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23. Der Ne¬
ins
Frei
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von starkem Vertrauen und tieferer Anhänglichkeit führt: er seine kleinen Abenteue
Feuilleton.
ihn zu der stillen, vornehmen Anna, die ihrer bürgerlichen Familie
geringerem Einsatz und v#
einem höheren Fluge entwichen wäre, wenn sie nicht ihre Stimme
Schnitzter hat sich durch
0 Der Weg ins Freie.*)
irloren hätte. So hat sich eine berufene Künstlerin in die be¬
besondere Ehrenqualitäten
In diesem neuen Roman von Arthur Schnitzler, der eigentlich
cheidene Existenz einer Musiklehrerin gehüllt, eine von den selb¬
Zurückhaltung; er treibt n
ndigen, selbstdenkenden, beherrschten Frauen, die schamhaft stolz
sein erster ist, wird die Hauptfigur durch die Bemerkung gekenn¬
Glänzende, und es ist ge
zeichnet, daß sie kein Programm habe. Mit diesem Mangel, den
Eerschlossen nichts verlangen, als was ihnen freiwillig gegeben wird,
samkeit, verbunden mit g
das Leben eher als die Kunst leidet, ließe sich auch der Roman
und die wieder durch ihre klare Offenheit aus jeder Sitnation ihre
eckigeren und rücksichtslo
selbst charakterisieren. Um im Stil des achtzehnten Jahrhunderts zu
Würde retten. Das Verhältnis bleibt nicht ohne Folgen, aber die
Passivität verlöschen läßt.
reden, es gibt heute in Deutschland und auch in Europa kaum
vor allem zur Mutter Bestimmte bringt ein totes Kind zur Welt.
in Anspruch genommen,
einen Schriftsteller, der so viel zur Belustigung des Verstandes und
Es ist der Reiz und der Wert dieser Liebesgeschichte, daß sie mit
Indentum zu ertragen, die
Witzes zu leisten vermag, wie dieser delikateste Kenner der
keinster Umsicht ganz ohne Schwärmerei und ohne Empfindsamkeit durch¬
füllt. Dem Künstler und Ki
modernen Seele. Aber wenn man ihm auch Blatt für Blatt
geführt wird. Sie stammt von einem subtilen Kenner, der sich durchaus
kehr mit seinen Standesgen
seine höchst scharfsinnigen und dabei mühelos zufließenden
Zwischen Stendhal und Flaubert behaupten kann. Schnitzler hat
von den jüdischen Salons, d
Beobachtungen bestätigt, man weiß am Ende nicht, was er als
zalles getan, um sich die Baualität einer bürgerlichen Tragödie vom
Sphäre liegen, und in
Ganzes bestätigt haben will und von welcher Seite man es über¬
Leibe zu halten, um nicht das soziale Pathos eines Musikus Miller
gegenwart, mit irgen
haupt ansehen soll. Der Schriftsteller könute einwenden, daß es
gegen den adligen Verführer aufzurufen, und es scheint mir fast,
kann. Diese Ehren
ihm nicht auf unsere Antwort und nicht einmal auf die eigene an¬
daß er zu viel getan hat, um diese ehrbare Familie Rosner in Ruhe
typisch sein.
kommt, und daß er dieses überaus vieldeutige Leben um keine
zu halten. Die Distanz zwischen einem Baron und einem unbe¬
seitigkeit, die sich mit?
scholtenen Bürgerhause ist denn schließlich doch nicht groß genug, um
Möglichkeit einer Deutung gebracht haben möchte. Aber es handelt
und trot
en
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solche Gefügigkeit und Passivität selbstverständlich zu machen. Anna
sich nicht darum, daß am Ende eine Reihe von Frage= und Aus¬
#u
drucksfähigkeit er
liebt bedingungslos, während Georg seine Leidenschaft als eine
rufungszeichen steht, der moderne Roman wird sich ohne willkürliche
Frivolität do
amour à concession behandelt, die sich mit egoistischen Rücksichten,
Simplizität höchst ungern zu einer genaueren Interpunktion ent¬
Anhängli
mit Bequemlichkeiten und Halbheiten aller Art vertragen
schließen, sondern das Ganze leidet an einem Zwiespalt der Orga¬
gepflegte
muß.
nisation, an dem Mißverhältnis zweier Hauptteile, die zusammen¬
Er ist kein Mann, um bedingungslos vorher Ja
der Einsa
genommen keine Gleichgewichtslage finden.
oder Nein zu sagen. Wäre das Kind am Leben geblieben, wahr¬
grundlos ve
Schnitzler erzählt in diesem Roman eine Liebesgeschichte des Barons
scheinlich hätte er es durch die Ehe legitimiert; so aber entgleitet
mit einer!
