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10. Leutnant Gustl
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Budapest, 22. Juni.
* Durch zwei Vorfälle im Offizierskorps der gemein¬
samen Armee ist die militärische Standesehre
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wieder einmal zum Gegenstande öffentlicher Besprechung
gemacht worden. Handelt es sich hier aber auch wirklich um
das solbatische Ehrgefühl? An diese feinste Blüthe des
männlichen Charakters auch nur leise zu rühren, wäre
schlimmer, als ein Verbrechen, es wäre gef hmacklos. Man
mag sich gegen das Vorurtheil auflehren, als sei die
Soldatenehre von besserer Herkunft und höher zu bewerthen,
als die bürgerliche Ehre, und wird doch den moralischen
Reinlichkeitssinn des Offiziers, der an des „Königs Rock“
selbst ein Staubkörnchen nicht dulder will, nur sympathisch
würdigen können. Doch davon braucht man nicht zu singen
und zu sagen, das ist in Poesie und Prosa tausendfach
verherrlicht worden. Was uns jetzt beschäftigt, das ist die
krankhafte Entartung des militärischen Ehrbegriffs, wie
solche jetzt drüben in Oesterreich rasch nacheinander zum
Vorschein kam: in dem Falle Schnitzler und in der
Affaire von Bozen; unb wir sprechen darüber, weil es
Haltung, die wir der Armee gegenüber allezeit bekundeten,
auch unser gutes Recht ist, unsere Meinung und Ueberzeugung
mit allem Freimuthe zu äußern.
Der Fall Schnitzler zunächst löst bei Menschen von
gesunder Empfindung sicherlich eher Heiterkeit als Aerger
aus. Unseren Lesern ist bekannt, wovon hier die Rede.
Der österreichische Schriftsteller De. Schnitzler wurde von
einem militärischen Ehrenrathe seiner Charge als Regiments¬
arzt in der Reserve für verlustig erklärt, weil er in ein#
Novelle: „Lieutenant Gustel“ einen nach streug sittl.
oder gar heroischen Satzungen vielleicht nicht ganz einwano¬
freien kleinen und jungen Offizier geschildert hat. — Die
Frage, auf die es hier unseres Erachtens vor Allem an¬
kommt, ist wohl die: kann ein Lieutenant Gustel gar nicht
existiren? Ist es denkbar, daß in unserer großen Armee
nicht ein einziger kleiner und junger, in seinem Charakter noch
ungefesteter, in seinen Anschauungen noch unabgeklärter
Offizier diene, der in einer gegebenen Situation sich
genau so schwächlich und unzulänglich bethätigen würde,
wie der Lieutenant Gustel? Man wird doch vernünftiger¬
weise nicht behaupten wollen, daß jeder Lieutenant ein
Engel Gottes in Uniform und gegen Lockungen und Ver¬
fehlungen unfehlbar gefeit sei? Gibt es aber einen Gustel
oder besteht wenigstens die Möglichkeit, daß es einen
gibt, so ist es lächerlich, einem Schriftsteller zu verwehren,
daß er einen solchen zeichne. Einem Schriftsteller im Allge¬
meinen, wird das ehrenräthliche Tribunal vielleicht ein¬
wenden, kann dies nicht verwehrt sein, wohl aber einem
Schriftsteller, der noch das Recht hat, an manchem
Festtage oder bei irgend einer militärischen Feierlich¬
keit die Uniform zu tragen, denn die Uniform ver¬
pflichtet, die Empfindlichkeit der Kameraden zu schonen.
Aber ist das eine gesunde, berücksichtigenswerthe Em¬
pfindlichkeit, die sich durch die literarische Darstellung eines
Ausnahmefalles — und „Gustel“ ist doch kein Typus,
sondern nur eine Ausnahme — peinlich irritirt fühlt? Es
hat sich schon ereignet, daß nicht nur ein kleiner Lieutenant,
sondern selbst ein hochgestellter Offizier wegen eines Ver¬
gehens oder eines Verbrechens verurtheilt wurde; hat
darunter die Ehre und das Selbstgefühl des Offiziers¬
korps auch nur im Mindesten gelitten? Und wenn
der wirkliche, konkrete Fall nichts Verletzendes für die
Gesammtheit hat, soll der schriftstellerisch dar¬
gestellte Fall beleidigend sein? Wir fragen die Herren
nicht, wohin es mit der literarischen Produktion käme,
wenn jeder Stand, aus dessen Mitte ein minder¬
werthiges Exemplar herausgegriffen und auf der
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Bühne oder in einem Buche zur Anschauung gebracht
wird, den betreffenden Autor in Ach und Bann thun würde.
