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11. Frau Bertha Garlan
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Frau Rupius, die an einen gelähmten Mann gefesselt ist,
verschaffen. Das so überaus schone Gebiel den Pehleino¬
stirbt an den Folgen eine# verheimlichten Liebe.
dorf mit seinen Ausläufern Neustift, Salmannsdorf, Neu¬
Während Bertha die Leiche ihrer Freundin betrachtet,
wvaldegg ist gänzlich vernachlässigt und Niemand nimmt
sich seiner so energisch an, als es erforderlich wäre.
flimmert es ihr vor den Augen, eine wohlbekannte
plötzliche Schwäche überkommmt sie, ein Schwindel,
der sich gleich verliert. Sie weiß, was diese
(Mandatsniederlegung.) Gemeinderath Lucian
Symptome bedeuten. Sie athmet erlöst auf. Sie fühlt,
Brunner hat den Entschluß gefaßt, sich von der
haß mit dem Hereinbrechen dieser Ermattung, die letzten
olitischen Thätigkeit zurückzuziehen. Er hat dies gestern
Schauer einer verlangenden Weiblichkeit, Alles, was sie
in folgendem Schreiben an den Bürgermeister Dokter
für Liebe gehalten, zu verströmen beginnen. Nun denkt sie
Karl Lueger kundgethan: uer Hochwohlgeboren! Da
mit Ekel an die eine Stunde der Lust, die ihr vergönnt
es mein Wunsch und meine Rosicht ist, mich vom öffent¬
gewesen, und die schamlosen Wonnen, die sie damals ge¬
lichen Leben fernzuhalten, so sehe ich mich veranlaßt,
kostet, erscheinen ihr als eine ungeheure Lüge gegenüber
nein Mandat als Mitglied des Wiener Gemeinde¬
der Unschuld jenes sehnsüchtigen Kusses, den sie Emil
rathes niederzulegen, was Sie gefällig zur Kenntniß
einstmals während der Zeit ihrer jungen Liebe auf den
nehmen wollen. Hochachtend Lucian Brunner.
Mund gedrückt. Damals hatte sie sich in aller Unschuld
Dem Gemeinderath hat Brunner seit dem Jahre 1896 an¬
nach der Mutterschaft gesehnt. In jener Nacht aber, da sie sich
gehört, er stimmte zwar in allen Fragen mit dem Fort¬
hingegeben, hatte nur der Drang des Weibes nach Sinnenlust
schrittsklub, gehörte jedoch demselben nicht an und wurde
in ihr gelobt. Das war ihre Schuld, die einen schwer¬
den „Wilden“ beigezählt. Er gerieth wiederbolt mit dem
üthigen Gedanken in ihr aufkeimen läßt. „Sie abnt das
Präsidium in Konflikt, und sein Kampf gegen die anti¬
ungeheure Unrecht in der Welt, daß die Sehnsucht nach
semitische Mehrheit brachte es mit sich, daß er auch in
Wonne ebenso in die Frau gelegt ward wie in den Mann;
nehrere Ehrenbeleidigungsprozesse verwickelt wurde. Be¬
und daß es bei den Frauen Sünde wird und Sühne
kannt ist die von ihm provozirte Entscheidung des Ver¬
ferdert, wenn die Sehnsucht nach Wonne nicht zugleich
waltungsgerichtshofes in der Frage kommunaler Kirchen¬
die Sehnsucht nach dem Kinde ist.“ In diese ernste Be¬
ausubventionirung. Brenner war ein Anhänger der
trachtung, die nicht angiflogen ist, sondern als tiefer
Abstinenzpolitik der Minorität und seit der im vorigen
Herzensschrei aus dem Gemüthe Berthas hervorbricht, tönt
Jahre gegen ihn ergangenen Disziplinirung erschien er
dieses Buch aus. Vielleicht liegt gar darin die Idee des
licht mehr im Gemeinderathe.
