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u Beate
und ihr Sohn
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28. Fraai
Die Erotik als Schicksal
Karl Rosner
Witwe. Seit dem Tode ihres Mannes, des gefeierten Schauspielers
Heinold, lebt sie zurückgezogen und unberührt von den Versuchungen
des Lebens allein der hingebenden Erziehung ihres Sohnes Hugo, der
an der Schwelle der Jünglingsjahre steht. Er, den sie zärtlich als ihr
Bestes liebt, soll den Verstrickungen des Lebens nicht verfallen. Im
Salzkammergut, in der kleinen Villa am See verbringen sie den
Sommer, und hier glaubt Frau Beate zu bemerken, daß die Baronin
Fortunata, eine nicht mehr ganz junge Frau von reichlich umschatteter
Vergangenheit, den Sohn als Spiel gegen die Langeweile ihrer Tage
an sich zu ziehen sucht, daß Hugo seine junge Leidenschaft auf heimlichen
Gängen zu der Baronin mit dem Pierrotgesichtchen trägt. Zorn und
unklare Eifersucht sind in ihrem beunruhigten und verwirrten Herzen.
Regt sich in Hugo so früh das leidenschaftliche Blut seines toten Vaters?
Oder spricht da ihr eigenes Blut in ihm? Hier rührt sie an den Tiefen
unter der scheinbaren Klarheit ihres Frauentums und weiß: daß ihr
Mann nur darum als Einziger ihr ganzes Leben erfüllt hatte, „weil in
den tiefen Nächten, da ihr sein Antlitz verdämmerte, er ihr immer wieder
einen anderen, einen neuen bedeutete, — weil sie in seinen Armen des
königlichen Richard Geliebte war und Cyranos und Hamlets und all der
andern, die er spielte: die Geliebte von Helden und Bösewichtern, Ge¬
segneten und Gezeichneten, spiegelklaren und rätselvollen Menschen“. Ja,
sie hat selbst „halb unbewußt, nur darum schon als junges Mädchen den
großen Schauspieler sich zum Gatten gewünscht, weil eine Verbindung mit
ihm ihr die einzige Möglichkeit bot, den ehrbaren Lebensweg zu gehen,
der ihr nach ihrer bürgerlichen Erziehung vorgezeichnet schien, und doch
zugleich das abenteuerlich=wilde Dasein zu führen, nach dem sie in ver¬
borgenen Träumen sich sehnte“.
In einen Schlaf versenkt hatten all diese Triebe ihrer Erotik seit
ihres Mannes Tod geruht. Nun sind sie aufgewacht, und jedes Erlebnis,
jede Begegnung macht sie flackern. Aus jeder Männerstimme tönt Frau
Beaten jetzt werbendes Wünschen entgegen, und jeder Männerblick scheint
ihr nach ihrem Körper zu greifen, scheint ihr erfüllt zu sein von heimlichen
Vertraulichkeiten. Sie aber gibt sich widerstandslos, duldend und im
Verborgenen sich danach sehnend dem neuen Zustande hin. Gleichwie
im Traume geht sie durch die Sommertage, in denen Flammen das graue
Kleid verzehren, das sie durch Jahre trug. Dann kommt die Stunde, in
der ein Mann — ein Knabe—nach ihr greift und sie sich ohne viel Besinnen
dem dummen Buben gibt. So wird der Fritzel, Hugos Freund, der um
ein Jahr kaum älter ist als dieser, Beatens Geliebter und teilt ihre Nächte,
macht sie dulden und vergessen, daß Hugo zu der gleichen Stunde bei
Fortunata ist. Immer mehr verliert sie den Boden, auf dem sie bisher
stand. Das Bild ihres toten Mannes verblaßt und schwindet, und nur
die Vielen bleiben, denen sie sich in ihrer Ehe als Geliebte gab, der könig¬
liche Richard, Cyrano und Hamlet, die Helden und die Bösewichter. —
Der glatt gescheitelte Doktor Bertram hat sie im abendlichen Park an sich
gerissen und geküßt — ihr Sträuben war wie ein Gewähren — sie kann
sich denken, daß sie den trüben und schwermütigen Direktor Welponer,
der sie liebt, heiraten — und sich mit einem Jüngeren trösten werde. In
einer Überreizung ihrer Sinne, die alle Umwelt mit Symbolen der Ero¬
tik füllt, lebt sie hin, bis dann in einer Fiebernacht der Verrat des Fritzl
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