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ins Freie
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23. Der Ne
Anenen un S uneneneneentenenenen
dem übermütigen Anschwellen des Slaventums, dem
langsamen und alles zermalmenden Vordringen des
Klerikalismus. Wo ist das zuckende Leben der Gegenwart
in euren Büchern? Wo lebt ihr denn ? Wißt ihr nicht,
daß ihr eine, Heimat habt?
Der Artist antwortete mit einem schmerzhaft=ironischen
Lächeln. Das Parlament, die deutschböhmische Frage,
Freiheit der Schule, des Glaubens, der Kampf gegen
Klerikalismus, die soziale Frage, das alles kannte
wohl vom Hörensagen, doch es ging ihn nichts an. Das
oll
ist nicht Aufgabe der Kunst, meinte er. Die Kunst
in
gleichsam eine Freistatt der höheren Menschen sein, wo
vo
die Schmerzen und Sorgen des Tages nicht dringen,
alles Köstliche und Wertvolle der Vergangenheit und
Die
Hoffnungen fernster Zukunft gesammelt würden.
Kunst für die Kunst!
Und so blieb es mit unserer Literatur bis in die
letzten Jahre. Da besann man sich plötzlich. Das Un¬
fruchtbare aller Romantik, der sich selbst verzehrende
Egoismus des Aesthetentums trat zu Tage. Seine Schätze
wurden ausgenossen. Seine Blender verloren ihre Macht.
Die jüngsten Talente und die reicheren Naturen unter
den Aestheten selbst empfanden, daß sie des großen Lebens
doch nicht entbehren können.
Und so scheint sich eine neue Epoche der öster¬
reichischen Literatur zu entwickeln, die diesen Namen e#
verdient. Denn die Kunst der Aestheten war weltentrückt
oder zumindest kosmopolitisch, mit allen Kulturen und
allen Kostümen der Vergangenheit bekleidet. Eine Lite¬
ratur des Lebens aber kann in Oesterreich nur national
sein. Sie muß Farbe bekennen in den großen politischen
und religiösen Fragen, sie muß — wenn sie als Kunst
auch die Tendenz zu meiden hat — von einer Gesinnung
getragen sein. Sie muß rechts oder links stehen. Sie
muß vor allem von den großen Kämpfen der Zeit
wissen....
Im Jahre 1858 schrieb Grillparzer: „Dichten heißt in
fremdem Dasein eignes leben.“ Diese Definition paßt
auf alle Lebens dichter, wie man die Antipoden der
Aestheten, der Erlebens dichter, nennen könnte. Grill¬
parzers tiefes und wahres Wort verkehrend, könnte man
im
von den Aestheten sagen: Dichten heißt ihnen,
eigenen Dasein fremdes leben. Sie projizieren sub¬
jektiv alles äußere Leben zu innerem Erleben. Ihre
Dichtungen sind stilisiert, schreiten in allen Kostümen ver¬
gangenee Kulturen einher. Der Aesthet hat die wand¬
lungsfähigste Seele. Bald fühlt er sich als griechischer
Held, bald als Blutmensch der Renaissance, bald als
mittelalterlicher Minnesänger. Er dichtet Griechendramen,
Renaissancenovellen, mittelalterliche Romanzen. Aber das
helle Leben rings um ihn bleibt ihm fremd. Sieht er
einmal hinein, so wendet er den geblendeten Blick ängst¬
lich oder mit überlegenem Spott weg. Er denkt nicht
daran, daß auch diese Gegenwart ihre Rechte hat, daß sie
M
ebenso wertvoll und interessant ist wie die vergangenen
grei
Epochen der Geschichte, und daß diese verachtete Gegen¬
die
wvart in einigen Jahrhunderten später den Aestheten der
es
Zukunft Anlaß geben könnte, wieder an ihrer
zu
eigenen Gegenwart müde und überlegen vorbeizu¬
akti
schreiten.
dich
Zum vollen Genuß und zur restlosen Erkenntnis der
Gegenwart tut eines not, gleichermaßen für den, der
ie ganz leben, als für den, der ihrer dichterisch Herr
ban
werden will: Kraft, oder vielmehr Gesundheit und Kraft.
hat.
Und so ist es auch in Oesterreich eine Gesundung und
Klir
Kräftigung des literarischen Schaffens, wenn die Dichter
ich vom Romantizismus und Stilismus allmählich wieder
Reg
abwenden und mutig in das brausende, von neue un¬
Ma
bekannten Gewalten bewegte Leben der Gegenwart
werl
tauchen.
mit
In der Romanliteratur der letzten Jahre ist die
Wegrichtung von den gepflegten und reschützten Gärten
des eigenen Ich zum Hinaus ins Freie, in das offene
Land des Volkes, der Klassen, der sozialen und poli¬
tischen Kampfplätze deutlich zu merken.
den
Arthur Schnitzler und Hermann Bahr, eine Zeitlang
reich
ganz in Banden des Aesthetizismus, haben den „Weg ins
alles
Freie“ gefunden. Schnitzlers letzter Roman ist ein ern
steckt
und bedeutsamer Versuch, sich aus allzu literarischen, für
den Genuß der Feinschmecker geschaffenen Stoffen zu be¬
freien und ein großes, soziales Bild der Wiener bürger¬
lichen Gesellschaft zu entwerfen. Hermann Bahr hat mit
a
dem Roman „Die Rahl“ einen ganzen Zyklus öster¬
wegi
reichischer Kulturromane begonnen, in welchem er, dem
großen Beispiel Balzacs nacheifernd, ein Mosaikbild
und
inseres ganzen Lebens schaffen will.
und
Rudolf Hans Bartsch hat in seinen prachtvollen
Ordi
Romanen „Sieben aus der Steiermark" und „Die Haindl¬
turen
kinder“ eine bezaubernde Mischung beider Stile versucht.
Bede
Max Burckhard, der einzige vom Aesthetizismus ganz
freie österreichische Romancier, hat in allen seinen Ro¬
manen, mehr von politischen und sozialen Instinkten als
Fakt
von bloß ästhetischen Absichten getrieben in „Jakob Wun¬
Ein
derlich“, „Der Insel des Seligen“, lebensvolle Gemälde der
Unit
Gegenwart entworfen.
Gest
Und nun mehren sich die Zeichen der Umkehr. Junge
Ach
unbekannte Autoren springen gleich mit ihren Erstlingen
schin
mutig in dieses wirre und schwankende Leben des öster¬
Dem
reichischen Staates, seiner mannigfaltigen Gesellschafts¬
rißt.
bildungen, seiner nationalen, sozialen und politischen
Kirdh
Kämpfe.
vor
Eise Jerusalem hat mit ihrem neulich erschienenen
diese
Roman „Der heilige Skarabäus“ mit großem Mut in die
Perst
untersten sozialen Regionen hineingeleuchtet.
mäch
Und nun liegt uns ein neues Werk eines neuen
abhä
Dichters vor: „Das heilige Feuer“ von Hans
Lehr
Hart.*) Der Autor nennt das Buch, bescheiden ab¬
Büh
Wisf
*) Erschienen bei L. Staackmann, Leipzig, 1909.