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ins Frei
Der Ne
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Ta wird man dann natürlich leicht ungerecht. Aber das sind Aervositäten,
Empfindlichkeiten, weiter nichts. Da besinnt man sich auch wieder. Das
kann man doch nicht Antisemitismus nennen. Aber es gibt schon Juden,
die ich wirklich hasse, als Juden hasse. Das sind die, die vor andern
und manchmal auch vor sich selber tun, als wenn sie nicht dazugehörten.
Die sich in wohlfeiler und kriecherischer Weise bei ihren Feinden und
Verächtern anzubiedern suchen und sich auf diese Art von dem ewigen
Fluch loszukaufen glauben, der auf ihnen lastet, oder von dem, was
sie eben als Fluch empfinden. Das sind übrigens beinahe immer solche
Juden, die im Gefühl ihrer eigenen höchst persönlichen Schäbigkeit herum¬
gehen und dafür unbewußt oder bewußt ihre Rasse verantwortlich machen
möchten. Natürlich hilft's ihnen nicht das geringste. Was hat den
Juden überhaupt jemals geholfen. Den guten und den schlimmen. Ich
meine natürlich“, setzte er hastig hinzu, „denen, die so irgend etwas wie
eine äußerliche oder innerliche Hilfe brauchen.“ Und in einem absicht¬
lich leichten Tone brach er ab. „Ja mein lieber Georg, die Angelegenheit
ist etwas kompliziert, und es ist ganz natürlich, daß allen denen, die nicht
direkt mit der Frage zu schaffen haben, das richtige Verständnis für sie abgeht.“
„Na das darf man doch nicht so ...“
Heinrich unterbrach ihn gleich. „Man darf schon, lieber Georg. Es
ist nun einmal so. Ihr versteht uns nämlich nicht. Manche haben
vielleicht eine Ahnung. Aber verstehen!? Nein. Wir verstehen euch
jedenfalls viel besser, als ihr uns. Wenn Sie auch den Kopf schütteln!
Es ist ja nicht unser Verdienst. Wir haben es nämlich notwendiger ge¬
habt euch verstehen zu lernen, als ihr uns. Diese Gabe des Verstehens
hat sich ja im Lauf der Zeit bei uns entwickeln müssen ... nach den
Gesetzen des Daseinskampfes, wenn Sie wollen. Denn sehen Sie, um
sich unter Fremden, oder wie ich schon früher sagte, in Feindesland zu¬
rechtzufinden, um gegen alle Gefahren, Tücken gerüstet zu sein, die da
lauern, dazu gehört natürlich vor allem, daß man seine Feinde so gut
kennen lernt als möglich — ihre Tugenden und ihre Schwächen.“
„Also unter Feinden leben Sie? Unter Fremden? Dem Leo Go¬
lowski gegenüber wollten Sie das nicht zugestehen. Ich bin übrigens
auch nicht seiner Ansicht, durchaus nicht. Aber was ist das für ein
sonderbarer Widerspruch, daß Sie heute ....“
Ganz gequält unterbrach ihn Heinrich. „Ich sagte Ihnen ja schon,
die Sache ist viel zu kompliziert, um überhaupt erledigt zu werden. So¬
gar innerlich ist es nahezu unmöglich. Und nun gar in Worten! Ja
manchmal möchte man glauben, daß es gar nicht so arg steht. Manchmal
ist man ja wirklich daheim, trotz allem, fühlt sich hier so zu Hause,
ja geradezu heimatlicher, als irgendeiner von den sogenannten Einge¬
borenen sich fühlen kann. Es ist offenbar so, daß durch das Bewußtsein
des Verstehens das Gefühl der Fremdheit in gewissem Sinn wieder auf¬
gehoben wird. Ja, es wird gleichsam durchtränkt von Stolz, Herablassung,
Zärtlichkeit, löst sich auf, — allerdings auch zuweilen in Sentimentalität,
was ja wieder eine schlimme Sache ist.“ Er saß da, mit tiefen Falten in
der Stirn und sah vor sich hin.
Versteht er mich wirklich besser, dachte Georg, als ich ihn? Oder ist
es wieder nur Größenwahn —?

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Kunswart NIl, 20