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23. Der Mec ins Freie
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e eeeeneen en e en
—. Julranft.
schaffen. Rathlos stehen wir vor der Frage, wie in einer starken
und gährenden Zeit immer wieder feine und starke Talente, die zu
gestalten verstehen, sich an das Ephemere. klammern mögen, uns
mit Erlebnissen speisen wollen, denen das Feuer wirklicher Wesen¬
heit abgeht. „Anderes, Größeres bewegt die Welt“ möchten wir
wiederum mit Fontane rufen; „wer wirklich lebt, will reules Leben
sehen.“ Kaspar Hauser und sein Geschick: da waren Menschen in
Schuld und Haß und Liebe, Menschen, deren Noth und Lust noch
im Spiegel des Geheimnißvollen uns bis ans letzte Empfinden rüh¬
ren mochten. Diese Masken Erwi; Reiners bleiben uns Masken.
Gelebtes Leben! Auch der le ie große Erzähler wiener Her¬
kunft, der dahingegangen ist, Ferdinund von Saar, war nicht Einer,
der in titanischem Trotz Felsen packte, der, wie Hebbel, Menschen
verzehrte. Aber der in seinen gesunden Tagen dem Leben Zuge¬
wandte hat unvergängliche Bilder von höchstem poetischen Reiz
aus dem Oesterreich seiner Zeit geschaffen. Und als der alte wiener
Poet, wie er sich gern nannte, vom Kahlenberg die Heimathstadt
übersah, getröstete er sich in allem Schmeig über die nationale Zer¬
rissenheit mit dem starken Wort: „Doch Du bist noch, o Wien!
Noch ragt zum imel Dein Thurm auf. Uralt mächtiges Lied
rauscht ihm die“ au hinan.“ Für seine kraftvolle Existenz hat
eses Wien Anzengrubers, Saars, Luegers,
dieses Oesterrei
Bergers neue Bewei### rbracht. Und doppelt betrauern wir nun,
daß seine Dichtung immer noch zwischen Schattenbildern einher¬
geht und Masken vor uns hinstellt, wo wir gern Menschen, Volk,
Staat, Gesellschaft in wirklich lebendiger Wechselwirkung aus den
Seiten des Romans heraustreten sähen.:
Dr. Heinrich Spiero.
Hamburg.
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Allerlei.
Jas Sittsame fördert; das Rücksichtvolle scheint es zu Etwas zu
# bringen. Der, der die Zeit niemals mit irgend etwas Ablenken¬
dem verlieren will, trocknet und rostet ein. Es scheint, daß es unklug
und bösartig ist, immer energisch zu sein. Mangel an Zuversicht ge¬
berbet sich gern konstant energisch. Nun ist ja das Alles so wunder¬
bar. Fallen und seinen Posten verlieren, heißt oft: einen neuen unter
die Füße bekommen. Triumphiren ist oft nichts Anderes als Versin
ken in den Wellen der Anmaßung; und doch triumphirt man so gern.
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onal-Zeitung“
Seite 11
Unter dem Striche der „Arbeiter
Zeitung“.
Von Friedrich dem Großen wird erzählt, er sei nach der
Schlacht bei Kunersdorf über das Schlachtfeld geritien und
als er hier die gefallenen Russen, Franzosen usw. sah, habe
er in seiner derben Manier ausgerufen: „Und mit solchem
Pack muß ich mich herumschlagen“ Wenn wir Juden die
große Walstatt betrachten, auf der wir unsere Kämpfe aus¬
zufechten haben, möchten wir in die Worte des preußischen
Königs einstimmend ausrufen: Verschiedenartig ist das Pack,
mit dem wir uns herumschlagen müssen. Und die Kunschaks
und Schneiders, Bielohlaweks und Verganis sind vielleicht
nicht einmal die Aergsten in dieser Gesellschaft. Seit den
ältesten Zeiten sind die Renegaten, die aus unserer
Mitte hervorgegangen sind und im blindwütigem Kampfe,
um nur ja nicht an ihre Abkunft erinnert zu werden, den
meuchlerischen Dolch gegen uns zückten und das Gift ihrer
Verleumdung gegen uns ausspritzten, die widerlichsten unserer
Feinde gewesen. Und ein Ekel ergreift uns, wenn wir diese
Schwätzer, die uns mit ihrer verleumderischen Zunge ver¬
nichten möchten, in die Schranken zurückweisen sollen.
