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##. Weaernacef Heruld.
3 September 1908.
nen“ Namen Gleißner trägt und seines Zeichens Er war dem Hause wieder nah. Aus Annas
werden, und daher zur künst
Literat ist, erzählt, daß er das Schreiben aufgege= Zimmer, vor dessen Fenster die Vorhänge sich
seiner Persönlichkeit den „Weg
ben habe um sich ganz dem Sport zu widmen. leise bewegten, kam kein Laut. Der alte Doktor
trennt sich von seinem Aennc
Dieser „Sport“ besteht — wie Gleißner kund tut
stand auf der Veranda. Georg eilte hin, mit
etisch, wie die gewöhnlichen
in der Lösung folgender zweier psychologischen
trockener Kehle. „Was ist?“ fragte er hastig.
nein! er spielt seinem Aennchen
Aufgaben, die sich in geistreicher
?) Weise ergän¬
Der Arzt legte ihm die Hand auf die Schulter:
tes „leidenschaftlich= schwermüti
zen. Erstens: ein junges unverdorbenes Geschöpf
„Es geht ganz gut.“ Ein Stöhnen kam von drin,
diese Komposition ist zugleich
aufs furchtbarste zu depravieren und zweitens eine
wurde lauter, wurde ein wilder, wütender Schrei.
arme Aennchen! —
Dirne zur Heiligen zu machen, wie er sich aus¬
Georg strich sich über die feuchte Stirn, und mit
Der Dichter schildert uns di
drückt. Er verspricht nicht zu ruhen, ehe die erste
bitterem Lächeln sagte er zum Doktor: „Das hei¬
von „Verhältnis=Lösung folg
in einem Freudenhaus, die zweite in einem Kloster
ßen Sie, „es geht ganz gut“
erleichterte Georg sehr, daß
endet“.
Stück vorspielen durfte. Sie
Der Arzt zuckte die Achseln: „Es steht ge¬
schrieben, mit Schmerzen sollst du ...
Trotz dieses unmoralischen Flitterbehanges, womit
was diese Töne zu ihr sprachen
In Georg lehnte sich etwas auf. Er hatte nie
möglich, daß sie es nicht ver
Schnitzler seine Wiener Juden malerisch“ dra¬
He
an den Gott der Kindlich=Frommen geglaubt, der
selbst gleichsam sprechen aus
piert, sind diese Herrschaften weit davon entfernt,
als
Erfüller armseliger Menschenwünsche, als
ihm war, als verstände er
wirkliche Genußmenschen zu sein. Selbst der vor
Rächer und Verzeiher kläglicher Menschensünden
selbst. Leb wohl Geliebte, leb
Talmi=Geistreichigkeit triefende Bermann ist dem
sich offenbaren sollte. Dem Unnennbaren, das er
Und nun ist es vorbei.
weiblichen Geschiecht gegenüber nur ein elender
Stümper und Tropf. Er liebt nämlich
jenseits seiner Sinne und über allem Verstehen
.Was uns beiden gemein
wie wir
schon oben angedeutet haben —
im Unendlichen ahnte, konnte Beten und Lästern
haben wir durchlebt. Und was
eine kleine Schau¬
nichts anders sein, als arme Worte aus Menschen¬
spielerin. Diese kleine Schauspielerin aber hat
für mich und für dich, wir w#
wie das manchmal schon so is
mund
Unvergeßliches bedeuten. Nun
ein großes Herz.
.Und deines
Na, schließlich hat alles auf der Welt sein Ende,
Durch anonyme Briefe wird nun Bermann davon
andern Weg:
in Kenntnis gesetzt, daß er bei seiner Donna absolut
also auch solch eine „komplizierte Sache“ wie sie,
sein .. Ich hab dich gelieb
keine Vorzugsrechte hat, sondern nur einer von
dir,
(das hingebungsvolle Aennchen durchmachen muß.
Augen
. Ich danke
vielen ist. Trotzdem aber liebt Bermann ruhig
Geliel
Aennchen schenkt ihrem Geliebten einen Stamm¬
Schweigende. Leb wohl,
halter, aber leider einen toten!
