Faksimile

Text

box 3/2
Neg ins Freie
23. Der
EL a 4 1
Seita T.
20. Növemter Tees
PTeidez-Liden
Nr. 320
Wien, Freitag
logische Hauptsache war, ist gar nicht weiter erörtert. Erwähnt
muß er werden, weil er allein Isolden entschuldet. Frühere Be¬
Feuilleton.
arbeiter plagten sich weidlich mit dieser Frage. Bei manchen bleibt
diese Liebe überhaupt „keusch“, in Dänemark küßt Isolde erst
Burgtheater.
den toten Tristan und der Papst spricht sie beide heilig. Hardt läßt
vieles im Unklaren schweben und einige Zusammenhänge
(„Tantris der Narr“, Drama in fünf Aufzügen von Ernst Hardt.)
sind überhaupt nur dem Kenner der Tristangeschichte ganz
„Als Tantris hier und dort Tristan.“
(Isolde.)
hell. Er geht den Stoff als moderner Nervenschilderer an. Wie
Hofmannsthal in seinen Elektrastücken eigentlich nur die Regie¬
„Der Kampf ums Rosenrote“ heißt ein Lustspiel des sympa¬
bemerkungen früherer Uebersetzer ausführlich dramatifiert. Bei den
thischen Weimarer Dichters Ernst Hardt. Die Väter sind darin noch
Griechen hört man zwei Schreie, Klytämnestra ist tot.
Philister, die Kinder nicht mehr. Natürlich leugnen die Väter das
Bei Aegisth ist schon ein Schrei „im Hause“ genug. Bei Hofmanns¬
Rosenrote, für die Kinder aber gibt es nur dieses. Auch Ernst
thal wird das alles gespielt, für Aug und Ohr, mit Hand und
Hardt ist ein solches Kind. Auch er kämpft um das Rosenrote; be¬
Fuß. Abschlachtung, zu der die Nerven ihre ganze Polyphonie er¬
sonders wenn es ins Himmelblaue schillert und pechkohlrabenschwarze
klingen lassen. Ebenso bei Gerhart Hauptmann, im „Armen
Schlagschatten wirft. Wenn recht viel Leben und Tod dabei ist und
Heinrich“. Wie dort Ottegebe die wirkliche Heldin ist, die große
Himmelslust und Höllenqual. Darum flüchtet ja die Welt, sobald
Nervendame des Stuckes, deren Hysterien dramatisch ausgestaltet und
sie wieder einmal romantisch wird, in die Sage zurück. Ins schöne
ausgedeutet werden, so bei Hardt Isolde. Tristan ist nur eine un¬
Mittelalter, wo es teils so still, teils so toll herging, so blöd und
heimliche, verfängliche Arabeske um sie her. Ernst Hardt will vor
klug durcheinander, wo die bunten Mären blühten, in denen jeder
allem die Seele Isoldens ausmalen, in allen ihren Entfärbungen
sein leises Sehnen wiederfand und sein glühendes Verlangen. Das
und Polarisierungen der Stimmung, bis ins Unbewußte hinüber.
