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Wiener tägl. Theater- u. Fremdenzeitung (Karl Ed. Klopfer), XXVI. Jahrg., I. November-Hälfte 1924
Nr. 117—
Füße, und als er es nicht bemerkt, eine zweite den Revolver aus der Hand gerissen. Max will
Und um sich Das gegenseitig zu zeigen, erbittet
und dritte. Er dankt ihr affektiert, mit impro-Faber vor Allem — tanzen, und Judith wirft sich
sich Max zur Belohnung die Gnade, Aurelie zum
visierten geschraubten Versen und verspricht, ihr ihm fröhlich in den Arm: „Da haben Sie mich,
Tanz führen zu dürfen. Sie meint, wenn sie
Kamerad!“
weißien Flieder zu pflücken. „Dann tanzen wir.“
tanzen wolle, gehöre der erste Tanz wohl ihrem
„Bemühen Sie sich nicht, mein Herr!“ ent¬
Von diesem lebhaft gestrichelten Hintergrund
Verlobten. Aber Falkenir besteht darauf, daß sie
gegnet sie schnippisch. „Bis Sie wieder da sind,
hebt sich das Hauptthema in einfachen, strengen
der Bitte willfahre und blickt dem Pas e ver¬
habe ich Sie längst vergessen.“ Hier wird es
Umrissen ab, ein schwerblütiges Adagio. Es be¬
sonnen nach. Inzwischen führt Fenz, der einst so
deutlich, welche Chancen der Don Juan bei den
ginnt mit dem Eintritt des Freiherrn v. Falkenir
gefeierte Don Juan der Oper, seine zwei maskier¬
herzklugen Frauen hat, die ihn durch den Lust¬
(Asian). Er ist eigens aus Rom gekommen zu
ten Verehrerinnen an das Buffet. Aber das ist
erweckungsduft, den er verbreitet, als das rein
der verabredeten Zusammenkunft mit der Märchen¬
schon verlassen; vergeblich begibt er sich in das
animalische Männchen erkennen. Ambros Doehl,
prinzeß und den zwei anderen Freiern, Arduin ist
Zelt, nach einer Flasche Champagner zu fahnden.
dem Seraphine das Nähere über Reisenberg ab¬
überzeugt, daß sich Aurelie mit ihnen nur einen
Als er wieder sichtbar wird, sind seine zwei Ver¬
fragt, gibt ihrer dadurch beunruhigten Schwester Karnevalsscherz gemacht habe und nicht mehr
Pehrerinnen verschwunden, entführt von den männ¬
die Versicherung, daß Seraphine gefeit sei. „DerIdran denke. Ambros ist anderer Meinung und
lichen Komplizen ihrer Maskenintrigue. Seine Be¬
mahnt an die Gesetze des Märchens: Pünktlich¬
geschieht Nichts! Und wenn es mit der Zeit
stürzung ist dem Freiherrn wohl auch ein war¬
zehn Liebhaber werden sollten, die bleibt ewig
keit, Geduld und Glaube. Als in der Ferne von
nendes Gleichnis. Als Aurelie mit Max wieder
einem Kirchturm die Mitternachtsstunde schlägt,
rein.“ Elisabeth protestiert. So wie sie selbst
Tauftritt, hat sich auch ein Teil der früheren Ge¬
steht Aurelie (Wohlgemuth) hinter ihnen. Sie hat
soll auch die Schwester „eine tüchtige Hausfrau“
sellschaft wieder eingefunden, voran die Fürstin
Wort gehalten und erfüllt nun auch die weitere
werden, trotz der Künstlerin, „eine Frau, eine
am Arm des großen Gysar. Aurelia stellt ihrer
Mutter, dazu ist sie geboren“. Seraphine nimmt
Zusage. „Reiche mir jeder die Hand! Arduin,
Tante den Freiherrn als ihren Verlobten vor.
das Wort „Mutter“ mit träumerischem Lächeln
Ambros — wir wollen Freunde bleiben.“ (Die
Der schweigt. Als aber der Maler bei ihm die
auf. „Ja, Das muß wohl schön sein“, schwärmt
Dame legt leider den Ton auf bleiben, als
Erlaubnis einholt, seine Braut zum Tanze zu
sie, auf die Balustrade gestützt. „Wie sie’s nur [handle es sich darum, an die alte Freundschaft
führen, drängt sie Falkenir auch wieder dazu.
