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Konoedie der Verfuehrung box 33/6
„e e zung abthuten woito. Am Nae
IE
zwischen seine Nacht, zwei Nächte sogar, bei der europäischen
gewaltsam zu entfernen; sie ertränkt sich. Und Falkenir folgt ihr.
Zukunstskokotte gehabi, die fünf Minuten später dem Prinzen von
Hier glauben ja alle Männer, die Frauen „ihren Weg gehen“ lassen
Perosa zu einer „Lustfahrt“ auf seine Jacht folgt — am 1. August
und ihnen folgen zu müssen; keiner, der stark genug wäre, eine Frau
1914. Reigen! Aber, mit Verlaub und im Ernst gesprochen: der
zu führen. Falkenir folgt ihr, nicht ohne ein sehr schönes und
„Reigen“, als Buch genommen und genossen, dünkt mich wesent¬
tiefes Wort über die Liebe gesprochen zu haben: „Lieben heißt
lich geistreicher nicht nur, sondern geschmackvoller als dieser Ver¬
Bangen, Kämpfen, Werben — Lieben ist: in jeder Stunde neu
führungsmischmasch. Dort trennen doch Zeit und Raum die ein¬
ich erringen müssen, was man liebt; bereit sein, zu verzichten, wenn
zelnen Szenen, hier gleiten die Frauen im gleichen Akt von
es das Schicksal will — und Heimat bedeuten, immer wieder Hei¬
einem Arm in den anderen. Und was das Peinlichere ist: sie
mat aus welcher Fremde auch die Geliebte wiederkehre und in
reden davon mit einer nichts weniger als verführerischen Deut¬
welche Ferne sie sich sehne.“ Das ist beste Schnitzler=Weisheit
lichkeit. Als die Frau des Bankpräsidenten ihren Gatten im Ge¬
(von Herrn Aslan mit edler Einfachheit vorgetragen), ist ein
fängnis glaubt, jubelt sie daß sie nun schlafen kann, wo und
wundervolles Komödienthema; leider hat's der Dichter nicht durch¬
bei wem sie will; vom Schlafen in diesem Sinne sprechen die
geführt. Und wenn der ausgesungene, aber unverwüstliche
Frauen hier bis zur Ermüdung, und diese Atmosphäre der Un¬
Kammersänger Eligius Feny über den Selbstmord der beiden Lie¬
sauberkeit (man muß das Wort beinahe auch rein physisch ver¬
benden mit dem fröhlichen Worte hinweggleitet: sie „haben nicht
stehen!) berührt darum so undelikat, weil der Dichter nicht fühlen
gewußt, daß das Leben immer köstlicher wird, je weniger davon
läßt, daß er über ihr steht.
übrig bleibt,“ so möchte man auch dazu gerne ja sagen, würde es
nur nicht gerade am — 1. August 1914 gesprochen.
Aurelieber? Und Falkenir? Man hat sie fast schon vergessen,
Carl Weichardt.
bis sie mit den anderen Figuren, wie es eigentlich nur in alten
Schwänken erlaubt ist, alle zugleich in Gilleleije am dänischen
Strand wieder auftauchen. Aurelie, die menschlich adlige Frau,
= Rottenberg=Anekdoten.] Zum 60. Geburtstag des ver¬
die zuerst so wahr und weise von echter Liebe zu sprechen weiß, die
dienten Frankfurter Musikers erzählt uns Bernhard Sekles
weder Beute eines Prinzen noch Gleichnis eines Dichters (eines
die folgenden Anekdoten:
sehr blutarmen Dichters freilich!), sondern in Frieden die Frau
eines Mannes werden will, schwimmt zu Beginn des zweiten Aktes
Vor Jahren lebte in Frankfurt ein Künstler, der in ganz be¬
bereits befremdlich tief in jenen dunklen Strömen, in die ihr Ver¬
sonderer Weise dem schönen Geschlecht huldigte. Als die Rede
lobter sie wissenlich hingestoßen, „zwischen einer Lust und der
auf ihn kam, sagte Rottenberg: „Was wollen Sie; jeder Mensch
andern“. Im dritten Akte aber:
— „wenn wir zu gleiten be¬
ruiniert sich auf seine Art, er eben auf diese.“
ginnen, wissen wir denn, wohin?“ Es genügen Fackelschein, Flöten
Einst wurde in einem musikalischen Kreise lang und breit über
und Geigen, und Aurelie „gleitet in die Arme eines Verführers
Reger gesprochen. Schließlich sagte Rottenberg: „Was nutzt s.
