Faksimile

Text

28.
u Beate und ihr Sohn
Frad
WEAE
geht weiter, und man lebt; man schläft im gleichen Bette, das
man einst mit dem Geliebten teilte, trinkt aus demselben Glas,
das er mit seinen Lippen berührte, pflückt unter dem gleichen
Tannenschatten Erdbeeren, wo man sie mit einem auflas, der
niemals wieder pflücken wird; und hat nicht Tod noch Leben
je ganz begriffen.
Sehr hübsch, sehr fein, sehr richtig, sehr nachdenklich! Aber
im Grunde ganz unerzählerisch. Wer fühlt hier nicht den
Meister des Dialogs, den wir, immer gedankenvoll, aus allen
seinen Schauspielen kennen, sie mögen dramatisch so gut oder
so wenig gut sein als sie wollen! Aber hier: Schnitzler der
Erzähler ist zu Schnitzler dem Dichter der Rede und Gegen¬
rede entgleist; und nur daß diese Entgleisung so angenehm
ist, macht, daß wir sie kaum empfinden. Nur wenn man
gerade von einem Unerbittlichen herkommt, wirkt sie wie ein
Lyrismus und wird so etwas wie eine Intarsie.
Und Aehnliches wird zu Hilfe genommen, um die Gestalt
des Sohnes der Frau Beate uns aufzuschließen:
Aber bestand überhaupt noch eine Möglichkeit den geliebten
Buben vor einem so kläglichen Abenteuer zu bewahren? Sie
fürchtete, nein. Denn sie ahnte ja: wie Hugo die Züge seines
Vaters trug, so rann auch dessen Blut in ihm, das dunkle Blut
aus einer anderen, gleichsam gesetzlosen Welt, die als Knaben
schon von männlich= düsteren Leidenschaften durchglüht werden
und denen noch in reifen Jahren Kinderträume aus den
Augen schimmern.
Der Erzähler wird, wenn ich so sagen darf, als solcher
anmaßend. Es ist ja sehr bequem für mich, wenn er mir sein
Urteil über Hugos Art gleich mitteilt, daß ich es nicht aus
seinen Handlungen erst ableiten muß. Aber ich betrachte das
als einen Eingriff in die heiligsten Rechte des Lesers: ob Hugo
wirklich einer ist, der als Knabe schon von männlich=düsteren
Leidenschaften durchglüht wird und dem noch in reifen Jah¬
ren Kinderträume aus den Augen schimmern, das zu beurtei¬
len, muß der Dichter dem Leser überlassen. Er reiche ihm den
Knaben ohne derartige Aufklärungen und Belichtungen hin,
und wenn Schnitzler stark genug als Erzähler ist, so wird es
ihm möglich sein, ohne solche unbewußt ängstlichen Hilfsaktio¬
nen just die Figur auf die Beine zu stellen, die er will.
Aus den oben dem Buch Philipp Kellers entnommenen
Beispielen, verglichen mit diesen, wird man die Kluft zwischen
diesen beiden künstlerischen Naturen klar empfinden. Der
größere Erzähler aus Berufung ist Keller, wenn ihm auch bis
zur Künstlerschaft Schnitzlers bislang vieles und auf bestimm¬
ten Gebieten vielleicht auf immer etwas versagt bleiben mag.
Zwei Typen der Erzählerkunst, so verschieden wie einer, der
alle Dinge durch die hohle Hand betrachtet, von einem andern
ist, der frei das Auge gleiten läßt, vieles als bedeutungslo¬
box 4/5
droben im Norden vo
übersieht, was jener in seiner Betrachtungsweise als wichtig
samen Station am Ma
symbolisiert, und jedenfalls durch die Weite des Blicks im Vor¬
herrlichkeit und gleich
teil für eine geschlossene Konzeption gegen jenen andern ist,
rung zur schmucksten
dem alles lebt, alles bedeutend zu Gebote steht, der nie um
bringt er vom Urlaub