Die Töne verklangen. Er h
weiter, indem er der vielleicht nicht unpraktischen
Dieser casus criticus gibt Schnitzler die Gele¬
Tasten aufgesehen, während er
Ansicht ist, daß man gewisse Damen als eine Art
er sich langsam nach ihr u
Aktien=Unternehmen ansehen müsse, bei dem man
genheit, seinen Helden über totgeborene Kinder
im allgemeinen und im besondern philosophieren
zitternden Lippen stand sie
ja schon mit einer guten „Dividende“ zufrieden
ist!
zu lassen:
ihre Hände und küßte sie. „
rief er aus. Das Herz wollte
Georg stand regungslos da, starrte immerfort
Uebrigens sind aber nicht nur die üdischen Salon¬
das kleine Wesen an und es erschien ihm wie
„Vergiß mich nicht ganz“, sa
lömen in dem Schnitzlerschen Romane etwas wurm¬
Nun, was sagt der Leser zu
ein Gebilde von ungeahnter Schönheit. Er berührte
stichig, sondern ebenso auch die jungen jüdischen
ilerschen Erfindung? Ist es nich
Wangen, Schultern, Arme, Hände, Finger. Wie
Damen. Da ist eine wunderbar kluge jüdische Jung¬
nach dem Schnitzlerschen Reze#
rätselhaft vollendet dies alles war. Und da lag
frau —
Therese Golowski —,
die ihr ganzes jung¬
loswerden zu können?
es nun, gestorben, ohne gelebt zu haben, bestimmt
fräuliches Dcsein der Propagierung sozialdemokra¬
Es ist wirklich zu befürch
von einer Dunkelheit durch ein sinnloses Nichts
ticher Idren widmet. Das hindert sie aber nicht,
hindurch in eine andere einzugehen. Da lag dieser
Schnitzlersche Trennungs=Men
mit einem jungen und reichen Husarenoffizier sich
kannt wird, es keinen Jung
süße, kleine Leib, der fürs Dasein fertig wer und
ein paar Monate Italien anzusehen, und die teuren
mehr gegeben wird!
sich doch nicht regen konnte. Da schimmerten große
Reisespesen mit „minniglichem Solde“ zu begleichen.
Doch im Ernst gesprochen: A
blaue Augen, wie in Sehnsucht das Licht des
In diesem Milien, das von Liebe, die zu nichts
ler mit seinem neuesten Romal
Himmels in sich einzutrinken und todesblind, eh
verpflichtet, gesättigt ist, und in dem die handeln¬
daß ein junger Mann aus
sie einen Strahl gesehen. Da öffnete sich wie dur¬
den Personen die Unmoral als Kennzeichen gei¬
stig ein kleiner, runder Mund, der doch nie an den
noch dazu mit Kunstinteressen
stiger Superiorität betrachten, muß unser „braver“
Brüsten einer Mutter trinken durfte. Da starrte
gute Recht hat, nette Bürger
Georg natürlich die letzten Reste seines germani¬
um sie dann „nach Noten“ sitz
dieses bleiche Kindergesicht, mit den fertigen Men¬
schen Pflicht = und Sittlichkeits=Gefühls allmählich
Art von „Herren=Moral“
schenzügen, das nie den Kuß einer Mutter, eines
einbüßen. Eine Zeitlang scheint es freilich so, als
der Persönlichkeit junge Mädch
Vaters empfangen und spüren sollte. Wie liebte
ob das sanfte Aennchen, das der Ehe Freuden vor¬
er dieses Kind! Wie liebte er es jetzt, da es zu
der Metzger — Kälber, läßt
schußweise gewährt hat, doch noch Aussicht hat,
durch einen ästhetisch angelegt
spät war. Eine schnürende Verzweiflung stieg in
Baronin von Wergenthin zu werden. Denn Georg
seine Kehle. Er konnte nicht weinen. Er dachte
gen, oder auch nur halbweg
hat — obgleich dies eigentlich bei „Verhältnissen“
des Tages,
Das fühlt wohl auch der
an dem sein Vater gestorben war.
nicht streng modern ist
ein großes Faible
Ein wilder Schmerz hatte ihn damals überfallen;
läßt er die Moral seines Haupth
dafür, nicht bloß Vater zu werden, sondern es
ein braver Junge ist, von der
doch er hatte weinen können, und die Erde war
auch zu sein. Und Aennchen, das seinem Georg
ral der Wiener Ueber=Juden
nicht mit einemmal dunkel und leer geworden.
alle Wünsche erfüllt ist in der erfreulichen Lage,
Aber das, was diese Wien
Sein Vater hatte doch gelebt, war einmal jung
ihm auch den Wunsch nach Vaterfreuden erfüllen zu
„der Weisheit letzten Schluß“
gewesen, hate gearbeitet, geliebt, Kinder gehabt,
könn n.
nerlich hohl und nichtssagend!