Romans! Der weiche, anmuthige, träumerische, frauenhaft
(Der sozialpolitische Verein)
veranstaltet
gesinnte Poet steht plötzlich mit finster gerunzelter Stirne
Freitag den 19. d. im Festsaale des Kaufmännischen
Vereins (Johannesgasse 4) um halb 8 Uhr Abends eine
vor uns und verkündet die sittlich bedeutsame Lehre: „Nur
ffentliche Vereinsversammlung mit folgender Tages¬
jene Liebe des Weibes ist gerechtfertigt, nur jene Liebe ist
ordnung: 1. Der Fall Seitz und die Immunität der Ab¬
echt, tief und wahr, die aus der Sehnsucht nach dem
geordneten, Referent Reichsrathsabgeordneter Dr. Ofner;
Kinde autllt!“
m. b.
2, Diskussion über die politische Lage.
keine Wählerstimmen. Sie haben wohl noch etwas
gekommen.
Besseres erreicht, das sie jetzt noch geheimhalten
Es ist zu schön, als daß es lange dauern
müssen, bevor sie, wie sich die „Nowoje Wremja“
könnte. Allzubald werden die Jungczechen sich
der Dichter täglich stößt und die sich ihm aufdrängen
Feuilleton.
von ihm ihre künstlerische Dauerform heischend. Und wie
folgt er ihrem Geheiß! Hundert= und tausendfach gehen sie in
Wien herum und Jeder fühlt sich getroffen, Jeder glaubt
Ein neuer Roman von Arthur Schnitzler.
in den Spiegel zu sehen. Wer aber Wien nicht kennt
Heimalhkunst — das ist das Motto seines dichte¬
und Schnitzler liest, der empfindet gleichwohl die Le¬
rischen Schaffens. Aber keineswegs sein Programm.
benswahrheit seiner Gestalten, fühlt sich angeheimelt
Schnitzler hat nichts mit jenen ruhmredigen Literaten
von ihrem Wesen und läßt sich willig in diese merk¬
gemein, die dem Zuge der Mode folgen oder wohl gar
würdige Welt versetzen, in der sich zarte Empfindung
in aufdringlicher Weise versuchen, Schlagworte zu
ind Brutalität, höchster Gesinnungsadel und gedanken¬
prägen oder michtungen zu weisen. Er gehört keiner
ose Rohheit, starke Herzen und krankhafte Nerven
Schule und keinem Kaffeehaus an. Still und vornehm
eieinanderfinden Merkwürdige Welt! Als ob sie
ehrlich und unerschrocken dient er der Muse, und wenn
nderswo anders wäre! Das ist eben der Beweis für
sich die Cameraderie an ihn drängt, so vermag sie ihn
die Echtheit der Heimathkunst, daß sie allgemein giltige
in seiner Arbeit nicht zu beirren. Auch Tendenz liegt
Typen schafft, indem sie ihre natürlichen Besonberheiten
ihm ferne; selbst in seinen Dramen vertritt er das All¬
überzeugend darstellt.
gemeine, das Recht der Menschheit, der Freiheit, der
Die Heldin von Arthur Schnitziers neuestem Roman,
Güte, ohne directen Zusammenhang mit dem Tage, und
dem sie auch den Namen gegeben hat, Frau Berta
es heißt ihn nicht verstehen, wenn man aus der Dar
Garlan, ist eine Wienerin. Wie sie nach mehrjähriger
stellung gewisser Charaktere in „Freiwild“ oder in seiner
Abwesenheit in ihre Heimathstadt zurückkehrt, da über
meisterhaften Novelle „Lieutenant Gustl“ etwas Anderes
ommt sie mit Macht das Gefühl ihrer Zugehörigkeit;
herausliest, als das Bestreben voller künstlerischer Objec¬
Alles, das Getöse und Geräusch der Weltstadt, die
tivität gegenüber einem Typus, der nur selten von der
chönen und geputzten Menschen, und die weiche Luft,
menschlichen Seite gefaßt wird.
die vom Wienerwald herüberweht — das ist ihr ver¬
Keine Tendenz liegt in seiner Heimathkunst. Er
raut, das gehört zu ihr, davon ist sie ein Theil. Ihr
wurzelt im Wiener Boden, er athmet Wiener Luft; das
Schicksal aber ist das einer unverstandenen Frau. Nicht
„süße Mädel“, das in heiterer Hingebung den Tag und
einer Mondaine, die von der Lecture „moderner
die Nacht genießt, der geistreiche, blasirte Anatol, der
Romane gesättigt, die Erregungen eines romanhaften
vorurtheilsfreie, starkgeistige Paul, die Lieutenants
Erlebnisses sucht, sondern einer einfachen Seele, deren
Karinski, Vogel, Gustl — das sind Gestalten, auf die
geradliniges Empfinden durch trübe, alltägliche Ereig¬
C
Uexküll=Gyllenband, Marine=Kommandant
Admiral Freiherr v. Spaun, Obersthofmeister FML.