das alles; ich habe kein Bedürfnis.“
eines Freundes, eines Fremden, der die Stunde zu nützen weiß.“
Als sie erfährt, daß ein Maler, dem sie gehört und der sie in ihrer
Bei einer Diskussion über Richard Strauß äußerte er
nackten Begehrlichkeit gemalt hat, das Bild verkauft habe, meint
sich: „Strauß ist nicht warm, aber er ist heiß.“
sie, er hätte auch sie selbst verkauft, wehn man ihm genug geboten
Vor Jahren herrschte unter den Frankfurter Musikern eine
hätte; „und wie lange noch — so hätte ich mich wohl auch ver¬
wahre Scheidungsepidemie. Künstler, die in langjähriger Ehe
kaufen lassen.“ So redet und lebt sie sich in das von Falkenir
gelebt hatten, trennten sich von ihren Frauen und suchten neues
und — Schnitzler ihr eingeimpfte und aufkonstruierte Dirnentum
Glück. Rottenberg sagte: „Man schimpft viel in der Stadt über
hinein; wir glauben es ihr nicht, schon gar nicht, wenn Frau
diese Dinge. Ich kann. da nicht mittun; ich habe mir nur gesagt:
Wohlgemuth durch Adel des Wesens und des Wortes immer
Gott gebe, daß dir das nicht passiert.“
wieder die Unmöglichkeit demonstriert, eine seinnervige Frau von
Eines Tages sagte Rottenberg: „Die jungen Leute lernen
heut auf morgen in eine wahllos sich wegwersende Dirne zu verman¬
deln, aber unsere Teilnahme an dem Fall ist damit überhaupt er¬
heutzutage alles Mögliche in der Schule, nur nicht das Wichtigste,
loschen. Soll es wirklich nur um die Ströme gehen die zwischen
nämlich die Frau.“ Als ich bezweifelte, daß man diesen Unter¬
Geschlecht und Geschlecht“ fließen sieht nicht die Wecht—janer
richtsstoff systematisieren könne, erwiderte er: „Machen Sie keine
seelisch=sinnlichen Verführung zur Diskussion, die das Blut zweier
Witze; s##ein junger Mensch glaubt, eine Frau sei eine Blume,
bestimmter Menschen zueinander treibt, Menschen die sich
dem ist aber garnicht so.“ Ein Kollege, der die Eigenheit hatte,
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wildfremd sein können, aber die einander vorbestimmt sind und die
etwas vorschnell zu resümieren, meinte, das Problem sei gar
auch im Sturm der Gefühle noch steuern, noch wählen, handelt
nicht so schwer. Eine Frau wolle beherrscht sein, dafür aber
sich's um nichts als die Lust des Sexus, um das Tier in uns,
auch das Bewußtsein haben, beschützt zu werden. Darauf
wozu da ein Drama? Es ist eine Angelegenheit der Sexual¬
Rottenberg mit unnachahmlichem Ausdruck: „Ja wohl, heute!!“
pathologie. Darum bleibt dem Dichter auch nichts weiter übrig,
[Jeßners „Wallenstein“=Inszenierung.] Der laute
als die unzurechnungsfähig gewordene Aurelie aus der Komödie Beifall schrie es hinaus, die Stimme im eigenen Innern be¬