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Garlan
11. Frau Bertha

werker geht, der mit ihr dem Verderben zu entfliehen
hofft. Der Bentivoglio,
Der an jedem Tag
Sein Leben trinkt aus tausend klaren Quellen
Und jede weckt den Durst und jede löscht ihn,
bietet der schönen Frau viel für ihre Gunst. Lange
schweigt Beatrice und schließlich nennt sie in kind¬
licher Einfachheit den hohen Preis: sie will Herzogin
sein. Von Gefahr und Begierde trunken, willig
der Fürst ein. Während ein greller Hochzeitsjubel,
der sich durch seinen Lärm selbst betäuben will,
durch Bologna fliegt, hört der Dichter durch die ein¬
same Nacht eine Stimme. Seine Beatrice ruft ihn,
holt ihn zum Tode. Freilich erkennt Filippo bald
daß ihr der Tod nur eine Ausrede ist, um zu leben,
daß sie, als Fürstin und im Brautkleid, zu ihm
kam, weil sie eine sehnsüchtige Laune trieb und nach
Frauenart Gefühle in ihr mehr vermögen als der
Verstand. Kaum hat er ihr vorgegaukelt, daß sie
Gift getrunken hat, so flucht sie ihm und jammert
nach dem Leben, das ihre Sinne allein zu fassen
vermögen. Angewidert, ganz erfüllt von dem Ge¬
fühle der furchtbaren Vereinsamung, das zarte und
tiefe Menschen so oft fühlen müssen, leert er nun
wirklich den Giftbecher. Allein mit dem Todten,
stürzt die entsetzte Beatrice
Zurück in's Leben, fort von dem Geliebten,
Indeß er dalag wie ein todter Hund!
Im Schlosse tobt eine wilde Orgie, die sich in
Entsetzen auflöst, da der Herzog Beatricens Flucht
bemerkt. Endlich kommt sie; in einer prachtvollen
Szene, die mit allen tragischen Gewalten angefüll
ist, wird die vor Todesangst und Angst vor dem
Todten fast sinnberaubte Beatrice gezwungen, den
Herzog dorthin zu führen, wo sie ihr Brautgeschenk,
ihren kostbaren Schleier, ließ. Sie kommen in des
todten Dichters leeres Haus. Hinter den schweren
Vorhängen, wo der Herzog sein Brautlager halten
will, sieht er Filippos Leiche. Nun dämmert mit der
letzten Sonne, die sie Alle sehen werden, auch die
Wahrheit auf. Und während draußen der Kampf
beginnt, stößt Beatricen ihr ehrbar=strenger Bruder
den Dolch in's Herz. Sie ist nur vorausgegangen;
die Andern werden folgen. Der Morgen ist da und
mit ihm werden Cesare Borgia und der Tod über die
Stadt kommen.
Von der fast unheimlich=wilden Kraft, die durch
das Gedicht tobt, kann eine Erzählung kaum ein
abgeblaßtes Bild aeben. Die aus Angst und Ge¬
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nußsucht gemischte Stimmung ist ein wirkungs¬
voller Hintergrund des Gemäldes. Das Unwahr¬
scheinliche wird nicht nur begreiflich, sondern
chließlich selbstverstandlich. Wir sehen außer¬
ordentliche Menschen in außerordentlichen Verhält¬
nissen, die in Ueberlebensgröße vor uns empor¬
ragen, und ihre Schicksale werden bestimmt durch
in sechzehnjähriges Kind. Für sie stirbt der Dich¬
er, den sie dem Herzog verräth, wie sie später den
Herzog dem Dichter verräth. In dieses Frauen¬
rathsel leuchten des Lebensmeisters Bentivoglio
verstehende und daher auch verzeihende Worte hin¬
Warst Du nicht, Beatrice, nur ein Kind,
Das mit der Krone spielte, weil sie glänzte,
Mit eines Dichters Seel', weil sie voll Räthsel,
Mit eines Jünglings Herzen, weil's Dir just
Geschenkt war? Aber wir sind allzu streng
Und leiden's nicht, und Jeder von uns wollte
Nicht nur das einz'ge Spielzeug sein — nein, mehr!
Die ganze Welt. So nannten wir Dein Thun
Betrug und Frevel — und Du warst ein Kind!
Der Kampf zwischen Todesangst und Liebe
eines der Grundmotive aller Schnitzler'schen Werke;
das andere ist der Gegensatz zwischen Liebe und
Liebelei, die Erkenntniß, daß, was das Leben der
ist.
