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Hermann Bahr: Tagebuch
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ich glaube nicht, daß sich das durch ein Gesetz ändern läßt. Ich muß auch gestehen, daß es
mir durchaus unbegreiflich ist, wie man darunter leiden kann. Mich haben gewiß viele
tausend Menschen gern, aber ich habe in meinem ganzen Leben noch keine Minute darüber
nachgedacht, es hat mich immer gefreut. Was ist das für ein Wunsch, von aller Welt
geliebt zu sein? Ich stelle mir das gar nicht so schön vor.
12. Juni. Lustig, im Garten zu liegen, die Rosen und den Wind und die Sonne
zu spüren, während die Pappel sich biegt und die Linde blüht, und zu denken, daß einst¬
weilen dort unten, weit, dort im Dunst, der Adel jetzt über den Ring schwitzt, mit Ver¬
gangenheit kostümiert.
13. Juni. Auernheimer erzählt vom gestrigen Festzug: „Lachend saß Rudolf von
Habsburg zu Pferde, den wir uns doch eher streng und ernsthaft denken. Aber sein Lächeln
eroberte ihm die Wiener. Als er erschien an der Spitze des Zuges, sein Pferd im Gruß
parierend und zum Publikum lachend, da war das Glück dieser Veranstaltung eigentlich
schon entschieden. Und es bedurfte nur des ermunternden Zurufs eines seiner Mannen, der
jovial „Applaudieren! Applaudieren! ins Publikum rief, um den Beifall auszulösen, den
nur eine gewisse dynastische Scheu noch zurückhielt.“ Das ist ein Zug, den man auf¬
bewahren muß. Das ist dieses Festzuges kostbarster Zug. Das ist ein Zug, der unsere ganze
Stadt enthält. Ich sehe den lachenden Grafen vor mir, der nach dem Rudolf von Habsburg
nichts fragt, sondern nur um jeden Preis gefallen will. Und ich höre, wie der von seinen
Mannen, mit der Hand winkend, in die Menge ruft: „Applaudieren! Applaudieren!“
Und da kann die Menge nicht mehr widerstehen. Ich höre das, ich höre diesen Wiener
Ton: „Applaudieren! Applaudieren!“ Jovial, sagt Auernheimer. Jovial, ja, wie man es
bei uns ja auch nur immer derauf an. einen zu finden, der der Menge zuruft: „Applaudieren!
Applaudieren!“ Dies nenni man: eine Partei bilden. Aber die ganz Feinen besorgen es
für sich sogar selbst. Die Form wechselt, der Inhalt bleibt: „Applaudieren! Applaudieren!“
Und damit ist hier „das Glück jeder Veranstaltung eigentlich schon entschieden“. Auern¬
heimer fragt: „In welcher anderen Stadt wäre das möglich?“ Er hat recht. Nein, das
macht man uns nirgends nach.
O Harden, Schnitzler, Goldbeck, o Ihr, die Ihr über den Byzantinismus in
Preußen klagt! Ach: Tage Wien möchte ich Euch einmal wünschen. Was wißt denn Ihr?
Ich mag den preußischen Byzantinismus auch nicht. Aber er hat eins: er ist nicht aggressiv,
man kann ihm aus dem Wege gehen, er läuft Euch nicht nach! Während einen dieser
hier auf offener Straße anfällt und umarmt und nicht ausläßt und Krämpfe kriegt und den
Veitstanz hat und sich wälzt und heulend durch die ganze Stadt springt. O Harden,
Schnitzler, Goldbeck, acht Tage nur hätte ich Euch gern einmal hier.
15. Juni. Und nun der große Katzenjammer. Der Festzug hat ein Defizit. Wer
soll den Spaß bezahlen? Der Adel ist empört über die Zumutung. Mit Recht. Er würde
seine Tradition verraten, die es immer war, die Zeche großer Herren zu machen, dann aber
den Wirt zu prellen. Und es werden sich schon ein paar dumme Juden finden.
16. Juni. Lese Lichtenbergs Briefe, in der vortrefflichen Ausgabe von Albert Leitz¬
mann und Karl Schüddekopf, Dieterichsche Verlagsbuchhandlung, Leipzig. Man hat solche
Stunden, wo man sich in einem fort nur sagen muß: Halte Dich an den Verstand an, das