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10.
Leutnant Gustl
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Verbindungen mit der Behörde dazu mißbraucht, um
sich ein vorschnell oder unter dem Drucke der Kritik
angenommenes Stück, von dem er sich nicht viel ver¬
spricht, auf billige Weise und ohne Konventionalstrafe
vom Halse zu schaffen.
Das Jubiläumstheater brachte ein vierektiges Volks¬
stück mit Gesang, nach einem Entwurfe des verstorbenen
steierischen Volksdichters Karl Morre von irgend jemand
ausgearbeitet. Der „Pater Jakob“ ist ein würdiger
Pfarrer, der zeitlebens Gutes an seinen Pfarrkindern
gethan und sich für sie geopfert hat. Der Undank seiner
Bauern, die von einem ränkesüchtigen Fabrikdirektor
aufgehetzt sind, vertreibt ihn aus dem Orte; endlich
sehen die Leute ein, daß sie gefehlt haben; Pater Jakob
kehrt zurück und wird mit Jubel empfangen. Die
Gestalt des alten Pfarrherrn, der von der Politik und
der streitbaren Kirche nichts wissen will, hat in ihrer
Schlichtheit etwas ungemein Ergreifendes an sich. Sie
mochte den verstorbenen Dichter des „Nullerl“ auch
vor allen anderen zu weiterer Ausarbeitung angeregt
haben. Ein ausgezeichneter erster Akt mag auch noch
von Morre vollendet sein. In den übrigen verrät sich
die theaterkundige, aber plumpe Hand des Bearbeiters.
Namentlich ein sehr unnötiges Couplet (eine Strophe
beginnt ungefähr so: „Der Sohn is in der Schlacht
gefall'n, schreibt's an sein Mütterl z'haus“) dürfte ganz
und gar auf Rechnung des Bearbeiters kommen.
Direktor Jarno führte im Theater in der Josefstadt
an einem „litterarischen Abende“ Otto Fuchs=Talabs
Schauspiel „Franzla“ auf. „Franzla“ ist ein Fabrik¬
mädchen in einer böhmischen Weberei, liebt einen jungen
Beamten der Fabrik und soll den Fabrikskantineur
Wokoun, einen reichen, wilden Mann, der Schnaps trinkt
und schenkt, feuchte Hände hat und böhmisch=deutschen
Dialekt spricht, heiraten. Franzlas Mutter will es so.
Der Beamte hat Streit mit Wokonn, dem Günstle¬
des Direktors, wird entlassen und empfängt vor sel.
Abreise von Franzla den Beweis ihrer höchsten Zu¬
neigung. Am Tage darauf findet die Hochzeit statt.
Wokouns verlassene Geliebte setzt der glücklich=unglück¬
lichen Nachfolgerin einen Strohkranz aufs Haupt, der
unge Ehemann will die Sache mit dem Messer in
Ordnung bringen, ersticht aber an Franzlas Stelle deren
Mutter, die den unseligen Bund verschuldet hat. Ein
bedeutendes Talent für Milieuschilderung ist Fuchs¬
Talab nicht abzusprechen. Freilich geht er darin mit¬
unter zu weit, er stellt zuviel lebende Bilder und
verschleppt die Handlung, die sich stellenweise zu großen
Wirkungen erhebt, durch überflüssige Episodensiguren.
Zu diesen zählt der Magazineur Löwy, ein jüdischer
Philologe, dem seine Konfession das Lehramt verschlossen
hat. Er ist harmlos, edel, resigniert und reich an
lateinischen Zitaten, von allen wohlgelitten und in der
Fabrik unter dem Spitznamen „Ahasver“ bekannt. Und
in der That, er ist der ewige Gemüts=Jude, der seit
Erckmann=Chatrians „juif polonais“ durch die Litteratur
wandert, am häufigsten in der Periode des politischen
Liberalismus über die Bretter ging und dann lange
ruhte, bis Herr Fuchs ihn zu neuem vergänglichem
Dasein auf die Bühne rief.