Alle anstellen, zu ihrem Kind den richtigen Vater
zu erinnern.) „Die deine halte ich fest, Falkenir:
Es sei eine Freude, sie tanzen zu sehen. Er folgt
Dich hab’ ich gewählt!“
zu finden?“ Da lockt wieder die Tanzmusik,
ihnen von ferne, wührend Max der allein zurück¬
Elisabeth folgt ihrem Bräutigam dahin, Ambros
Der Baron versteinert in stummem Erstaunen,
bleibenden Seraphine Gesellschaft leistet. Natür¬
soll Seraphine zum Tanz führen, wird aber von
indessen sich die zwei Anderen mit einem resig¬
lich ist jetzt wieder sie seine Augenblicks-Herz¬
Frau Julia zurückgehalten, die eben von ihrem
nierenden Lebewohl entfernen. Er vermag nicht
dame. Es entspinnt sich ein reizvolles Zwie¬
Prinzen kommt. Sie weiß, daß ihr eifersüchtiger
zu glauben, daß er der Bevorzugte sei. Warum
gesprüch, in dem sie eine vortreffliche Charakte¬
Mann sie vermißt. Ambros muß ihr das Allbi
verschmäht sie den glänzenden Prinzen, den jung¬
ristik seiner Person entwirft und als seine einzige
liefern. „Sie werden ihm sagen, daß ich die
feurig geistvollen Dichter-Empfinder? Was er¬
gute Eigenschaft feststellt, daß man ihm nicht
ganze Zeit hier am Teich mit Ihnen geplaudert
wartet sie just von ihm, dem Alternden, der
böse sein könne. Seine eitle Belriedigung darüber
habe.“ Da gesellt sich der Staatsanwalt Braunig!
sich nie ernstlich das Recht zugetraut hätte, um
dämpft sie mit dem Bekenntnis, daß sie einem
zu ihnen, von dem Westerhaus sehr gut weib),
sie zu werben? Täuscht sie sich über sich selbst?
Menschen, der ihr sehr lieb und teuer wäre,
daß er seiner Frau nachstellt und sicher nicht
Flieht sie zu ihm — vor sich selbst? — Sie
unter Umständen auch einmal böse sein könnte.
hoffnungslos. Er tritt auf, mit der Schwägerin
begreift nicht seine Bedenklichkeiten, verlacht
„Ihnen nicht.“ Er bittet, sie besuchen zu dürfen,
Judith am Arm, die nicht ganz rein schwester¬
seine Einwände gegen ihren vermeintlich falsch
um mit ihr zu musizieren. Dann tritt die Schwester
liche Gefühle für ihn begt. Im selben Augenblick
überlegten Entschluß. Wovor zagt er, der All¬
mit ihrem Bräutigam hinzu und mahnt zum Auf¬
zubescheidene? Daß sie sich von der Seite des
kehrt der schöne Max mit drei requirierten
bruch. Auf den abenteuernden Papa kann man
Fliederzweigen zurück. Judith begehrt diese
prüokkupierten Gelehrten bald in die brausende
nicht warten. Max darf die Damen bis an das
Blüten Er eiht ihr nach einigem Zägern einen
Welt hinaus sehnen werde? Von der will sie ja
Parktor begleiten.
Zweig. Judith zerknickt ihn und wirft ihn ihm
eben Nichts wissen. „Ich habe meine Mutter ge¬
Jetzt kehrt Aurelie vom Tanze zurück, atem¬
vor die Füße. Dieses Intermezzo benützt Brau¬
sehen, wie sie wiederkehrte aus jener Welt, die
los und erhitzt, Gysar an ihrer Seite in Feuer
nigl, Julia die leidenschaftliche Frage zuzuflüstern:
du meinst, und müde und zerrüttet an der Schwelle
und Flammen. Er fleht, sie porträtieren zu dürfen.
„Wann werden Sie mir gehören?“ Sein Leben.
unseres Hauses niedersank. Auch andere Frauen
Sie verwehrt es, nicht ohne Grauen. Man weiß
seine Ehre wär' ihm als Preis dafür nicht zu
sah ich Suchende und Gejagte, Unersätt-Jja, wie seine Bildnisse zustandekommen und daß
hoch. Westerhaus läßt seine Frau nicht aus den
liche oder Berauschte schienen sie mir alle, die
er von den Frauen, die ihm zu Willen sind, stets
Augen. Sie soll mit ihm heimfahren; Judith mag
Glücklichen wie die Elenden. Die Welt, aus der(noch ein zweites, geheimes Bild malt, das sie
noch bleiben. „Warum so stumm?“ tritt er die
sie kamen, regte in mir eher Schauder auf als
nicht bloß seelisch — völlig enthüllt. Sie eilt
Gattin plötzlich an. „Sind dir die Lippen vom
Sehnsucht.“ Da umfaßt sie ein — Falkenauge
dem Baron entgegen, der auf der Terrasse auf¬
Küssen wund?“ — „Gib mich frei!“ bricht's da
mit großem Blick. „Was du Schauer nennst,
taucht, und will nun den Tanz mit ihm. Aber
aus ihr; und er antwortet ihr höhnisch, ohne
Aurelie, das wird wohl am Ende auch nichts
es gibt keine Musik mehr. Nun, dann will sie
Rücksicht auf die Zeugen: „Heute noch nicht;
Anderes sein als Sehnsucht — Sehnsucht, die
mit ihm ihre nächste Zukunft besprechen, Pläne
vielleicht morgen. Ich bin dich noch nicht satt.