Gesetzt den Fall, Friedrich Schiller, der ja auch einmal
militärärztlicher Eleve war, würde heute als Regimentsarzt
i. d. R. in der k. u. k. Armee dienen, als solcher den
Wallenstein schreiben, in welchem doch etliche ganz nichts¬
nutzige Offiziere vorkommen, und der Ehrenrath würde ihn
natüclich ebenfalls seiner militärischen Charge für verlustig
erklären — was meint man wohl: wer wäre dadurch be¬
straft oder beschämt? Nun freilich, Arthur Schnitzler ist
gottlob kein Friedrich Schiller, und Gustel ist kein Wallen¬
stein; allein die Lächerlichkeit der Prozedur ist nur umso
größer, je weniger der Autor und seine Leistung einen großen
Maßstab vertragen...
Ja, wie wenig wir uns auch die Fähigkeit anmaßen,
die Dinge aus rein militärischer Anschauung heraus zu
beurtheilen, so möchte uns doch bedünken, daß die
Empfindlichkeit des Offizierskorps durch das Attentat von
Bozen weit mehr verletzt worden sei ober verletzt worden
sein müsse, als durch das Attentat Schnitzler's auf Gustel.
oder in einer Anwandlung von Ironie; nein, es ist unsere
feste Ueberzeugung, daß das Offizierskorps in der Vor¬
nehmheit seiner Gesinnung nur aufs Tiefste empört sein
kann durch jene unqualifizirbare That eines Offiziers. Einen
Wehrlosen erst mit der Faust anzufallen, dann mit dem Säbel
zu traktiren und vor der Entrüstung und dem Zorn der Menge
sich im Schnellschritt hinter die Kasernenmauer zurück¬
zuziehen — wir glauben nicht, daß die tapferen Offiziere
solche
dies als eine rühmliche That betrachten, oder sich durch
Manifestirung des Heldenthums sonderlich geehrt fühlen
können. Und der Vorgang erscheint noch bedenklicher, wenn
die bisher bekannt gewordenen Gründe des Ueberfalles richtig
angegeben wurden. Darnach soll jener Offizier sich an dem
Manne gerächt haben, weil dieser der Führer einer Aus¬
flugsgesellschaft war, welche die unerbetene Theilnahme von
vier Offizieren an der Unterhaltung ablehnte. Entspricht es
dem soldatischen Würdebewußtsein, sich „Zivilisten“ auf¬
zudrängen? Und wenn die vier Offiziere sich durch eine
ganze Gesellschaft beleidigt wähnten, warum hat lange post
festum der einzelne Bewaffnete an dem einzelnen Unbewaff¬
neten Revanche genommen? Wir wissen eine Antwort
darauf nicht zu ertheilen; wir wissen nur, daß das
Militärgericht, oder welches Forum immer über den
Fall zu entscheiden hat, diesen nicht milder be¬
handeln kann, als den famosen Fall Gustel, und
daß ein= für allemal ein Exempel statuirt werden muß
gegen solche Exzesse, wie deren einer in Bozen
vorgekommen ist. Das ist die Armee sich selbst, das ist sie
auch der öffentlichen Meinung schuldig. Wir möchten keine
großen Worte machen, keine tragischen Accente anschlagen,
und keine ewigen Wahrheiten über das Verhältniß zwischen
Heer und Volk verkünden. Wie schlimm auch einzelne Vor¬
kommnisse sein mögen und ob auch manches Zeichen verräth,
daß nicht alle Ablagerungen der alten Militärperiode ver¬
schwunden sind, so kann doch der innige Zusammenhang
zwischen der Armee und ihrem Ursprunge nicht mehr auf¬
gehoben, nicht einmal gelockert werden, denn das österreichisch¬
ungarische Heer ist im besten Sinne ein Volksheer, das mit
seinen Wurzeln im volksthümlichen Boden haftet. Aber gerade,
weil dem so ist und weil die Solidarität zwischen den Nationen
und der Armee sich immer fester gestaltet, fühlt die
öffentliche Meinung jedes widrige Ereigniß, jede Unzukömm¬
lichkeit, jeden brutalen Rückfall in überwundene Sitten wie
eine peinliche Dissonanz in dem harmonischen Verhältnisse.
Darum müssen heutzutage Mißgriffe sorgsamer vermieden,
Ausschreitungen streuger geahndet werden, als dies früher
geschehen, und von der Leitung unseres Heerwesens, bie ihre
Unbefangenheit und ihr Verständniß für die populären, Ele¬
mente der Kraft und Bedeutung der Armee oft genug be¬
kundet hat, darf man zuversichtlich erwarten, daß sie selbst
an vereinzelten mißlichen Erscheinungen nicht achtlos vorüber¬
gehen, daß ihre strafende Hand den Schuldigen erreichen
und, wenn auch das Verfahren leidec noch immer
ein Geheimniß ist, der Ausgang desselben der
Oeffentlichkeit nicht vorenthalten bleiben wird.