Frau ausfüllt, dem Manne nur eine Episode
Wir haben gesehen, wie diese herbe Wahrheit auch in
Frau Bertha Garlans Kopf eindrang. Das erste
Motiv, das er in seinen Novellen so haufig und oft
nit beinahe allzu großer Virtuosität varüirt hat,
üllt auch sein großes geschichtliches Drama aus; so
nächtig es auch wirkt, muß man voch wünschen, daß
sich der Schnitzler'sche Problemenkreis erweitert.
Freilich ist diese Erscheinung, die Armuth an poet¬
schen Motiven, ein für die ganze deutsch=österreich¬
ische Produktion charakteristisches Merkmal, über
das bei einer kritischen Betrachtung der modernen
eimischen Literatur vielleicht noch Einiges zu sagen
wäre.
Aber weit über das mächtige Drama Schnitzlers
inaus trägt uns die Frage nach seinem Schicksale.
Denn sie beleuchtet mit schmerzhaft greller Deutlich¬
keit den Verfall der deutschen Bühne. Ein aner¬
kannter Dichter schafft ein Werk von einer Bedeut¬
ung, über die Freund und Feind einig sein müssen,
nd nach mehr als Jahresfrist hat sich — einen mi߬
glückten Versuch in dem literarisch recht rückständ¬
igen Breslau ausgenommen — kein Theater des
Schauspiels angenommen. Die Hofbühnen, für
eren Existenz das Drama hohen Stils eine Lebens¬
frage ist, rühren sich nicht. Anstatt ihre beste Kraft
daran zu setzen, durch solche Dramen, die in Stil
und ihren künstlerischen und finanziellen Anfor¬
erungen den Privattheatern unmöglich sind,
ich wieder ein Publikum zu erobern, begnügen
ie sich mit Fulda und Koppel=Ellfeld. Ehrgeiz
ist nicht das Laster der Herren Intendanten ...
Ein erfolgreicher Dichter findet für sein bedeutend¬
tes Werk, das wie ein einsamer Berg über
das Flachland der dramatischen Gegenwartproduk¬
tion ragt, keine Stätte. Und Herr Schlenther, der
vom Paulus der „Moderne“ zum Saulus des Hof¬
theaters ward, begnügt sich mit der unechten „Re¬
naissance“ von Koppel=Ellfeld und läßt die echte in
Stich. Hater sich nur aus Zagheit des „oben nicht
beliebten Dichters nicht angenommen? Im Inter¬
esse seines literarischen Urtheils möchte man es bei
nah wünschen. Aber wie sich diese arge und fü
unsere Hofbühne so schimpfliche Sache auch imme
verhalten möge: den Purpurschleier, den der Dichte
aus schönen Versen und hohen Gedanken um sein
Beatricendrama wob kann weder Schwäche noch
Unverständniß eines Theaterdirektors zerreißen.
Ludwig Bauer.
Buntes Jeuilleton.
m. Fürst Bismarck und Reinhold Begas.
Heinrich v. Poschinger schildert in der Wiener „N. Fr.
Pr.“ in einem Feuilleton die Begegnungen des großen
Kanzlers mit dem Schöpfer des in Berlin enthüllten
Nationaldenkmals. Lenbach hatte die erste Begegnung
vermittelt, bei welcher Gelegenheit Begas im Flüsterton
u Lenbach über das Auge des Fürsten die Bemerkung
fallen ließ: „Nein, dieses Auge — und wie es über Alles
inwegsieht!“ „Sie machen da,“ bemerkte Bis¬
marck, dem die Bemerkung nicht entgangen war, „ein
für einen Diplomaten wenig schmeichel¬
haftes Kompliment.“ Der Fürst saß hier¬
auf dem Künstler über eine Stunde. Das Ergebniß war
eine Büste, die jetzt Eigenthum der Berliner National¬
galerie ist. Als vor vier Jahren die Ausführung des
Nationaldenkmals einstimmig Begas übertragen wurde,
reiste der Künstler am 17. Mai.1898, also sechs Wochen
vor dem Hinscheiden des großen Kanzlers, nach Fried¬
richsruh. Poschinger berichtet über diese Begegnung mit
olgenden Worten: „Begas traf in Friedrichsruh zum
Frühstück ein und fand dort den Professor Schweninger,
den Grafen Rantzau und Gemahlin und Dr. Chrysander.
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