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10. Leutnant Gustl

Die Officiers-Ehre.
Wien, 20. Juni.
Wir wären eigentlich heute in der Lage, einen
Artikel, den wir am 27. December v. J. schrieben,
einfach abdrucken zu können. Dieser Artikel betra
das Meihnachts= Feuilleton des jüdischen Literaten
Arthur Schnitzler, das sich „Lieutenant
Gustl“ nannte. Wegen dieses Feuil
ist näm¬
lich jetzt, nachdem, wie schon mitget'...
ehren
räthliche Verfahren längst eingelei
Schnitzler, der Regimentsarzt in der Rese##e ist, von
militärischen Ehrenrath seiner Officierscharge für der
lustig erklärt worden. Das Ereigniß ist heute der
Gegenstand des Leitartikels fast aller Judenblätter
Dieselben entrüsten sich aufs Höchste über diese Ma߬
regelung. Wenn wir den Hochgrad dieser Entrüstung
vergleichen mit dem Tiefgrad derselben, als Marquis
Tacoli und Graf Ledochowski wegen ihrer pflicht
gemäßen Stellungnahme zum Duell ihrer Officiers¬
charge verlustig erklärt wurden, so ergibt sich zunächs
offenbar, daß diese hochgradige Entrüstung lediglich der
Maßregelung des jüdischen Reserveofficiers und
Mitgliedes der „Concordia“ gilt.
Es liegt uns das Urtheil selbst nicht vor,
die betreffenden Meldungen besagen aber über
einstimmend, Schnitzler sei degradirt worden, wei
seine nobellistische Studie die Ehre des österreichischen
Officiersstandes verletzt habe. Fragen wir: Wodurch
hat er dieselbe verletzt? so ist zunächst von vorneherein
zu constatiren: Er konnte nicht damit die Ehre des
Officiersstandes verletzt haben, wenn er gewisse Zustände
und Verhältnisse im Officiercorps wahrheits¬
getreu geschildert hat; denn eine Beleidigung
des Officiersstandes als solchen liegt dann absolut
nicht vor. Freilich, sind diese Zustände falsch ge¬
schildert, dann allerdings kann, namentlich wenn die
Absichtlichkeit zu erweisen ist, eine Beleidigung
der Ehre des Officiersstandes angenommen werden
Sind sie aber wahrheitsgetreu geschildert und nur in
der Absicht, nicht die Officiere oder den Officier¬
stand, sondern eben die Zustände zu kritisiren, die
ohne Schuld und Verschulden der Officiere selbst,
sondern durch die Gesetze, die Traditionen und den
Gewohnheits= und Standescodex im Officierscorps
sich eingeschlichen haben, dann kann nicht eine Ehren¬
beleidigung des Officierstandes angenommen werden
sondern lediglich eine erlaubte, in guter Absicht er
folgte Kritik dieser Zustände, die ebensogut im Ge¬
wande des theoretischen Artikels wie der belletristischen
Novelle erfolgen kann. Dies Recht kann sich Presse
und Literatur von keinem Officiers=Ehrenrath rauben
lassen. Geschieht eine solche Kritik in Form einer
Novelle, so wird selbstverständlich ein Typus des
Standes die Hauptperson bilden müssen, dessen Ver¬
hältnisse eben behandelt werden sollen. Handelt es
sich also um die Kritik von Zuständen, die
im
Officiercops herrschen, so mußte und durfte Arthur
Schnitzler einen Lieutenant als Typus wählen, an
dem er diese Zustände und ihre Folgen zur Dar¬
stellung bringen konnte. Nachdem wir diesen un¬
anfechtbaren allgemeinen Grundsatz aufgestellt haben,
wenden wir uns nun dem „Lieutenant Gustl“ zu
Die Novelle kennen unsere Leser. Wir müssen aber
ihren Inhalt nochmals reproduciren:
Bei der Garderobe nach Schluß eines Concertes
kommt Lieutenant Gustl mit einem riesig starken,
hm
vom Café her bekannten Bäckermeister in einen Wort¬
wesel; der Bäckermeister ruft dem Officier zu: „Herr
Lieutenant, wenn Sie das geringste Aufsehen machen,
so zieh ich den Säbel aus der Scheide, zerbrech'
hn
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sht an Ihr Regiments=Commando
