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11. Frau Bertha Garlan
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mit der diese Männer dann dar¬
tanden und sehnen sich nach dem „Wunderbaren“
urchschnittlich nicht höher, als die,
Wären sie gezwungen, in eine Fabrik zu gehen, am
Waschtrog zu stehen oder auch nur irgendwie sonst thätig
selig ihre männlichen Engel und
zu sein, würden sie sich nicht mehr langweilen und auer
ebrachte. Darin offenbart sich ja
Voraussicht nach sich auch nicht mehr unverstanden füh¬
ftig eine ganz bestimmte Tendenz,
len. Ich n ll damit sagen, daß die Verfasserin bei ihren
lzu armlich, um irgendwelche Reize
bei dieser Belletristik von vorn¬
schönen Frauen gar keine geistigen Qualitäten auf¬
weist, die ihnen ein inneres Recht gäben, sich unverstan¬
jend etwas Eigenartiges über die
den zu fühlen. Man hat den Eindruck, daß ihr Hunger
d die Frauen könnten uns ja doch
nach Höherem nur Schein ist, in Wirklichkeit nur Hun¬
i, wenn sie sich die Sache nicht gar
ger na neuen Sensationen. Hier gäbe es nur eine
sollten und nicht nur nach den zwei
estie und Idiot. Es gibt doch sozu¬
Kur: Arbeit. Da Thekla Lingen das selbst öfter sagt,
so könnte man ihre Geschichten fast für etwas blaß ge¬
tten Männertypus, dem die Frau
ebärerin oder Luxusartikel schon
rathene Satiren auf die Frauenfrage halten. Dazu
ind die Geschichten aber wieder zu farblos. Auch würde
nügt. Der Einwand, er sei noch
sie dann schon aus künstlerischen Gründen die Männer
int mir nicht allzu berechtigt, denn
dieser Frauen nicht nur nach den bekannten beiden
Frauentypus auch noch nicht allzu
Leisten gearbeitet haben. Die Verfasserin nimmt ihrer
t uns nun nicht eine der Schrift¬
chönen Frauen Sehnen zu ernst und schiebt den Män¬
nicht genügen will, ihre Kräfte
nern offensichtlich gar zu viel Schuld zu an dem Sich¬
ersplittern, so zwei neue Menschen,
unberstanden=fühlen ihrer Frauen, die außerdem eine
ziös wie möglich? Da gäbe es doch
doch recht kuriose Auffassung von der Liebe haben. Sie
ves zu sehen! Etwa, wie es eine
beschränkt sich nämlich auf physische Vorgänge, und was
komane über den Zukunftsstaat zu
ihnen vorauszugehen pflegt. Da bei dieser Auffassung
modernen Frauen sehen ein wenig
nach jenen Vorgängen nicht mehr viel von Liebe übrig
ke durchschnittliche Männerproduk¬
bleibt, kann ihnen auch die Liebe nicht über die Lang¬
d. Wenn sie selbst uns nur endlich
wveile weghelfen, zumal sie solcher „Liebe“ das Tugend¬
eres, Tieferes schenken wollten. Wir
haftbleiben meist vorziehn. Ich muß gestehen, daß ich
kbar. So bleiben sie aber meist ge¬
nicht einmal bei Kurden, Türken und Persern diese Auf¬
ge, Kleinlichkeit und allergewöhn¬
assung von Liebe so sehr als die allein herrschende ge¬
stecken wie ihre männlichen Kol¬
unden habe, wie bei diesen schönen, europäischen
Frauen. Diese Auffassung ist ja gewiß nicht ohne Eigen¬
Bücher heraus, die wenigstens
art, aber sie erweckt doch nicht gerade hervorragende
dessentwillen sie hier genannt seien:
Theilnahme für ihre Vertreterinnen. Auch findet sie
auen“ von Thekla Lingen¬
ich nicht in einer oder zwei dieser Geschichten, sondern
Ehen“ von Emil Marriot.**)
liegt fast allen zu Grunde. So ist es auf die Dauer nicht
gibt zumeist Bilder aus dem Ehe¬
ehr interessant, nicht einmal psychologisch reizvoll, um
zugleich das schwächste, ein Dialog,
solcher Auffassung willen all diese Frauen immer mehr
je, eine ungemüthliche Planderei“
„Tugend“ ansetzen zu sehen. Nach der Lektüre seufzt
ine so oberflächliche Plauderei über
man unwillkürlich: Wie jammervoll, daß Maupassant
sich auch der unverständigste Mann
todt ist! Was hätte der aus diesen Stoffen gemacht!
hr gestatten. Sonderbar, daß eine
Nur zwei von den acht Geschichten bringen etwas Ab¬
o was leistet, denn die Oberfläch¬
wechslung, die beiden letzten. Die Geschichte von der
Ungemüthliche an der Planderei.
