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8. Die Toten schweigen
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ter werden und ein Frühling und ein Soll¬
mag es richtig sein, daß die innere politische
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terach oder ganz besonders in St. Wolfgang,
wo man dann bei Sonnenniedergang in blauem
Mis Femilleton. 79,
Jakett und schneeweißen Hosen in der eigenen
Seaeljacht über die nilgrünen Wellen hinfliegt.
1 Die jungen Herren.
Das Salzkammergut ist nämlich genau
Ein Wiener Typ.
wie die Prater Hauptallee, wie die Weinhauer¬
Die „jungen Herren“ von Wien haben
gärten in Sievering und der Grabenkorso eine
jetzt ihre hohe Zeit. Auf dem Graben und
vormärzliche Institution. Und die jungen Her¬
in der Kärtnerstraße laufen sie um die
ren von Wien sind sehr konservativ. Was der
Mittagsstunde viel geschäftig heru.i, schlenkern
Herr von Sternberg vor nun schon sechzig
die Stöcke, wechseln Händedrücke und lachen
Jahren niederschrieb, gilt ohne wesentliche Er¬
sehr laut in die Märzluft, daß es ein Spaß
weiterung auch für den heutigen Tag und für
ist. Die jungen Herren von Wien freuen sich
das heutige Geschlecht: „Die Wiener höhere
über die Frühlingsluft, Gott ja, ein bischen
und höchste Gesellschaft ist bekannt für sehr
Wintersport auf Skiern in Kitzbühl, auf sausen¬
exklussiv, sie macht wenig Reisen.“ Die Fremde
den Bobs über den Sonnwendstein haben sie
reizt sie nicht, das Ferne lockt sie nicht und
auch mitgemacht, weil es gerade Mode ist
all diese sachten, süßen und betörenden Ge¬
Aber ihr Herz war bei diesen eiskalten Stra¬
nüsse, die das Wiener Leben den jungen Herren
pazen nicht dabei: Gegen a Praterfahrt oder an
in Form von blonden Ladenmädln auf der
Heurigen is da a Schmarrn, gelten's ja
Mariahilferstraße, in Form von feurigen Pfer¬
den und volksjingenden Fiakern bietet, sie sind
Die jungen Herren von Wien fühlen sich
ihnen nicht nur ein Jux, ein Amüsement und
nur in der milden Luft rings um den Stefans¬
im Unband der Jugend leicht genossenes Er¬
turm daheim. Sie lieben die sehr gedämpften
götzen, sie sind ihnen viel mehr ein Erleben,
Genüsse der Fiakerfahrt, der Heurigenmusil
ein Sentiment, ein Schicksal.
und der molligen Wienerwaldberge, durch die
Jeder von ihnen hat einmal seine Schla¬
man, sacht zurückgelehnt, nach Klosterneuburg,
ger=Mizzi erlebt, ist wie der Auernheimsche
zum Stelzer und Rodann oder nach Breiten
„Lebemann“ über die Wiener Leipziger=Straße
urth hinausstrebt. Bei Kottingbrunn, wo im
in Mariahilf einem Hutkarton samt zugehö¬
Sommer nach dem Derby die mondänen Ren¬
rigem „Süßen Mädl“ nachgestiegen und man¬
nen gelaufen werden, endet die Welt, in der
cher hat in einer frühen Herbstnacht ohne töt¬
man sich wohlfühlt, wie ja überhaupt die Wie¬
lichen Ausgang im geschlossenen Wagen durch
ner Gesellschaft sehr enge geographische Gren¬
dunkle Kastanienalleen eine Stunde mit einer
zen hat. Sie liegen in der Erreichbarkeit einer
fremden Frau erlebt, wie der Schnißfersche
Fialerfahrt. Und dann gibt es höchstens noch
die
Franz in „die Toten schweigen. Jawohl,
in paar sehr exklusive Enelaven an den Seen
jungen Herren von Wien sind eine literarische
des Salzkammergutes, in Gmunden, in Un¬
##iiner Bölsen Zeiring, Bertin
Morgenausgabe
11067. 10
Vom Podium.