Verstehn's Sie mich, Sie dummer Bub?“ Und
habei hielt er den Säbel so fest, daß Lientenant
Gustl die Beleidigung einstecken muß, und Aufsehen
darf er auch nicht machen, sonst sieht alle Welt seine
Schwäche. Der Bäcker will dem Officier auch die
Carrière nicht verderben und flüstert ihm zu: „Also
chön brav sein, Herr Lientenant — haben S' keine
Angst, 's hat Niemand was g’hört, — es ist schon
Alles gut — so. Und damit Keiner glaubt, daß wir
uins gestritten haben, werd' ich jetzt sehr freundlich mi
Ihnen sein. — Habe die Ehre Herr Lieutenant, hat
nich sehr gefreut — habe die Ehre!“ So gingen sie
auseinander. Der Officier sieht klar ein: die
Officiersehre verlange es, daß er sich nun
elbst tödten müsse, da er sonst ehrlos quittiren
nüßte. Morgen um 8 Uhr Früh will er sich, muß
ich erschießen. Er geht in den Prater, Abends

überlegt er Alles, bereitet Alles vor, nimmt im Geiste
von Allem Abschied, er denkt an seine Jugend,
eine
Carrière, an Vater, Mutter und Schwester, an seine
Freunde im Regimente, vor Allem aber und immer
vieder an die — „Menscher“, die verschiedenen Dirnen,
die er abwechselnd „geliebt“ hat, aber es bleibt ihm
nichts anderes übrig, er muß sich erschießen. Auf dem
Weg aus dem Prater in die Stadt hört er plötzlich
Orgeltöne
— „Ah, aus der Kirche .. .. Frühmesse
bin schon lang bei keiner gewesen .... Also, was
ist
soll ich hineingehen? — Ich glaub, der Mama wär
3
in Trost, wenn sie das wüßt' die Clara
gibt
veniger d'rauf . . . . . Na, geh'n m'r hinein — schaden
kanns ja nicht! .... Orgel — Gesang — hm!
Was ist denn das? — Mir ist ganz schwindlig.
o Gott, o Gott, o Gott! ich möcht einen Menschen
haben, der Pfaff', wenn ich zum Schluß sagen möcht':
Habe die Ehre, Hochwürden, jetzt geh' ich mich um¬
bringen
.... — Am liebsten läg' ich da auf dem
Steinboden und thät heulen . .. — Nein, das darf
man nicht thun! Aber Weinen thut manchmal so
gut
* *
Die Leut', die eine Religion haben, sind
doch besser d'ran.“ Natürlich bleibt er nicht in der
Kirche, noch weniger beichtet er, —er geht in's Stamm¬
Kaffeehaus, entschlossen, in ein paar Stunden sein
Leben zu enden. So verlangt es die Officiers¬
ehre. Da erfährt er vom Piccolo, daß der Bäcker¬
meister heute Nacht am Schlagfluß gestorben ist. Nun
st die Ofsiciersehre gerettet, denn Niemand
vird etwas erfahren, Lieutenant Gustl braucht
licht selbst das Leben zu nehmen. „Am End' ist das
Alles, weil ich in der Kirche g’wesen bin.“ Am Nach
mittag kann er sich mit dem Advocaten duelliren, der
ihr jüngst bei einer Gesellschaft unmanierlich begegnet
war, und er will ihn „zu Krennfleisch hauen“. Mit
diesem Vorsatz endete die realistische Geschichte von dem
Lieutenant Gustl.
Die Tendenz des Artikels ist offenbar, die
ogenannte Officiers=Ehre d. h. den für den
Officiersstand exclusiven „Ehrbegriff“ zu charakterisiren
indem er dem Leser zeigt, wie wir schon am 27. De¬
cember v. J. ausführten, was Alles mit diesen
Offieiersehre nicht verträglich und was Alles
mit ihr verträglich ist.
Nicht verträglich mit ihr ist: sich von einem
Advocaten ein pact beleidigende, richtiger unhöfliche
Worte sagen zu lassen, das verpflichtet zum Duell
ferner sich von einem Civilisten „dummer Bub
schelten zu lassen, obschon eigentlich der Officier den
Streit an der Garderobe durch seine grobe Heftigkeit
erursacht hatte, ohne ihn auf der Stelle niederzu
hauen, selbst dann, wenn die physische Unmöglichkeit
vorhanden war, da der ####el durch die überlegene
Kraft des Gegners in der Scheide festgehalten wur#
Das treibt sogar zum Selbstmord, der nicht un¬
verträglich scheint mit der Officiersehre.
