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Feuilleton.
WW
vamicht
„Der Weg ins Freie.“*)
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Artur Schnitzlers neuer Roman ist ein Werk von Bedeutung,
er ist vorzüglich erzählt, der Autor ist ein gründlicher, verständnis¬
voller Schüler jener Franzosen, die mit und nach Flaubert und
Zola den psychologischen Roman gepflegt haben. Der „Weg ins
Freie“ erfüllt trefflich die Forderung, die man an das moderne
Epos stellt, er gibt ein weitangelegtes Zeitbild, und Ideen, die
unsere Generation bewegen, kommen darin zum künstlerischen Ausdruck.
Schauplatz ist Wien und deutlich erkennt man die Vertreter be¬
stimmter Gesellschaftsschichten unserer Großstadt, so daß oberflächliche,
daß banale Leser das wertvolle Buch wie eine Art von Schlüssel¬
roman auffassen dürften. Davon ist Schnitzler weit entfernt, ihm
sind eben die Charakteristiken so ausgezeichnet, so lebensvoll gelungen,
daß der Reichtum der Einzelzüge solch Raten und Deuteln ver¬
anlaßt. Weder die Hauptgestalt, noch die ganze Reihe, die sich um
sie und ihr Fühlen und Lieben schlingt, lassen sich als mechanisch
hergestellte Photographien nehmen, die Kunst ihrer Darstellung hat
den Rohstoff siegreich gemeistert.
Ein junger Komponist ist der Held des Romanes, er ist Edel¬
mann und hat als Knabe die Erziehung einer kosmopolitischen
Aristokratie erhalten, die Eltern waren begabte, reich unterrichtete,
feinfühlige Menschen. Georg v. Wergenthin ist ein schöner junger
Mensch, in adeligem Sport wohl erfahren, empfänglich für alle ästhetischen
Genüsse der vornehmen Gesellschaft. Die Frauenherzen fliegen ihm zu, mit
resignierter Anerkennung wird dies von seinen männlichen Bekannten
und Freunden hingenommen. Ihnen allen gilt er als vornehmer
Dilettant, an den vollen Künstler will man nicht recht glauben. Und
um die Geltung ist es ihm zu tun, in einer größeren Schöpfung
will er sein Können offenbaren. Wird er dies fertigbringen, inmitten
dieser seiner Welt, die ihn mit weichen, bequemen Armen umfangen
hält? Wohl fühlter dies sanft fesselnde Hemmnis, aber schwer ists davon
loskommen und ins Unbekannte hinein streben, vielleicht in Ent¬
täuschung und Demütigung! Da er zwischen solchen Entschlüssen
und Zweifeln schwankt, tritt ihm ein prächtiges warmblütiges
Wiener Kind näher, ein Mädchen aus kleinbürgerlicher Familie, das
seine Gesangskunst in die Gesellschaft gebracht. Gekannt haben sich
die beiden schon, jetzt schließen sie sich eng und heimlich zusammen,
holdes Liebesleben blüht zwischen ihnen auf, rückhaltlos, ohne irgend
ein leises Fragen schenkt sich Anna dem Geliebten. Und da sie dann
Georg sagt, daß sie ihm ein Kind schenken werde, klingt die
Botschaft feierlich erhebend und die junge Mutter heiligend ihm
ins Herz. Aber es gibt auch Tage, da skeptische Anwandlungen über
den Weltmann kommen, fremder Frauenreiz lockt ihn von Anna
hinweg, die mit raschem Ahnen den Wegen Georgs nachsinnt. Sie
leidet schweigend und begrüßt den Rückkehrenden mit gro߬
mütiger Wärme. Mit neugieriger heißer Liebe erwartet er sein Kind,
wird er die Mutter als Lebensgefährtin sich gesellen? Er gelobt es
sich, um im nächsten Augenblick das Versprechen als Last für seine
künsilerische Entwicklung anzusehen. Alles bedrückt seine Seele, die
Wiener Welt, in der er lebt, deren Wirren und Kämpfe und nun
auch das Ringen zwischen der Pflicht, die ihm die wunschlose Hin¬
gabe Annas auferlegt, zwischen der Pflicht, gegen sein Kind und der
notwendigen Freiheit seines Schaffens. Bis der schwere Tag für die
Gelieb anbricht und der Arzt ihn nach langen Stunden sein Kind sehen
läßt, in Tode noch wehmütig schön. Vorüber ist's, seine ganze bis¬
herige Welt sinkt vor ihm zurück, auch die Mutter seines Knaben,
er geht hinaus in die Verhältnisse, wo erziehende Arbeit ihn
fesseln wird.
Um Georg und Anna herum dreht sich der bunte Reigen
jener Wiener Kreise, die bisher ihre Welt bedeutet. Die gastliche
Familie eines Bankiers mit ihren Freunden und Freundinnen,
Aerzte, Advokaten, Politiker und Künstler. Bewußt oder unbewußt
stehen sie alle im Bann der antisemitischen Bewegung. Eine jede
Unbefangenheit ist von ihnen gewichen. Das Leid, der Schimpf, die
Ausnahmsstellung, die ihnen geschehen, hat nicht bloß ihr Urteil ge¬
trübt, auch ihr Empfinden wird durch dies Hauptgefühl bestimmt.