Von Zeit zu Zeit läßt unsere angebliche Beschützerin,
die „Arbeiter-Zeitung“ und wie sie von den antisemitischen
Kolleginnen genannt wird, das Organ der „Judenschutztruppe“
irgend einen ihrer giftgeschwollenen Mitarbeiter gegen uns
los, dem die „zionistischen Kindsköpfereien“ in der jüngeren
eneration des Judentums nicht gefallen wollen. Es ist ein
gewisser Stephan Großmann, der wieder einmal gesprochen
hat. Und was er redet ist Gift und was er schimpft ist Galle.*)
Wir kennen ihn schon, den Stephan, In unserer Erinnerung
lebt noch die „Besprechung“ des Romanes Schnitzlers
„Der Weg ins Freie“ Genosse“ Großmann bedauerte
damals, es war vor etwa zwei Jahren, sehr, daß Schnitzler
einen „Juden-Roman“ geschrieben hat. Und, daß diese Juden
alle so edle Menschen sind, dies schmerzte ihn noch mehr.
Freilich, wenn Schnitzler Großmann gewesen wäre, er hätte
einen „Welt-Roman“ geschrieben. In diesem wären die Juden
als das erschienen, was sie in Stephans Gehirn eigentlich
sind: Degenerierte Schacherseelen, plötzlich reich gewordene
Börsianer und das jüngere Geschlecht, das hätte sich aus
Jünglingen zusammengesetzt, für die es „kein Zurtick ins
Ghetto“ denen aber auch die Fähigkeit fehlt „zum stillen
Einleben in eine andere Welt“. Bestenfalls wären es „zionistische
Kindsköpfe“ gewesen, denen jeder „natürliche Scharfblick“ fehlt.
Stephan hat geredet, das Urteil über das moderne Judentum
ist gefällt. Gehet hin und bessert euch, wählet Großmanns Teil.
Jetzt aber fragen wir, wo hat Stephan also gesprochen?
Hat er wieder eine Rezension über einen „Juden-Roman“
von sich gegeben? Wir wüßlen nicht. Unter dem Striche
der vorletzten Sonntagsnummer der „Arbeiter-Zeitung“ (ob
wohl ihre Artikel von Arbeitern wirklich gelesen und ver¬
standen werden?) findet sich die neueste Offenbarurg des
Kritikers Stephan Großmann, betitelt: „Der Roman des bür¬
gerlichen Nihilisten“.
Unter diesem hochtrabenden Titel birgt sich eine
Rezension (lucus a non lucendo) des neuesten Romans
Jakob Wassermanns „Erwin Reiners Masken“, der
unendlich viele Spalten der „Neuen Freien Presse“ füllte und
*
Aber nur in der „Arbeiter-Zeitung“! Dieser Genosse ist
nämlich gleichzeitig ständiger Feuilletoa-Mitarbeiter des „Berliner
Tageblatt“ welches dem Inhaber des bekannten Annoncen-Bureaus
und Mitglied des Berliner Kulzusvorstandes, Herrn
Rodolf Mosse, gehört. Der gewesene theoretische Anarchist,
der in Wien antisemitische Tendenz-Kritiken ablegt,
verschmäht es also gar nicht, gleichzeitig von einem
klerikalen Juden — das ist ja nach der „Arbeiter-Zeitung“ jeder
Kultusvorsteher — eine fette Pfründe zu beziehen.
Anm. der Red.