Echtesten künstlerischen Genuß bot dem wiener
leider nur in einer einzigen Nach¬

Publikum
mittagsvorstellung des „Akademischen Vereins für Kunst
und Litteratur“ — der „Herakles“ des Euripides, in
der schwungvollen Uebertragung von Wilamowitz. Die
Regie lag in den gewandten Händen des Burg¬
chauspielers Heine, die Darstellung war zumeist
Künstlern derselben Bühne anvertrant. Von unerhörter
Wucht und erschütternder Wirkung erwies sich de Chor,
der, der antiken Auffassung völlig nahekommend, in
feierlicher, an das Rezitativ streifender Rede, jedes Wort
verständlich, die mächtigen Rhythmen erdröhnen ließ
Der Ausschuß des Vereins, der von solch echter
künstlerischer Begeisterung durchdrungen ist, daß nicht
ein einziger der Herren mit seinem Namen hervortritt,
erworb sich die tiefe Dankbarkeit der vielen hundert
in öiterreichische Siense getreten, kehrte er zwei Jahre später in die Heimat
zurück, wo #r glebann seine militärschriftstellerische Thätigkeit zu entfalten¬
begann und in der Jolge in dam cantonale intgrnerische Instructorencorps auf¬
genommen wurde, aus dem er shäter in das liogenöisische übertrat, in dem er
1871 zum Major, 1877 zum Oterstlientenant und 1891 zum Oberst aufrückte.
Seinen Kenntnissen und Reigungen ente#recene und mit Rackesct aur bie
durch Veröffentlichung verschiedener schriftsteltelischer Werke hemmesenen reichen
Kenntnisse wurde er vorzugsweise als Lehrer der milntärischen Winenchaften
verwendet und entfaitete nebenbei eine höchst verdienstliche Thätigkeit als Mit¬
arbeiter und seit 1875 als Redacteur der „Schweiz. Militär=Zeitung“. Sein
Nachfolger in der letzteren Stelle ist der auch im Auslande als Militärschrift¬
fleller bekannte und geschätzte Oberstdivisionär Ulrich Wille.
Der bekannte Großindustrielle Isaac Mantner ist am Dienstag
zu Nachod im 78. Lebensjahre gestorben. Der Verblichene hat sich um die
Entwicklung der heimischen Textilindustrie, seciell auch in militärischer Hinsicht,
große Verdienste erworben. Auf der „Nähr= und Wehrausstellung des
Jahres 1897 hatte man Gelegenheit, die Leistungen der von ihm gegründeten
Firma „Isaac Mautner & Sohn“ für Heereszwecke kennen zu lernem Der
heutige Chei der Firma ist Herr Commercialrath Isidor Mautner, der von
Seiner Majestät seinerzeit mit dem Franz Josefs=Orden ausgezeichnet wurde.
Eine „Hunnenbriefe“=Fabrik wurde kürzlich in Luzern entdeckt. Ein
Agent übergab einzelnen Soldaten des deutschen Expedit uscorps fertige, ver¬
schlossene Briefe mit der Bitte, sie aus China rücker# oiren zu wollen. Die
deutschen Blatter sind sehr befriedigt, daß nunmehr die Unrichtigkeit so mancher
der bekannt gewordenen „Hunnenbriefe so eclatant nachgewiesen ist; aber
betrübend und bezeichnend für die kritiklose Unverständniß und maßlose Leicht¬
gläubigkeit der großen Masse bleibt es doch, daß es erst eines solchen eclatanten
Nachwesses bedurfteum de Haltlosigkeit des Hunnenblödsinnes aufzuzeigen.
Die Rückkehr der verschiedenen Truppencontingente aus
China veranlaßt die France#miliiaironam einer Rückschau, die manche
Wahrheiten enthält. Die militärische Action der Verbündeten war erfolglos.
Mit Ausnahme der Befreiung der Gesandtschaften und der Vorkehrungen für
deren künftige Sicherheit besteht das einzige Resultat der Expedition da¬
*
daß die nationalen Gefühle gegen die Fremden umsomehr entzündet und die
Chinesen zu den ärgsten Ausshreitungen aufgestachelt wurden. Die Mandschurei
ist in Aufruh, die Eingeborenen rotten sich überall zusammen, und die
Tungusen haben bereits die Russen angegriffen und die Bahnlinien beschädigt.