Die Alten wehren sich zornig oder hüllen sich in die vornehme Toga
überlegener skeptischer Weltweisheit, die Jungen versuchen die ver¬
schiedensten Wege, um über die Barre, die ihnen die breite Straße
verlegt, herumzukommen. Die einen, die Reichen, setzen verlegen über
das Hindernis hinweg und tun so, als ob es für sie nicht bestehe,
andere stürzen sich in das Gewühl des sozialen Kampfes und
erträumen sich vom Sieg der sozialdemokratischen Propa¬
ganda alles Heil und — Rache. Die Frauen flüchten sich
„Der Weg ins Freie“. Roman von Artur Schnitzler, Berlin,
Verlag S. Fischer.
in eine ängstlich gehütete Atmosphäre des Kunstgenusses oder
lassen sich von toleranten Eroberern alle gesellschaftliche
Kränkung wegküssen. Schnitzler sieht und schildert mit scharfen tief¬
gehendem Verständnis. Am freundlichsten kommen noch die Alten bei
ihm weg, die Torheiten und auch den verzweifelten Heroismus der
Jungen betrachtet er mit kühlen Augen. Zuweilen ist es, als erzählte
er eine ausführliche Krankheitsgeschichte. Namentlich die Gestalt eines
jungen Literaten ist meisterlich, aber mit erschreckender Härte ge¬
zeichnet. Ueber die Gesamtschilderung dieser Kreise ist eine leisweh¬
mütige Stimmung gebreitet; selten nur ein vehementes Geschehen
und auch dann erhalten wir nur den Eindruck einer nervösen Exal¬
tation. Diese Menschen scheinen ihr lebelang, nur mit sich und der
sorgfältigen, zuweilen auch koketten Beobachtung ihres Ichs be¬
schäftigt, eines fehlt ihnen ganz und gar: das Ursprüngliche. Sprechen
sie über das, was sie fürchten oder hoffen, hören wir den Unterton
der zersetzenden Reflexion heraus. „So geht es die Zergliederer
deiner Freuden“, möchten wir strafend ihnen zurufen.
Sichtlich haben wir es mit begabten, gründlich gebildeten,
gemütvollen Menschen zu tun, sicherlich haben wir ein wichtiges
aufnahmefähiges Publikum hier vor uns, um so trüber aber stimmt
die Schilderung. Denn nur eines wird hier kein Verständnis finden,
die starken, vielleicht robusten Aeußerungen einer kräftigen Ent¬
wicklung, wie wir es für unser ganzes öffentliches Leben wünschen.
Eine müde, welke Gesellschaft ist es, deren vornehm kränkliche Züge
uns der Autor zeigt und die Voraussetzung ist wohl berechtigt, daß
Schnitzler nicht dem Glauben lebt, daß er mit seiner Darstellung
die Wiener Gesellschaft in ihrer Wesenheit erschöpft habe.
Seine Gesellschaft ist eine sterbende, ihre Ideale, die sie begeistert,
sind entgöttert. ihre Helden sind es für uns nicht mehr. Weil sie neue
Losungsworte, neue Ziele nicht zu erfassen vermag, sieht sie hoffnungslos
in der Zukunft, sie glaubt aber an die holde Lüge vom Gesetz des
Beharrens und meint noch die Gegenwart zu beherrschen, wie deren
Empfinden und Geschmack zu bestimmen. Und weil sie Tag für Tag
auch hierin ihrer Selbsttäuschung überführt wird, verschärft sich auch
ihr ablehnendes Urteil über alles junge Leben, das sich ans Licht
drängt. Das politische, wie das Kunstleben Wiens und Oesterreichs
weiß von diesem stillen harten Ringen zu erzählen. Wer die historische
Bedeutung der von Schnitzler geschilderten Gesellschaft durch die
Heranziehung ihres Gegensatzes so recht ermessen will, der halte neben
dem „Weg ins Freie“ das Werk eines jungen Poeten, das an dieser
Stelle schon seine Würdigung gefunden. An künstlerischer Reife
stehen die „Zwölf aus der Steiermark“ hinter dem Buch es
Wiener Autors zurück. Angesichts dieser Anfänge des Steirers
werde ich an die liebe Aeußerung Segantinis erinnert, der
über die Wiener Sezessionisten meinte: sie hätten den Mut
ihrer Fehler. Toll, ungeschlacht, freventlich keck sprudelt alles bei
Bartsch heraus, während wir der vornehmen Darstellungsweise
Schnitzlers allen Respekt zollen müssen. Was uns jedoch aus dem
Hymnus auf die grüne Steiermark in jubelnder Frische grüßt, das
ist die Sicherheit gesundheit otzender Jugend. Jugend, die lach
und weint, liebt und haßt, flucht und segnet, ohne irgend ein Gefühl
von Verantwortlichkeit gegenüber irgend einer Kritik, sondern ganz
aus starkem Daseinsgefühl heraus. Und was in dem Buch ver¬
handelt wird, das ist der Lebensinhalt einer neu heraufgekommenen
Generation. Sie ist auch in Wien vorhanden in höheren und
niederen Sphären, ihr Denken und Fühlen jedoch lebt fernab von
der Gesellschaft, in der der Jüngling Georg v. Wergenthin empor¬
gewachsen.
Der junge Freiherr glaubt seinen „Weg ins Freie“ gefunden
zu haben, er zieht in die reichsdeutschen Lande hinaus und in der
idyllischen Stille einer kleinen Residenz wird er künstlerisch schaffen,
das Bild der Geliebten wird über ihm walten, gleich einer Muse
des schlichten österreichischen Lieds. Ob er im Kampf mit der Ver¬
gangenheit, mit der Erinnerung an die Welt, die er hinker sich
zurückgelassen, bestehen und ein wirklicher Freier sein wird? Jene
Wilt zählte so viele Freigelassene und so wenig Freie und wir
merken es nur zu deutlich in unserem öffentlichen Leben, welche
laute Sprache die einen führen, während die andern nur selten ihre
Stimmen erheber können oder sich in freiwilligem Schweigen be¬
scheiden müssen.
F. Zw.
(Ghw4
Nec ins Fr
box 3/1
23. Der
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