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einem Epilog, so ist das undramatische, steife Stück
vorsichtig benannt. Es beginnt damit daß die
Hühner des Schloßhauptmanns Robert von Bau¬
dricourt keine Eier legen wollen, und siehe da, als
der energische Junker das Mädchen aus Lothringen
zum Dauphin ziehen läßt, da erscheint der Ver¬
walter wieder gleich mit fünf Dutzend Eier. Diese
Episode ist für die Methode Shaws sehr bezeich¬
nend. Er zwinkert mit den Augen: Seht, so pas¬
sieren die Wunder! Und ein Erzbischof in der
nächsten Szene erläutert dann, was der Spötter
unter Wunder versteht. Es ist das eine ganz raffi¬
nierte Art, die Wundergabe des Mädchens zu ver¬
spotten und das Wunder rationalistisch zu er¬
klären. Es ließen sich noch mehr Beispiele dafür
anführen. Johanna erscheini dann vor dem Dau¬
phin und krönt ihn schließlich in Reims. Unter¬
dessen sind wir auch schon mit den treibenden Kräf¬
#ten im englischen Lager bekannt gemacht, mit dem
Kaplan von Stogumber und dem Oberfeldherrn,
dem Grafen Warwick. Sie sinnen auf Mittel und
Wege, die Jungfrau zu verbrennen, zwar im hart¬
näckigen Kampf mit dem Bischof, aber schon hat
man das Gefühl, daß sie Recht behalten werden.
Schließlich das Inquisitionsgericht mit Bischof und
Inquisitor, den Kirchenrechtslehrern und den Do¬
miniranermönchen. Diese Szene ist am dramatisch¬
sten angelegt, es kommt zu einem langen und zähen
Disput mit der Jungfrau. Sie soll bekennen, daß
die Offenbarungen und Visionen vom Teufel
stammen, und unterschreibt schließlich auch den vom
Gericht aufgesetzten Widerruf. Daraufhin zu
lebenslänglicher Gefangenschaft verurteilt, zerreißt
sie das Papier in Fetzen und geht standhaft, als
rückfällige Ketzerin aus der Kirche gestoßen, in den
Feuertod. Ein angeklebter, ganz unkünstlerischer
Epilog zeigt sie als Siegerin über ihre Widersacher,
und ein geistlicher Herr im Habit überbringt ihr
mit amtsgemäßer Miene des Dokument der Heilig¬
sprechung.
Vom katholischen Stankpunkt aus müssen wir
gegen die Aufführung der „Heiligen Johanna“ un¬
bedingt protestieren. Denn die Objektivität
ist nur Glätte, die in der äußerlichen Abwicklung
getreue Historie nur Vorwand, damit Shaw die
eigene, ganz und gar antireligiöse Weisheit an den
Mann bringt. Gleichgültig ist uns wenn er seine
Landsleute verhöhnt, aber er hat kein Recht, reli¬
gtöse Gefühle zu beleidigen. Gerade weilser es so
versteckt tut, weil die Lästerung gleichsam in Skepsis
und Ironie hinter den Zeilen lauert, weil das
ganze Stück mit einem fast zynischen Rationalis¬
mus durchtränkt ist, der den Katholizismus mehr
als kluge Ausgeburt menschlichen Geistes hinstellt
als irgendeine philosophische oder religiöse Relation,
deshalb ist es abzulehnen. Auch künstlerisch ist der
Wert nicht bedeutend. Shaws Kraft reicht immer
nur für ein Theaterfeuilleton aus, für mehr nicht;
und der Ire ist im Eigentlichsten ein Beweis des
unproduktiven Elementes unserer Zeit. Er nimmt
die Geschichte her, kopiert sie, streut einige Splitter
und Einfälle ein und glaubt damit, der Kunst Ge¬
nüge getan zu haben. Das mag bei profanen
Stoffen manchmal unterhaltsam sein, aber von
heiligen und religtösen Vorgängen soll er die Hände
weglassen.
Shaw gehört schon der vergan¬
genen Gercation an, die in religiösen Dingen
so merkwürdig lau und also tolerant war. H. J.
Arthur Schnitzler: „Komödie der Verführung“
Zur reichsdeutschen Erstaufführung
Schnitzler — das ist Wien; diesmal das Wien in
den gewitterschwülen Monaten vor Ausbruch des
großen Krieges. Freilich taucht nur zuweilen, wie
Blasen in einem Sumpf, ein Ahnen der Kata¬
strophe auf.
Im übrigen: „Wiener Luft“ ein
Nachtfest beim Prinzen von Perosa, Masken Cham¬
pagner. Küss' untertäniast die Hand usw. Inmitten
einer Gesellschaft, die dem schrankenlosen Lebens¬
genuß ergeben ist und deren ganzes Sinnen und
Trachten bei Männern wie bei Frauen einzig da¬
rauf gerichtet scheint, für jede Nacht einen neuen
Liebhaber, eine neue Geliebte zu gewinnen, in¬
mitten eines Dialogs, der wunderlich schwankt
zwischen trivialstem Verkehrston und schmalzigem
Pathos, melancholischer Ironie und aufdringlichen
Pikanterien, setzt plötzlich etwas wie eine tragische
Verwicklung ein: Die Gräfin Merkenstein erwählt
aus drei Bewerbern den einen, dem sie nichts als
Frau sein will; doch dieser stößt sie in den Taumel
sinnlicher Lust hinein, weil er die „ewigen
Ströme“ des sexus auch in ihr, der noch Reinen, für
ihr eigenen eminenten Gestaltungskraft das rötsel¬
tig. Jeder will zeigen, was er ka
hafte Wesen dieser Frau einigermaßen verständlich
besser wissen. Diesmal ist es Otte
und ihrer Gestalt zu einer tragischen Wirkung zu
der es besser weiß als all die and
verhelfen. Ihr stand der Freiherr von Falkenir
viel Bruckner in der letzten Zeit
Kurt Sellnicks ebenbürtig zur Seite. Bernhard
men, aber so, wie ihn uns Klem
Herrmann überraschte als Prinz Arduin mit
hat, kannten wir ihn noch nicht. J
einer treifenden Darstellung des blasierten Welt¬
achte Symphonie, die ja am meist
mannes. Gustav Schwab gab den Dichter Ambros
ist das Wesen der Brucknerschen
Doehl mit feiner Zurückhaltung, die dessen vor¬
schleiern. Unter Klemperer wächst
nehme Sinnesart inmitten einer leichtlebigen Um¬
tale Tonwerk ins Unendliche.