ein Symbol verlegen vielleicht ihrer Ueberfülle unterliegt.
Frau mit, seine Frau
Der Vorwurf von Schnitzlers Novelle läßt sich, fast wie
hat sein Verhängnis m
alle Schnitzlerschen Werke neueren Datums, leicht auf eine
denn alle sind glücklig
Formel bringen: Die Frau, die erst in dem Sohn den ver¬
haben, und er ist glück
storbenen Gatten liebend erkennt, ihn mit in den Tod ziehend.
weil sie ihn nicht anders halten kann, nicht anders lieben darf geanten, den Gefreite
krüppligen Hottentotte
als in einem Kuß über dem sich schon über dem gemeinsamen
chen, die nur arbeitete
Wassergrab neigenden Bootrand, und ihn nur rein in die Arme
ihm den unentbehrlich
schließen kann, indem sie eigenes Sichwegwerfen im Tode
gekehrt aus der Heim
fühnt.
die Nacht kar
Das Milieu ist das, welches Schnitzler so ziemlich am
Schlagen der See am
besten kennt, worin er sich etwas verräterisch oft aufhält und
yt in der weißen Wi
bewegt; gerade, als ob seiner Phantasie andere Kreise sich
Stumpfsinniger fühlt
verschlössen. Die Menschen haben alle nichts zu tun, und
und dem Keckern der
wenn sie auch Barone, Baumeister, Landrichter, Studenten
nKnurren und
und Schauspielerinnen sind, so ist das alles in ihrem Handeln
dem gemächliche
und
nicht fühlbar, weil sie in der Sommerfrische alle um den See
Aufstampfen der Pfer
herum wohnen oder sich einstellen, der sich in diese ganze Ge¬
Der Holsteiner ah
schichte sozusagen als eine indifferente Notwendigkeit mitten
Er hat ganz recht, der
hineingelagert hat. Und rund um ihn spielen diese leichten
s Ho
dert
Schürzungen des Lebens, die das tragische Ende kaum wert zu
daß n
Sinn
sein scheinen. Aber: ein Künstler wie er ist, Schnitzler wird es
hölzer
nich
uns schon glaubhaft machen! Ein wenig Sentimentalität, ein
il sich's
brach
wenig Wienerische Schlenderei, ein wenig undeutsche Süße:
Aber sie verstand
sie werden uns mit in den Wein gemischt, der Kraft genug hat,
sie. Zwar hielt der
um über dies alles mit einem reinenGeschmack den Sieg davon¬
aber mit immer größ
zutragen.
Muskeln, ganz verzer
Neue Stoffe erobert das Buch von Hans Grimm
unentbehrlich werden;
„Südafrikanische Novellen“.*) Jede stoffliche Erobe¬
los alles wie ein flink
rung ist an sich ganz unverdienstlich für die Literatur und nur
hinaus. Die Frau v#
die Verleger brauchen „die starken, heißen und spannenden
Aber mit Elementen
Stoffe“ für ihre Ankündigungen. Was würden diese Stoffe
dem Buch nützen? Ein Erzähler gehört daran, und ein
Seitdem Dina
solcher ist der Verfasser. Alles ist ehrlich selbst geschaut, selbst
nicht alles zusammen
seinem Weibe zu räch
bewertet, selbst gestaltet. Nicht allzu originell in Haltung und
das kann ohne nach
Führung, aber treffend im fremdartigen Licht, sprachlich nicht
Und während sie ihm
ohne Erfindung, knapp, mit dem redlichen, dem tapfern
seinem Weibe eine O##
Mühen und der redlichen, tapfern Beschränkung des echten Er¬
Und dann wird
zählers. Dafür ist der dankbar, dem tausendfach das Maul
drangsaliert wird von
wässerig gemacht wird, und nachher ist nichts hinter dem Buch.
verstand. Und er rei
Da ist der wildnisfrohe Holsteiner, der in der Heimat
den störrischen Gaul

drei Tage im Stall
*) Rütten u. Loening, Frankfurt a. M,