er der Geliebten allmählich wieder, einfach weil er sich noch nicht
Georg, der seine éducation sentimentale vollendet, und er setzt auf
verstummen
diese Novelle einen unverhältnismäßig schweren Überbau, der das
für immer binden kann, und Anna hält ihn nicht; denn sie weiß
einen Typus
diese Ehrlichkeit des Egoismus höher zu schätzen als bloßes Mitleid
irrationale und tragische Geschick des Jndentums im heutigen Öster¬
Geschäftsmann
öc
oder auferlegtes Pflichtgebot, das ihr einfacher Sinn durchschauen
reich tragen soll. Diesen beiden Motiven fehlt die gemeinsame
zu haben, und
Inn
und ihr Stolz nicht ertragen würde. Auf keinen Fall wird sie ihre
Wurzel, und die Verästelung wird nur recht obenhin dadurch her¬
gang schon so aus
Haltung verlieren; vielleicht wird sie die Lieder dieses beinahe ge¬
gestellt, daß der junge Kavalier vorzugsweise mit Juden verkehrt,
portal vorübergehe
eine Neigung, die ihm seine Erfahrungen eigentlich verleiden
wissenhaften Clavigo nicht mehr singen mögen, der nun als Kapell=I herum lernt nun Baro
meister in eine kleine deutsche Residenz geht, um dort oder wo
sollten. Denn alle diese Bekanntschaften aus Neigung oder
tums kennen, von de
anders gewiß als Intendant zu enden. Aber er wird es
Ungefähr ermüden ihn durch den fatalen Eigensinn, mit dem
Kavalier, der jedem versic
ihr als die Frucht ihrer ehrlich fordernden und
prüfen¬
sie auch ohne die geringste Veranlassung immer wieder auf das
nicht glauben würde, und
den Klarheit danken, wenn der Dilettant seine ungedul¬
Problem des Judentums zurückkommen. Jedenfalls könnte
Pistole hat für den Fall
digen und unbeständigen Fähigkeiten zusammenraffe# ternt,
er seine Privatgeschichte ganz außer Zusammenhang mit allen diesen
nur mit dem unwillkürlich
um noch als schaffender Künstler mit Anstand zu gelten. Diese Ge¬
stachlichen Diskussionen erleben, die das Thema bis ins Unendliche
beantworten sollte. Alle
schichte, die man sich auf feinste Schnitzlersche Art vorgetragen und
variieren, ohne es weiter zu bringen. Und so mag die Novelle, auf
Baron, kommen nie zu ein
ausgelegt denken muß, ließe sich aus dem Roman herauslösen, um
die der Roman des Judentums gesetzt worden ist, schnell vorweg¬
zu ausdrücklich betonen od
für sich als eine Studie von hoher künstlerischer Besonnenheit zu
genommen werden. Sie stammt von dem Meister der „Liebelei“
icht zur Ruhe kommen,
existieren, die ihre psychologischen Projektionen über diesen Fall von
nur daß er um fünfzehn Jahre älter und härter geworden ist.
sönlichkeit ohne irgend ein
Baron Georg besitzt mehr Reife und Besonnenheit als Schnitzlers
einem starken und einem schwachen Herzen weit hinauswirft. Das
schäftigen kann.
Kind hat einen Augenblick gelebt und in diesem Augenblick stand
erste jugendliche Helden, ein wenig Leichtsinn noch, ein wenig
Die Juden mögen ihr
Georg zwischen zwei Generationen, das enpfangene Leben weiter¬
Unbeständigkeit zu einer vertiefteren Bildung, jedenfalls ein Mann,
lieben, sie werden immer
gebend und seinem großen einfachen Willen dienend, der nur die
der sich genug erprobt hat, um nicht mehr die Zügel ganz zu ver¬
daß es Gefühle, Instinkte
Gattung kennt und unser bißchen Individualität so erhebend zu
lieren. Die kapriziöse Grace hat er gerade versetzt, er flirtet
so geht aus dieser Unsiche
demütigen weiß. Das große Normale hat er vorwegnehmend durch¬
mit der und jener interessanten Jüdin, aber eine Neigung
eine Nervosität hervor, d
lebt, und wieder aus Reih' und Glied geworfen, ist er auf den
macht, nicht zuletzt übrige
früheren Zustand des Irregulären egoistisch zurückgewichen, nur daß! eine der unfruchtbarsten
*) Berlin S. Fischer Verlaa 1908.
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Sr. Aucr #
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