waren denn ewige Cloffe, an denen die Jahrhunderte weiterkauten
Im ersten Akte ist Isolde Goldhaar zehn Jahre von dem
und verdauten. Tristan und Isolde; seit Richard Wagner wieder
„treulosen“ Tristan getrennt, der mittlerweile Isolde Weißhand ge¬
den meisten Menschen ein Stück Seele. Was gibt es denn Elemen¬
heiratet hat. Sie flucht ihm, das heißt sie liebt ihn. Schwebende
tareres, als wie Meister Gottfried von Straßburg es so unerhört
Pein in mancherlei Schattierungen. Dazu dumpfe Angst vor dem
lapidar ausdrückt:
eisernen Herzog Denovalin, der sie durchaus besitzen will und aus
„ein man, ein wip; ein wip, ein man:
Tristan, Isolt; Isolt, Tristan!“
Eifersucht das Paar schon einmal auf den Holzstoß gebracht hat
(„Gott blies das Feuer aus") und nun noch Schwärzeres droht. Er
Unsere neuromantische Zeit konnte nicht umhin, neuen Geschmack
hat Tristan im Walde reiten sehen, im Morgennebel. Er ist wieder
zu gewinnen an den alten Schmackhaftigkeiten, von ungebrochener
da, und darauf steht der Tod für sie beide. Damals, vom Holzstoß
Naturkraft und unauslöschlicher Flamme. Die zwanziatausend Verse
weg, wurde er verbannt, und sie unterschrieben beide mit Blut den
Meister Gottfrieds sind den Leuten zwar zu zahlreich, zumal man
Vertrag: Tod, wenn er jemals wiederkehrt. Und noch ein Eid,
auch noch die Fortsetzung dieses Kolossaltorsos, von Heinrich von
zwischen Tristan und Isolde selbst. Wenn ihn je irgendwo irgendwer
Freiberg, dazulesen müßte. Aber der köstliche Prosaroman, in seinen
in ihrem Namen stehen heißt, werde er stehen; und wenn ihr je
verschiedenen letztmodern ausgestatteten Neubearbeitungen, liest sich so
irgendwer irgendwo ihren Ring mit dem grünen Stein bringt, wird sie
prickelfrisch und herzenswarm zugleich. Der Pariser Bedier hat damit
dem Ringe folgen. Und nun will Denovalin Tristan in Isoldens Namen
vor einigen Jahren Marktglück gemacht uno seine schöne Verdeutschung
angerufen haben und der Ritter sei geflohen. Neuer Verrat also.
desgleichen. Und der gediegene Tristanforscher Wolfgang Golther
Im zweiten Akte steht Isolde, von Denovalin angeklagt, vor ihren
brachte voriges Jahr sein überaus lesenswertes Buch: „Tristan und
*
Richtern. Erst hier erfährt man genaues, nch all dem Erratenlassen
Jolde in den Dichtungen des Mittelalters und der neuen Zeit
im dunkel gestimmten ersten Akt; Ibsensche Methode. König Marke
(Leipzia, Hirzel), darin erscheinen die sua fata dieses Libells an
wütet. Ihm hat der Dichter üverhaupt die Fähigleit der Wut ver¬
sich schon wieder ganz romantisch. Was haben die Völker
liehen, da der herkömmliche Biedermann heute zu schlechte Figur
und ihre Sprachen nicht alles am Tristan herumgedichtet diese acht
macht. Es wird sogar eine Schauermär erzählt, von einem auf sein
Jahrhunderte hindurch. Selbst die Byzantiner in ihrem verspäteten
Geheiß gebratenen Herzen. Isolde ist würdig, königlich, spricht aber
Griechisch. Selbst die Insulaner der Faröer, bei denen, nebenbei
zu viel und gut, in so verzweifelter Lage. Sie weiß ja schon, daß
gesagt, Tristan am Schlusse gehängt wird. Ländlich sittlich. Denn
der Holzstoß keine leere Drohung ist. Sie schließt den szenisch arefflich
das Schicksal dieser beliebten Liebenden seltsam herauszuputzen,
geführten Akt mit einem neuen, hochpathetischen, aber recht zwei¬
brachte allezeit Chance beim Publikum. Und wie seltsam! In
deutigen Haupteid, daß sie tatsächlich keinen geliebt, als den Mann,
einer Bearbeitung sehnt sich Jsolde, mit Tristan im Bauche des
der sie zum ersten Mal bräutlich umfangen. So tat sie schon vor
nämlichen Meerfisches begraben zu sein. Ganz reizende Nüancen erfinden
dem ersten Holzstoß und Gort hat ihr damals geholfen. Auch Gott
die Dichter, den Fall zu illustrieren, z# illüminieren vielmehr. Forderte
scheint mit dem Publikum Meister Gottfrieds zu sein, das sich in der
nicht der Liebestrank etwa geradezu zum Erfinden auf? Bei einem Poeten
Poesie unbedenklich für die Liebe erklärte und alle List, allen Lug
leckt Tristans Hund Husdan den Becher des Liebestrankes hinterher
und Trug der Liebenden mit schadenfroher Zustimmung begrußte.