Die Situation ist heute nicht besser als vor einem Jahr. Im Innern Chinas
sind die ernstesten Ereignisse zu befürchten und man hört schon wieder von
ermordeten Missionären. Auch im französischen Grenzgebiet in Tonking mehren
sich besorgnißerregende Vorfälle; Räuberbanden unter dem Befehle oder
wenigstens mit Wissen des Generals Su haben die Grenze überschritten. Die
„F ance militaire“ verzeichnet dann einzelne jüngste Angriffe auf französische
Posten und Lager und schließt mit der Behauptung, daß der Abtransport der
internationalen Truppe das Signal zu einer neuerlichen Boxerbewegung geben
wird. Die Mächte haben sich durch Deutschland fortreißen lassen und so der
chinesirchen Regierung die erwünschte Gelegenheit geboten, die revolutionäre
Hochfluth gegen die Fremden abzuleiten. Wenn die Mächte aber heute die
Ereignisse überblicken, #omüssen sie zur Erkenntniß kommen, daß sie ju-osel
gethan, haben, oder

zu wenig.
„„Auf dem Wege nach Capua“ soll sich angeblich das deutsche
Heer befinden, wenn wir den Worten C. v. Wartenberg's, eines „alten
Offickers“, glauben sollen. In einem also betitelten, im Hamburger „Lotsen“
pubkcirten Artikel fordert er, daß zur Wahrung der Schlagfertistent der
Armee dem Ueberhandnehmen des Wohllebens im Officierscorps kräftig ge¬
steuert werde. Bei den Verhandlungen über die Schreckensthat im Mörchinger
Officierscorps stellte sich heraus, daß bei den fröhlichen Vereinigungen der
Officiere im Casino der studentische Biercomment üblich war. Das ist für
ältere, gebildete Männer, die Erzieher des Volkes in Waffen sein sollen, doch
kaum das Rechte. Ebenso schädlich wie dieser Comment ist nach Wartenberg's
Ansicht die seit einem Jahrzehnt immer mehr hervortretende Neigung zur
Veranstaltung officieller Festlichkeiten, womit jedoch die sogenannten Liebes¬
mahle" nicht gemeint sind. Als „officielle Festlichkeiten“ bezeichnet C. von
Wartenberg die großartigen Feiern, die zur Begehung eines Stiftungstages
oder zur besonderen Ehrung des Regimentschefs oder endlich zur Begrüßung
einer erlauchten Persönlichkeit veranstaltet werden. Die Kosten solch eines
Festes ziehen sich das ganze Jahr hin durch alle Abrechnungen, den von Ab¬
zügen betroffenen weniger bemittelten Officieren immer neue Seufzer ent¬
lockend. Und auf solchen Festlichkeiten geht es leider trotz der Versicherung, daß
Alles so einfach als möglich hergerichtet werden solle, meist sehr hoch her.
Wenn diese Veranstaltungen wirklich nur alle Jubeljahre wiederkehrten,
brauchte man davon kein Aufhebens zu machen. Aber die mittelbare Aufforde¬
rung zu Festlichkeiten macht sich bei vielen Officierscorps relativ häufig geltend.
„Je öfter sie aber wiederkehren, meint C. v. Wartenberg, „desto mehr wird
sich auch der Geschmack an den besseren materiellen Genüssen steigern, desto
nehr wird sich auch auf diesem Wege das Wohlgefallen an üppiger Lebens¬
weise einschleichen....
S Feuilleton.
Ein Todesurtkeil,
Der Herr Reichsrathsabgeordnete und Gemeinderath Wurzinger
schritt in sehr gehobener Stimmung seinem Hause zu, in der
Stimmung des Politikers, der den Gipfelpunkt des Abgeordneten¬
glückes erreicht hat.
Die ersten Jahre seiner Abgeordnetenlaufbahn hatte er sehr
schweigsam zugebracht. Seine Freunde nannten dies „politisch kluges
Zuwarten“. In Wirklichkeit schwieg Herr Wurzinger, weil er nicht