Wohl aber verträglich ist es mit dieser
„Officiersehre“, den gemeinsten Liebschaften mit
Straßendirnen nachzugehen (die Namen und Bilder
der „Menscher“ ruft sich der Lieutenant eine nach der
mderen mit zärtlicher oder ekelnder Erinnerung vor
sein Gedächtniß); ferner seine Pflichten gegen Gott
und die Religion, der man angehört, zu vernach¬
lässigen, ja darüber zu spotten und zu höhnen; ferner
über Eltern und Geschwister so frivol zu reden, wie
es der Lieutenant Schnitzler's vor seinem Tode noch
thut; ferner sich selbst das Leben zu nehmen, also
ein Verbrechen gegen Gott, sich selbst, die Ang
hörigen, das Vaterland u. s. w. zu begehen un
schließlich sich doch nicht das Leben zu nehmer, blc
wveil Niemand etwas von der angeblich mit de
Officiersehre unvereinbaren „Feigheit“ gehört hat
weil der Gegner zufällig gestorben ist.
Es war das gute Recht Arthur Schnitzlers, die
Verhältnisse zu geißeln und am Typus des Lieutenant
Gustl zur Anschauung zu bringen. Also nicht dari
kann eine Beleidigung des Officierstandes erblich
werden, ebenso wenig wie dies der Fall wäre, wen
ein Dichter den traurigen Helden des jüngste
Bozener Militärscandals zum Typus wähle
würde, um die Selbstüberhebung und die Roheit ein
zelner Officiere zu geißeln. Nicht durch die Schil
derung solcher Zustände wird die Ehre des Officiers
tandes beleidigt. Es wäre vielmehr dringend zu
wünschen, daß man gegen diese Zustände selb
mindestens ebenso energisch vorgehe wie gegen Die
jenigen, die sie schildern und tadeln.
Also treten wir gegen die Maßregelung
Schnitzlers auf, also halten wir das Urtheil des
Ehrengerichtes für ungerechtfertigt? Keineswegs. Wit
elbst waren es, die am 28. December vorigen Jahre
schrieben:
„Wir sind schließlich gespannt, ob im Uebrigen die
Officiere die obige Schnitzlerische Darstellun
des Lieutenants=Typus als mit der Officiers
Ehre vereinbarlich halten werden. Wenn ein Schnitzle
einen anderen Stand in einer typischen Figur
4
der öffentlichen Mißachtung preisgeben würde, wi
dies Schnitzler gegenüber dem Officiersstand gethan
o würden gewiß die Vertreter dieses andern Standes
lebhaften Protest erheben. Glücklicherweise sind ja doch
nicht alle Officiere vom Schlage des Schnitzler
schen Lieutenants Gustl, während Schnitzler dies
Meinung aufkommen läßt. Schnitzler hätte unbeschadet
einer Tendenz, gerade an einem ehrenhaften Of
jeier die Folgen der sogenannten Officiersehre schildern
können, und zwar noch wirksamer. Wohl aber ist leider
die Sorte Officiersehre wie sie Schnitzler schildert
durch einen unsinnigen „Ehrencoder“ und eine unsinnig
Tradition und Mode zur typischen geworden. Diese
„Officiersehre“ ist es welche das Volk nicht versteht
hoch es auch den Officiersstand als solchen
n Ehren hält. Wenn ein Officier so empfindlich zu
ein verpflichtet ist gegen formelle Beleidigungen von
anderer Seite, müßte es die Officiersehre verlangen
auch in anderer Beziehung empfindlicher zu sein, wo es
ich um sittliche Pflichten und Vergehen handelt, welch
eder Ehre, also vor allem der Officiersehre zuwider
aufen.“
Wir haben dem damals Gesagten kein Wort hin¬
zuzufügen als dieses practische Wort: Vor allem
reinige das Officierscorps selbst seinen Officiers¬
Ehrenbegriff, dann räume man mit Gesetzen, Tradi¬
ionen und Moden auf, die zum Duell zwingen,
die zum Dreinhauen mit der Waffe gegen Wehr¬
lose zwingen und die eventuell sogar zum Selbst¬
mord treiben.