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10. Leutnant Gustl
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Sorgfalt beim Druck — es hat sich ja bloß um den
Literaturtheil gehandelt — war nämlich der Schluss
der Novelle abhanden gekommen. Dass Gustl sim
Unglück wächst-, das konnten eben noch wohl¬
wollende Leser des Fragments wahrnehmen, und mit
dieser Versicherung endet auch die Inhaltsangabe des
Leitartiklers. Dass aber Gustl, nachdem er erfahren,
den Urheber und einzigen Zeugen seiner Schmach habe
der Schlag getroffen, wohlgemuth weiterzuleben be¬
schließt, ist die Pointe der Schnitzler'schen Auffassung
eines Officierscharakters, der der „Neuen Freien Presse“
jetzt vollends esympathische erscheinen müßte, da er ja
auf der ethischen Forderung, so da lautet: Der Schlag
soll dich treffen! basiert.
Der Officiersehrenrath hat Arthur Schnitzler, den
Landwehroberarzt in der Evidenz, wiederholt eingeladen,
sich zu rechtfertigen und darüber auszusagen, ob ihm eine
psychologische Absicht oder eine Tendenz gegen den
Stand, dem er angehört, näher lag. Herr Schnitzler
hat mit dem berechtigten Stolze des Künstlers und
mit der unberechtigten Renitenz des Landwehr-Ober¬
arztes die wiederholte Ladung ignoriert. Betrachten
die freisinnigen Herren, denen die -Vorurtheile
einer Kastes altbewährter Leitartikelstoff sind, den
einzelnen Conflict ihrer und der militärischen An¬
schauungen von der Höhe eines Wolkenkuckucks¬
heim? Welcher von beiden Theilen hat denn das an¬
gestammtere Recht, enttäuscht zu sein? Die „voller
Vorurtheile stecken- oder die Aufgeklärten? Und ist
wirklich, wo eine Tactfrage zur ntscheidung kam,
die -Freiheit künstlerischen Schaffense, die aus Heinze¬
Stürmen glücklich Gerettete, bedroht? Herr Schnitzler
hatte, als seine Landwehrpflicht abgelaufen war, die
schönste Gelegenheit, einem Stande Valet zu sagen,
dessen Anschauungen den seinen offenbar zuwider
aufen,
dessen Empfindlichkeit mindestens den
schrankenlos Schaffenden beengen musste. Aber er
scheint darauf Wert gelegt zu haben — ein ausdrück¬
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liches Gesuch nur konnte solchen Ehrgeiz verwirk¬
lichen —, dem Armeeverbande auch weiterhin, als
Oberarzt in der Evidenz der Landwehr, anzugehören.
Nun hat ihn ein grausames Geschick auf jene Stufe
zurückgeschleudert, auf der er ohne Ueberreichung
eines Gesuches nach Beendigung seiner Dienstpflicht
fürs ganze Leben stehen geblieben wäre. Verdient
solches Martyrium nicht das Mitleid aller human
Denkenden, nicht die Leitartikel aller human Schreiben¬
den? Ist es nicht schrecklich, so einfach abgeurtheilt
zu werden, nachdem man die einzige Gelegenheit,
sich zu vertheidigen, — von sich gewiesen hat? Ja,
der Olficiosus des Herrn Schnitzler in der „Wiener
Allgemeinen“ hat recht, wenn er treuherzig das Dichten,
das sheutzutage bei der großen Concurrenz ohnehin
kein Vergnügen ist- nunmehr für ein -zu riskantes
Geschäfte erklärt, wenn er das Ende alles künstlerischen
Schaffens prophezeit, weil -es sich nun aufhören musse,
literarische Stoffe aus dem Milieu des eigenen Berufes
zu behandeln... Aber die liberale Presse übertreibt. Und
zwar nicht nur in der principiellen Auffassung der
Affaire, sondern auch in der Bemessung des Mar¬
tyriums, das Herrn Schnitzler auferlegt ward. Sielhat ihn
ja sogar zum Regimentsarzt erhöht, um seinen Fall
in die Tiefen des Civils umso schmerzlicher erscheinen
zu lassen. Und wenn man ihr nun eröffnet, dass
Herr Schnitzler bloß als Landwehr-Oberarzt degradiert
wurde, so wird er ihr noch immer nicht als ein de¬
gradierter Landwehr-Oberarzt, sondern, doppelt bemit¬
leidenswert, als ein degradierter Märtyrer erscheinen.
Es fällt mir nicht ein, das Urtheil des Ehrenrathes,
das mir einer Erklärung würdig schien, in seiner Gänze
zu billigen. Recht bedenklich finde ich den zweiten Theil
der Motivierung: Schnitzler habe auf eine aggressive
Kritik seiner Novelle, die in einem Tagesjournale er¬
schien, snicht reagierts. Ich weiß nicht, welches Tages¬
journal gemeint ist. Aber wenn in diesem Vorwurf
der unsympathische Hinweis auf das Duellgebot ver¬