Fontane Wahlverwandtschaft mit deutlichem
anschauung der jungen Generation darstellt.
Distanzgefühl ist, das ist bei Fedor v. Zobel¬
Die beiden hübschen Sammelbände der
titz ein Plaidoyer in eigener Sache“: es ist
„Neuen deutschen Erzähler“ verfolgen keinen
kein eigentlich politischer Roman, obwohl
literarischen Parteizweck: sie wenden sich in
viel und klug über Politik gesprochen wird.
ihrer recht weitherzigen Auswahl an einen
Wie bei Fontane gibt es rauhe, abseitige
großen Kreis und möchten jedem etwas
bringen. Dieser Zweck und das hohe Niveau
Originale, aber es ist doch schon eine andere,
der meisten Beiträge, die freilich nicht durch¬
geschliffenere, weniger kindlich gutmütige und
provinzielle Generation — umfaßt der Roman
wegs neuesten Datums sind, rechtfertigen den
doch die Zeit von 1908 bis 1918, die Zeit
etwas buntscheckigen Charakter der Samm¬
von Bülows Kanzlerschaft bis zur Aus¬
lung. Ist hier die Novellendichtung unserer
einandersetzung über das preußische Wahl¬
Zeit in charakteristischer Auswahl vertreten,
recht. Das war alles vom Verfasser sehr
so ist es anderseits doch der Roman, der
Erbe des mittelalterlichen Epos, der die
* Der Heiligenhof. Roman von Hermann Stehr.
literarische Signatur einer Epoche bedeutet.
Berlin 1918, S. Fischer, Verlag.
Neue deutsche Erzähler. Herausgegeben von
** Die Junker Roman von Fedor v. Zobeltitz.
J. Sandmeier. Berlin 1918, Furche=Verlag. Zwei Bände. Berlin 1918, Ullstein.