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23. Der Neg ins Freie
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Burahard keine Meiniichonie der Weidneit sein, deiin er
flüchtet sich, menschlich ergriffen, in eine reine Phau¬
asie des Geistes. Ein glückliches Temperament, ein lusti¬
ges Temperament. Auch im rein Formalen. Daher der
Knackser, der durch den Roman geht. Vor ihm ein Leben
der Wirklichkeit, streng real, aber herzlich erlebt, mit pla¬
stisch geschauten Menschen, einprägsam und menschlich er¬
greifend, nach ihm eine geistreiche Phantafie, die dem
Dichter plötzlich mehr Freude machte als die reale Weiter¬
führung. Was gewiß sehr ehrlich ist. Und Ehrlichkeit sollie
nie mit kunstrichterlichen Bedenken bestraft werden.
Der Roman Hermann Bahrs „Die Rahl“ er¬
öffnet einen Zyklus von zwölf Bänden. Der verbindende
Gedanke: Die Fülle aller Erscheinungen von Menschen
läßt sich zurückführen auf einige Typen. Den Menschen
eines Typus ist es von der Natur niemals gegeben, sich
restlos zu erfüllen. In diesem kommt mehr der Teil zur
vollen Erscheinung, in jenem mehr ein anderer. In kei¬
nem aber der ganze. Aufgabe des Dichters ist es nun,
an einem Menschen den Typus zur vollendeten Reife zu
bringen. In der „Rahl“ ist es die Schauspielerin an sich.
Und wunderbar ist an diesem Roman, der doch ganz aus
dem einen Gedanken herausentstand, von welcher Leben¬
digkeit er erfüllt ist, einer lebendigen Wahrheit, die fast
körperlich wirkt. Man fühlt: nicht einer, der über dem
Leben steht, der es aus der Ferne mit Ruhe betrachtet
und wägt, spricht zu uns, sondern einer, der mitten
dvinnen im Leben steht, den es schüttelt und zaust, und
der seine Freude daran hat. Dazu noch eine eigentüm¬
lich suggestionsfähige Sprache voll Festigkeit und Glanz;
und der äußerst kunstvolle Bau des Romans. Eigenschaf¬
ten, die man in dieser Reife auch an Bahrs letztem No¬
vellenband „Stimmen des Bluts“ bewundern
konnte.
Artur Schnitzler wollte vielleicht seinem Romane
„Der Weg ins Freie“ das Problem der Wiener
Gesellschaft und der Stellung der Juben innerhalb der¬
selben zugrunde legen. Was auch gewiß geschehen ist, in
überlegener, objektivierter Weise. Aber dieses Problem
hat dem Romane nur das Milieu gegeben, ist nicht Selbst¬
zweck geblieben. In diesem Milicu spielen die Schicksale
der Liebe zweier Menschen. Und es ist wieder der Zwei¬
klang von Liebe und Tod, der wehmütig und innig, in
unerhörtem Stimmungsreichtum das Buch durchzieht.
Letzte Geheimnisse menschlicher Psychen werden von feiner
und zarter Hand bloßgelegt. In ganz wunderbarer Weise
ist diese ungeheure innere Fülle zur strengen Form des
Romanes gestaltet.
Innerlich bereichert fühlt man sich durch diese drei
Bücher (Verlag S. Fischer, Berlin.) Eine Bereicherung,
für die man gerne dank n möchte. Und eine Bereicherung,
zu der man auch andere weisen will, die sie suchen. E. B.
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burg, Toronto.
(Quelienangabe okue Gewähr).
Ausschnitt aus Heimgarten, Graz,
12.1908
vom:
Der Weg ins Preie. Von Arthur
Schnitle (Berlin. S. Fischer.
Der Lebensausschnitt aus einem Kreise
der Wiener Gesellschaft, den der Autor hier
gibt, ist weniger ein neuer Beweis für seine
starke Künstlerschaft, als vielmehr eine inter¬
essante Perle feinster intellektueller Beobach¬
tung und einer meisterhaften Psychologie.
Jede Art Pose liegt ihm fern; mancher wird
vielleicht eine schärfere Milieuschilderung ent¬
behren. Schnitzler scheint sich der männlichen
Unfähigkeit, in die zartesten Regungen weib¬
licher Psychen einzudringen, bewußt zu sein,
veshalb er auf die Charakterisierung der
Frauengestalten diesmal lieber beinahe ver¬
zichtete, um seine ganze tiefblickende Sorgfalt
der Zeichnung den männlichen Figuren zu
widmen; dabei sind ihm hie und da die
Frauenbilder allzu konventionell geraten.
Aber fügt man sogar noch bei, daß die geist¬
reichen Dialoge über die Judenfrage trotz
mühsam angestrebter Objektivität tendenziös
anmuten, so müßte gleichwohl der „Weg ins
Freie“ als die feinst durchdachte und abge¬
rundetste Arbeit Schnitzlers bezeichnet werden.
Es ist ein feines, interessantes Buch.
I. L. P.