„schönen Mama“, die zu Gunsten des eckigen Töchter¬
ihrer Geschichten sind meist auch
leins, das noch ein gar armes, graues Entlein ist, auf
zugleich innerlich recht arm sind.
die Ausstellung ihrer größeren Reize beim Ball ver¬
sich langweilen und die glatte Haut
zichtet, und die Geschichte von der armen unschuldigen
langweilen, fühlen sie sich unver¬
kleinen Näherin und mit dem grausig=bösen reichen Ver¬
führer im schweren Pelzmantel sind zwar nicht grade
effler, Berlin und Leipzig, 1901.
Prote, Verlagsbuchhandlung, 1901.
neu, auch nicht sehr eigenartig behandelt, aber es wird
TERE EE MRETEI
doch ab und zu ein herzlicher Ton laut, der wohlthut,
veil er ohne Sentimentalität selten ist. Werthvolles,
nach Form und Psychologie Eigenes hat uns dies Buch
noch recht wenig zu gebent.
Höher stelle ich die Ehegeschichten von Emil Mar¬
ciot. „Schlimme Ehen“ sind es in der That. Haupt¬
sächlich aber, weil ihre Männer und Frauen fast lauter
Alltagsmenschen sind, ist das Buch ein trübes Buch, fast
ohne Licht, ohne Größe im Guten oder Bösen, sondern
zumeist grau in Grau, ein wenig dumpf, ein wenig
bedrückend und stockig wie die Luft in den Zimmern
solcher Leute. Die Frauen dieser Ehen kennt die Ver¬
asserin recht gut. Sie hat ihnen charf auf die Finger
gesehen und glücklicherweise oft auch ins Herz. Da ist
gleich zu Anfang die Beamtenfrau, die im Laufe der
Jahre den Reinmach=Rappel bekommen hat, wie Pferde
den Koller und Menschen Platzangst bekommen. Ein
furchtbares Eremplar jener Sorte von Frauen ohne
Gemüthsballast, die plump und „gesund“ in ihrer Ehe
herumtappsen, als wäre sie ein Krautgarten. Das ist
a freilich ihr gutes, staat= und kirchlich approbirtes
Recht. Daß sich ihre Ehe immer mehr auseinanderlebt,
merkt sie nicht. So etwas gibt's ja auch gar nicht. Sie
hat es ja schriftlich von Staat und Kirche im Schreib¬
tisch liegen, daß sie für immer zusammengehören.
Hier erreicht die Verfasserin, was sie erstrebt: Die Frau
geht einem auf die Nerven. Der Mann aber, der sich
zu eigener Erbauung die Geschichte seiner Frau zum
15. Hochzeitstag erzählt und nur eine Waffe gegen
diese Frau hat: Bosheiten, ist auch ein rechter Jam¬
merling. Da erzählt ferner Emil Marriot von einem
jungen Mädchen, frisch an Geist und Körper, das man
gelehrt hat, die Mutter verachten, weil sie ihrem pe¬
dantischen Mann entlaufen ist. Sie heirathet dann selbst
einen Pedanten schlimmster Sorte, der sie unglücklich
macht, und lernt so, die Mutter verstehen. Die Ge¬
schichte wäre besser, wenn sie nicht ein bissel sentimen¬
talisch wäre. Diese und die folgende von dem großen
Künstler, der in jungen armen Jahren ein hübsches
Lärvchen geheirathet hat, das sich in der Ehe körperlich
immer mehr rundet, aber geistig als ein. Hühnchen aus¬
wveist, das er dann redlich quält, diese beiden Ge¬
schichten sind die konventionellsten des Bandes. Am
originellsten dürfte Frau Ada in „Rebellion“ sein. Eine
junge Frau, die als demie vierge in die Ehe kommt
und mit holdseligstem Lächeln allen Vorwürfen, die
man ihr macht, Recht gibt: „Ach ja, ich bin nicht gut...
Ach ja, ich bin ein undankbares Geschöpf .. Ach ja,
aber es liegt nicht in meiner Natur, dankbar zu sein.“
Die letzte Geschichte „Sünderinnen“ beruht auf einer