aus; daher seine fabelhafte Treue zu seinem Herrn. Bei Immermann
Heute sieht das natürlich in einem gesprochenen Drama anders aus.
wirft Brangäne den geleerten Becher ins Meer, worauf ein gro߬
Man mußte es eben machen können. Einem Hebbel etwa wäre es
artiges Meerleuchten entsteht. Immer wieder die wundertätige Welt¬
zuzutrauen, der ginge aber dem Eid, ob rein ob „mein, mit seiner
macht des Liebeszaubers. Die ganze Schöpfung beugt sich ihm; der
haarscharfen Loaik an den Leib. In dieser ganzen Luft schwirrt es
Hund, das Meer, wie nicht auch „ein Mann, ein Weib“? Natur¬
so von Eiden, Schwüren, Gelübden, Verträgen kreuz und quer, von
kraft, Weltgesetz, das war im allgemeinen Bewußtsein die unsterb¬
überflüssig vielen sogar, denn nicht aus allen werden wirklich Folge¬
liche Entschuldigung jeder möglichen Eheirrung. Selbst die falschen
rungen gezogen, sie haben nur gelegentlich als Hilfen für eine
Unschuldseide, die Isolde mit heutzutoge etwas störender Geläufig¬
Situation zu dienen. So später der grüne Stein. Und bei alledem
keit schwört, waren im vorhinein entschuldigt; sie selbst war ja
ist so viel Hinterhältigkeit, galanter Betrug; Isolde ist die Heldin
wirklich unschuldig, denn der Liebestrank war der Verbrecher. Dem
der reservatio mentalis. Man begreift, daß König Marke nach ihrem
hätte König Marke selber nicht widerstanden. Der neuzeitliche
neuen Eidschwur ratlos ausruft: „Schütz mich vor ihren Schwüren,
Dichter ist da wahrlich in einer argen Klemme; d. h. wenn er
wer mich liebt!“
kein Genie ist wie Richard Wagner. Sein niemals irrender
Nun, den Holzstoß erläßt er ihr, aber er „schenkt“ sie den
dramatischer Instinkt, der stärkste seit Schiller, und vor diesem
Siechen von St. Lubin. Er macht sie zur „Braut“ sämtlicher Aus¬
vor diesem seit jenen drei Griechen, griff
seit Shakespeare, und
sätzigen der Provinz. Und schon kommen sie herangeklappert, die
mit sicherem Finger sofort das verhängnisvolle Räochen in der
vielen armen Heinriche und wollen ihr Teil an ihr. Das ist der dritte
Maschinerie und rückte es zurecht. Bei ihm glauben „diese zwei lieben
Akt, die schauerliche Szene im Burghofe, wo der Henker ihr Krone
Menschen“ (wie der alte deutsche Roman sie nennt) den Todesbecher
und Purpurmantel abnimmt und ihr dann entschuldigend den Fuß
zu trinken; daß es durch Brangänes Schuld der Liebesbecher ist,
küßt. Nackt, nur vom Mantel ihres blonden Haares umwallt, soll
wissen sie nicht. Dann wirkt „das unselig getrank“ mechanisch weiter.
sie dastehen. Isolde Blondhaar, die immer blonder wird; so sagt
Freilich hat er nur eine Liebe entfesselt, die schon vorher da war,
König Marke schon im ersten Akt. Es herrscht förmlich ein Haar¬
und das erhebt das Liebespaar wieder zu dramatischem Selbstleben,
chismus in dem Stucke. Mit der Nacktheit findet die Bühne sich .
Schick
nang D