Graf Nostitz, Oberstlieutenant Ritter v. Krau߬
Elislago, Rittmeister Freiherr v. Rumerskirch,
Rittmeister Burka und Linienschiffslieutenant von
Remy theil.
Die beiden kaiserlichen Prinzen sprachen angeregt
miteinander und mit den erschienenen Würdenträgern.
Nach dem Diner wurde Cerclé in dem neuen Bibliotheks¬
saale gehalten. Dem Kronprinzen zu Ehren war auch der
Wintergarten, der einzig in seiner Art ist, geöffnet. Auch
as vollkommen restaurirte „goldene Kabinet fesselte die
Aufnierksamkeit des Gastes, der sich in der Gesellschaft
des Erzherzogs vesonders wohl fühlte. Nach dem Cercle
führte der Erzberzog seinen Gast selbst durch alle Pracht¬
räume. In den allerherzlichsten Worten dankte der Kron¬
prinz dem Erzherzog für die gebotene Gastfreundschaft,
verabschiedete sich und kehrte ver 7 Uhr in die Hofburg
zurück.
Der Ball bei Hof.
Abends fand in dem herrlichen Zeremoniensaale der
Hofburg der Ball bei Hof statt, zu welchem tausend Ein¬
ladungen ergangen waren. Der Saal bot ein fasin###ndes
Bild. Anmuthige, herrlich schöne Frauen und Mädchen in
kostbaren Toiletten und geschmückt mit unschätzbaren
Brillanten, deren strahlendes Feuer mit dem Glanze des
elektrischen Lichtes wetteiferte, welches sich aus den vielen
krystalllustern in den Saal ergoß, goldstrotzende Uniformen
neben ordensgeschmückten Fracks, ein Fluthen und Wogen
das war das Bild, das sich dem Zuschauer vor dem
Erscheinen des Hofes bot.
Es waren sämmtliche Hof= und Staatswürdenträger,
fast das gesammte diplomatische Korps, Vertreter des

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Wahlcampagne in Böhmen ohne Staatsrecht
ür möglich?
nisse in seinem natürlichen Fluß unterbrochen wurde
und die nun vor ihrem Wiedererwachen steht. Berta
war Conservatoristin und liebte einen jungen Violi¬
isten, Emil Lindbach. Als ihre Eltern verarmten und
starben, mußte sie der Künstlerlaufbahn entsagen — die
Jugendliebe hörte wie von selbst auf und Berta
entschloß sich, einem braren Mann als Ehefrau in eine
kleine Stadt zu folgen. Nach drei Jahren starb der
Mann; sie hatte längst erkannt, daß sie ihn nie geliebt,
ber sie pflegte trotzdem sein Andenken, besuchte sein
Grab und lebte nur ihrem Kinde. Mit Hilfe ihres
durch Clavierstunden ihren Lebensunterhalt erwerben.
So lebte sie drei Jahre als Witwe hin, ruhig, mit
heiterem Blick, und doch nicht klar sehend, daß auch hier
in diesem kleinen Ort Leidenschaften walten, wie
raußen in der großen Welt; harmlos nahm sie die ihr
unangenehmen Huldigungen eines verwitterten Cynikers
vie die halb unbewußten Lieblosungen eines halbreifen
Neffen entgegen.
„In ihren Gedanken an die Zukunft beschäftigte
sie kaum je Anderes als das allmähliche Heranwachsen
ihres Kleinen, und nur selten flog ihr die Möglichkeit
iner neuen Heirath durch die Sinne, immer ganz
flüchtig, da sich noch Niemand gezeigt, an den sie in
dieser Hinsicht ernstlich denken mochte. Regungen von
jugendlichen Wünschen, die ihr zuweilen in wachen
Morgenstunden kamen, verflogen immer wieder im
gleichmäßigen Lauf der Tage. Erst seit Beginn dieses
Frühlings fühlte sie sich weniger behaglich als bisher;