* Ein schlechter Wochenanfang: Hannah But
kus, die Mondäne unter den Rezitatorinnen,
ihrem Programm den Namen „Dichterimpressioniste
und versuchte so, ihren Kabarett=Tönen und Ba
Allüren ein literarisches Mäntelchen umzuhänge
Eine Rezitatorin ohne jegliche Sprachtechnik,
Seele, ohne Sinnlichkeit, nur ganz Verziertheit
gemimte Flach=Erotik, nur ganz konstruierte, nic
einmal raffinierte, sondern aufdringlich dummkoke
Pikanterie. Daß sie sich an Dichtern vergriff, w
Schändung, daß sie effektsicher kreischenoe Kitsc
dichter (hie Anthos) sprach, ihr gemäß, doch unnöt
Besonders schmerzhaft macht sich eine derarti
Talmikunst, solch geschmackloses Dilettieren fühlbe
wenn man nicht lange vorher die reife, vornehn
Rezitationskunst Friedrich Moests wieder en
mal genießen durfte. Ein Arthur Schnitzle
Abend, den Moest gab, fordert gerädezu z##
regendem Vergleich mit dem vorjährigen Schnitzle
Abend Riemanns heraus. Festgestellt sei, daß Mos
Programm im Gegensatz zu Riemann dem tie
ernsten, melancholisch versonnenen, nicht dem b
Schnitzl
kannten Tändler und Salon=Strindberg
galt. Von starker äußerer und innerer Wirkun
war die heißatmige und doch im künstlerischen Au
bau so klug formulierte, so fesselnd zugespitzte N#
velle: „Die Toten schweigen“, von feiner, ein weni
grotesker Melancholke, ein lebensphilosophische
Anatol=Lächeln verklingend „Der Tod des Jung
gesellen: In Schnitzlers „Ehrentag gelang
Moest nicht so ganz, so gelend, wie vorjähr
Riemann, das Tieftragische herauszubringen. Rein
komische Sitnationen dieser Novelle traten plastische
hervor. Des Vortragsmeisters allbekannte Fein
ziselierung der Form und Urbelebung des Stoff
beherrschten wieder einmal jede Seelenschattierun
und Klangnuance der Dichtung.

Figur, die man nach dem Sprachschatz der älte¬
ren Dramaturgie „eine stehende“ nennen
könnte. Weniger Charakter, als vielmehr ein
Typ. Sehr jung, sehr elegant mit einem leich¬
ten Ansatz zu Schwermut und Schmerbauch
und von sachten Melancholien der Vergänglich¬
keitsduft sind in der Wurzel ihres Wesens das¬
elbe, denn ehe das dritte Derby im dritten
Jahre unten in der Freudenau gelaufen ist,
heiratet man doch, just in dem Zeitpunkt,
in dem man in seine Körperfülle kommt. Und
das ist bald, so bald, denn vor der noblen
Trainiertheit des Leibes hat der junge Herr
von Wien eine behäbige Scheu. Man kennt den
Sport mehr vom Zuschauerraum. Und wenn
einen die Ehe trifft, rückt man halt vom Sat¬
telraum in der Freudenau hinauf in die Logen
oder beim Stelzer, dem Gasthof nahe dem
Jesuitenstift, aus den kleinen rot=weißen und
ehr intim verhüllten Zelten des Parterres
an die offenen Tische auf der Terrasse. Es ist
der Aufstieg ins Offizielle, die Karriere ins
Legitime, und der junge Herr macht das selbst¬
verständlich auch mit.
Jeder von ihnen ist nämlich ein geborener
Fhemann und ein künftiger Papa. Die junger
Leute von Wien sind sehr solid. O, sie haber
schon ihre Späße und ihre extravaganten Lar
nen. So galt es bis vor nicht langer Ze
als schickster Zeitvertreib, an Winternachm
tagen in dem Ersten=Stock=Salon einer Kärt
nerstraßen=Konditorei kleine, rote, wunderv
glasierte Erdbeeren, das Stück zu einer Kro
an die Decke zu werfen, daß sie droben
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klatschten und kleben blieben. Es gehört
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diesem Plaisir immerhin einige Uebung
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