E
gebung sympathisch hervorhob. Als eigenständige
die zerklüsteten Felsblöcke aneina
und tüchtige Kraft zeigte sich Friedel Nowack in
eine neue Form. haucht ihnen Leb
der Rolle der Seraphine: gut waren auch die beiden
zum Schluß den herrlichen Bau, den
Schwestern Indith und Julia non Guhrun Ka¬
Kraft hat erstehen lassen, der ihm
bisch und Hilde Wernburg. Anaust Momber
gewachsen ist, der wie ein gewaltic
spielte den Maler Gysar mit verhaltener Dämo¬
Wolken ragt. Es wird sich ja zei
nie, Mar Andriano den Kammersänger Eliains
nun an die Wiener Staatsover gel
Fenz mit der Pose des „jugendlichen“ Alten. Da¬
nicht den rechten Wirkungskreis in
gegen bedeutete die Darstellung des Mar von
wird. Denn Bruno Walter will a
Reisenberg eine ziemliche Enttäuschung: Wolfaang
werden, obwohl man ihn in jede
Langhoff gelang es nur selten, der Person des
winnen sucht. In der Philharmon
„Herzensbezwingers par excellenee“ bezeichnende
unverdrossen Mozart. Er macht
Züge zu geben Und gerade diese Rolle hätte einer
Lärm um eine Sache er begnügt
vorzüglichen Darstellung bedurft. Trotzdem konnte
Stilvrogramm. Sich selbst schmeiche
der Reaisseur die Aufführung als Erfolg buchen;
sich hin, wenn es gilt, die sonnige
das Publikum wie immer, beifallsfrendig, klatschte
„Till Eulensviegel“ zu beleben, er
lange den Darstellern seine Anerkennung. darin
wieder bei Schuberts großer C=dur¬
das Zischen einiger weniger unterging; das schien
er ganz ungekannte Klangreize abzi
allein dem Stück selbst zu gelten. Wäre auch der
Auch der Aachener Generalmusi
Beifall zu verstehen so wäre das im Interesse des
Raabe erwies sich als außerordent
Ruses des Wiesbadener Theaterpublikums zu be¬
dirigent. Er scheint etwas bizarr.
dauern.
aber recht intensive Zeichengebun
Damit könnte es nun sein Bewenden haben,
ihn. Mit Rudi Stephans Orchester
wenn nicht der, welcher das Theater als Kultur¬
sich vorteilhaft ein. Auch die
stätte und nicht als Unterhaltungstempel wertet.
siebente Symphonie von Anton B
die Pflicht hätte, nach dem kulturellen Wert eines
ihre Schwungkraft. Zwischendurch
solchen Abends zu fragen. Und da versagt diese
rete Witt Strauß' Klavier=Burleske
„Komödie“ völlig. Was soll uns, die wir durch das
als Töne! Elln Ney mußte man
Erlebnis eines blutigen Krieges und bitterer Not
Nachhaltig wirkte auch der zwe
hindurchgegangen sind, heute eine derartig ange¬
Abend Georg Schneevoigts. Sond
faulte, blasierte und willensmüde Welt? Ihre
Ausland uns Beethoven vermitteln
Lebens.kunst“ widert uns an, und wir sind geneigt,
nigt ist neben Furtwängler der
diese pathologische Blicknerengung einer dekadenten
dieser ewigen Musik. Artur Schn#
Schicht, die in der Fülle der Welt nur das Ge¬
G=dur=Klavierkonzert. Seine natün
schlechtliche sieht und jede Liebeserregung so furcht¬
weise, seine aller Bravour bare Te
bar wichtig nimmt, lächerlich zu finden. Wir glauben
mer, gesunder Ton machen an ihn
nicht an die unüberwindliche Allgewalt der
der Singakademie hörte man eben
„dunklen, ewigen Strömungen, die unaufhörlich
Klaviermusik. Sergei Tager brillie#
fließen von Mann zu Weib und von Weih zu
virtuosem Können und höchst inte
Mann“ und unsere Sympathie gehört durchans
gramm. Fritz Hans Rehbold mei
nicht „der Vielfältigen, Unerschöpflichen, Herrlichen,
sische Literatur. Von Sängern ble
die geschaffen ist, sich zu verschwenden und in aller
lena=Ruckers mit seiner kräftigen #
Verschwendung sich im Innersten stets zu be¬
Erinnerung und die liebliche Ciba
wahren“ (1).
Das ist Gallert, aus dem unser
kultivierten Gesang und Novitäten###
niedergebrochenes Volk schwerlich neue Kraft
Geigerprimas Vecsey löste Huberma
ziehen kann. Gab es wirklich nichts Wertvolleres
Goldmarks Violinkonzert seine ganz
an neueren dramatischen Werken, das unserem Zeit= erwies.
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