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box I/11
10. Leutnant Gust

Leutnant Gustl. Von Arthur Schnitzler.
Illustriert von M. Coschell. (Berlin, Verlag S. Fischer.
1901.
Eine „Novelle“ hat Schnitzler den Prosamonolog ge¬
nannt, den er vom 13.—17. Juli 1900, also in vier
Tagen, hinschrieb. Dem Inhalte nach ist es eine Offi¬
zierstragödie. Freilich, dicht vor der Katastrophe wird
noch glücklich abgeschwenkt. Leutnant Gustl braucht sich
F
nicht totzuschießen, wie er es diese ganze schreckliche
Nacht hindurch für seine Pflicht gehalten. Denn am Mor¬
gen erfährt er, daß der dicke, starke Bäckermeister, der

ihn beim Hinausgehen aus dem Konzert ganz leise einen
„dummen Buben“ genannt hatte und der nun allen Leuten
Abo
erzählen könnte, daß Gustl nicht im stande war, ihn so¬
ort niederzustechen, denn er hielt mit eiserner Faust die
Hand und den Degengriff des Leutnants umklammert,
daß dieser fatale Bäckermeister beim Nachhauseweg
Inn
einem Schlaganfall erlegen ist. „Also doch eine Novelle“
b13
sagt der Leser. Ja, nur nicht in der Form. Nichts
woll
wird erzählt. Nie ergreift der Verfasser das Wort.
des
Jedes epische Moment ist mit sauberer Technik in den
werd
Monolog des Leutnants hineingewirkt. Und dieser Mono¬
log, im Konzert anhebend, das der Leutnant mit einem
geschenkten Billet besucht und in dem er sich schier zu
Tode langweilt, ist das wundervollste anatomische Prä¬
parat einer österreichischen Leutnantsseele. „So seht ihr
inwendig aus
scheint der Dichter dem Durchschnitt
dieser Herren zuzurufen; er weiß natürlich, daß es auch
andere giebt, bessere und schlechtere, gescheitere und
noch dümmere als sein Leutnant Gustl. Aber offenbar
stellt Gustl den häufigsten Typus vor. Zu diesem Typus
gehört wahrscheinlich auch der Widerspruch von Seite 32
und Seite 80. Auf Seite 32 sagt sich Gustl, er müsse
sich töten, auch wenn der Bäckermeister, der ihn beschimpft
hat, diese Nacht noch sterben sollte und also niemand von
der Geschichte erführe. Denn: „Ich weiß es . . . und ich
bin nicht der Mensch, der weiter den Rock trägt und den
Säbel, wenn ein solcher Schimpf auf ihm sitzt!
So
muß ich es thun, und Schluß!“ — Auf Seite 80 hingegen
denkt er nicht mehr von fern an diesen Zwang im eigenen
Gewissen. Der Bäcker, der einzige Zeuge seiner Beschim¬
pfung, ist tot. Also — juhe! weitergelebt. Auf den
Abend bestellt er sich seine Stephanie und vorher noch, um
4 Uhr nachmittags, hat er ein Säbelduell mit einem Dok¬
tor. Den wird er „zu Krenfleisch“ zusammenhauen, er
ist so gut aufgelegt dazu.
Der Monolog durchläuft alle möglichen Stimmungen
und Gemütszustande. Im Anfang wirkt die wahrhaft
klassische Verachtung des Leutnants für die Konzertlang¬
weilerei höchst belustigend, auch seine Reminiscenzen an
ein Souper bei einer reichen jüdischen Bankierfamilie
und die Ausbrüche seines unverfälschten, aber doch mehr
nur konventionellen Antisemitismus machen den Eindruck
einer fröhlichen Satire. Nachher wird die Sache bäng¬
licher. Der arme Fuchs sitzt im Eisen und man fürchtet,
es werde ihn erwürgen. Man kann dem Lentnant näm¬
lich bei all seiner Thorheit nicht ganz gram werne. Er ist
ja nicht das Produkt seines freien Willens. Daß Schnitz¬
ler dieses Menschliche so herausgebracht hat, das seinem
Helden unsere Sympathie gewinnt, ist der Hauptbeweis
dichterischer Genialität, die er in diesem psychologischen
Essay gegeben hat.
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Schnitzter hat hier das Charakterbild eines jungen
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