Freuden und Schmerzen erfahren. Und die Mütter,
Das ist ja nun von dem sanften Aennchen sehr
Was soll es z. B. bedeuten,
die ihn geboren hatte nicht umsonst gelitten. Und
lib gehandelt: weniger lieb ist es dagegen vom
Bermann gewissermaßen die Oi
wenn er selbst heute hätte sterben müssen, so früh
Dichter gehandelt, daß er uns die Entbindung
Romans in die folgenden
es gewesen wäre, er hatte, doch ein Dasein hinter
Aunnchens auf das Genaueste beschreibt,
o daß
Glauben Sie mir, Georg, es gi
sich erfüllt von „Licht und Tönen Glück und Lei¬
wir uns durch ganze elf Druckseiten durchfressen
ich die Menschen mit der sogena#
den Hoffnung und Angst, durchflutet von allem¬
müssen, ehe das arme Aennchen von seinen Schmer¬
beneide. Ich, wenn ich eine wo
Inhalt der Welt. Und wenn Anna heute dahinge¬
zen erlöst ist und wir von der technischen Beschrei¬
ben will, ich muß mir immer sel
gangen wäre in der Stunde, da sie einem neuen
bung dieser Schmerzen!
Das ist anstrengend für jemand
Wesen das Leben gab, sie hätte gleichsam ihr Los
Um dem Leser eine kleine Probe von dieser
Gott ist.“ —
erfüllt und ihr Ende hätte seinen grauenvollen,
recht ungewöhnlichen Art, der Schnitzlerschen
Allerdings, wenn man keine
aber tiefen Sinn gehabt. Doch das, was seinem
„Muse“ zu
geben setzen wir einige Zeilen dieser
anschauung hat, so kann man
Kind geschehen war, war sinnlos, widerwärtig,
Detailschilderung hierher:
minnigliche Mädchenleiber hi
ein Hohn von irgendwoher, wohin man keine Frage
Erst seit die Schmerzen über Anna gekommen
Freie“ finden!
und keine Antwort senden konnte. Wozu, wozu das
waren, schien sie Georg entrückt, wohin er ihr
Aber ehrlich gesagt, ist man ga
alles? Was hatten nun diese vorhergegangenen
nicht folgen konnte. Gestern noch war er stunden¬
Monate zu bedeuten gehabt, mit all ihren Träu¬
Weltanschauung zwar nicht „d
lang an ihrem Bett gesessen und hatte ihre Hände
aber entweder —
men, Sorgen und Hoffnungen? Denn er wußte mit
— ein gewissenl
in den seinen gehalten. Sie war geduldig ge¬
ein ästhetischer Trottel!
einem Male, daß die Erwartung der wunder¬
wesen wie immer hate sich sorglich erkundigt, ob
Letzteres ist der „berühmte“ A
baren Stunde, in der sein Kind geboren werden
er nur seine Ordnung im Hause habe, hate ihn
zu werden, ist Georg auf dem
sollte, immer, Tag für Tag, auch am nüchternsten,
gebeten zu arbeiten, spazieren zu gehen wie bis¬
So endet Schnitzlers „Weg i
leersten und leichtfertigsten, in der Tiefe seiner
her, da er ihr ja doch nicht helfen könnte, und ihn
wirklich befreienden Gedanken.
Seele gewesen war; und er fühlte sich beschämt,
versichert, daß sie ihn noch mehr liebe, seit sie
Es ist kein Weg ins Freie,
verarmt, elend..
leide. Und doch, Georg fühlte es, sie war in diesen
wird, sondern in Wahrheit ein
So hat denn das arme Aennchen, das sich doch
Tagen nicht dieselbe, die sie gewesen. Besonders
gasse eines falsch verstandenen
die größte Mühe gegeben hat, den Geliebten zu¬
wenn sie aufschrie
so wie heute vormittag in
sönlichkeit führt!-
frieden zu stellen, auch die letzte Chance, Frau
den schlimmsten Schmerzen
war ihre Seele
Baronin zu werden, verwirkt. Doch Georg, der
so weit weg von ihm, daß ihn schauerte.
auf dem besten Wege ist, ein großer Künstler zu
BTEA
N 2
Turnverein „Palm
der