sich ihrer selbst schämt.“ — „Warum mißtraust
entwerfen und vor Allem erfahren, wann die
Komm:“ Die umstehenden Herren rufen ihn
du mir, Falkenir?“ —
„Das ist nicht Mi߬
Hochzeit sein solle. Er verweht ihre Worte mit
zur Besinnung. Er weist sie brutal zurück,
trauen, Aurelie“ (Aslan betont lieber das „nicht“)
einer sanften Gebärde und läßt sie neben sich
indem er die Frau am Arm packt und mit
„es ist Wissen.“ Um sich und sie, meint er.
uf der Steinbank am Teich Platz nehmen, um
sich fortzieht: „Sie ist mein Weib, ein Weib.
Seine Frau hat sich den Tod gegeben — im
ihr auseinanderzusetzen, daß überhaupt keine
eine Sache, gekauft wie irgend eine andere.
Wahnsinn, heißt es. Und er mißt sich die Schuld Hochzeit sein könne. Wie, was? Ist Das ein
Ein reinlicher Handel, meine Herren. Wollte
daran bei. Eben weil er sie liebte, verstand ersschlechter Scherz? Oder zürnt er ihr doch, weil
— Der
Gott, es gäbe keinen schlimmern!“
alle ihre Gedanken, ihr Sehnen, „alle Möglich¬
sie mit Anderen tanzte — und so, so — so
Staatsanwalt drückt vor Doehl seine Empörung keiten ihres Wesens“ besser als sie selbst. Ihre
leidenschaftlich tanzte? „Häßlicher, frecher viel¬
aus über den „Sumpf“, der sich hier offen¬
Treue war selbstauferlegte Buße, ihr Tod, der
leicht als andere Frauen?“ Nein, sie habe schöner
bart. Max macht Fräulein Judith Vorstellungen,
bezeugen sollte, daß sie nur sein gewesen, nur
getanzt als je, aber in diesem Rhythmus verstand
daß sie in diesem ehrbaren Bürgerhause nicht
die Flucht vor der Untreue, „Mir ist es gegeben,
er sie erst vollends. Und daß es Vermessenheit
länger bleiben könne. Sie stimmt zu. Nächstens
Idie ewigen Ströme rauschen zu hören
wäre, sie an sich fesseln zu wollen. Sie hat kein
geht sie zur Vollendung ihrer Gesangsstudien
die dunklen, ewigen Ströme, die un¬
Uhr für seine psychologischen Gründe (auch einem
nach London und im Herbst nach Dresden in's
laufhörlich fließen von Mann zu Weib
Theaterpublikum können sie weit weniger ein¬
Engagement. Max will sie begleiten. Als Gatte
und von Weib zu Mann, zwischen Ge¬
gehen als dem Leser des Buches); sie fühlt zu¬
sogar, wenn sie wolle. Sie lacht ihn aus. Sie
Ischlecht und Geschlecht. Und Das ist’s,
nächst nur den Schimpf, den er ihr antut. „Das
heiraten und einem Mann Rechte über sie ein¬
[was mich zur Einsamkeit verdammt, auch
ist kein Schimpf, Aurelie, Huldigung ist’s — vor
räumen? „Nein, dazu bin ich nicht auf die Welt
am treuesten, alch am geliebtesten Herzen, der, die du bist, ohne es geahnt zu haben. Vor
gekommen. Ich will es ehrlicher treiben als die Und darum, Aurelie...“ Hier werden sie durch der Vielfältigen, Unerschöpflichen, Herrlichen, die
Anderen.“ Im weiteren Gespräch schließen sie Max v. Reisenberg unterbrochen, der eine Hals¬
geschaffen ist, sich zu verschwenden und in aller
Kameradschaft, sie bekennt ungesiert, daß sie kette gefunden, die Aurelie verloren hat. Er Verschwendung sich im Innersten stets zu be¬
für den Präsidenten Neigung habe und gibt dem kennt das Ding; es war das letzte Stück, das wahren.“ So stoße er sie also von sich und hin¬
lieber Kameraden nebenbei den Rat, sein Ver¬ sein Vater selbst angefertigt und — nach Schloß aus in die Gefahren einer genußgierigen Welt?
mögen, das er in Westerhaus' Bank liegen hat, Merkenstein gebracht hat. So stehen sich also
„Nein, Aurelie, ich löse eine Hand aus der
80 rasch als möglich zurückzuziehn; sie habe Zwei gegenüber, die Ursache hätten, aus kind-deinen — und zeige dir den Weg.“ — Nach
dem Herrn Schwager, der waghalsige Spekula- licher Pietät einander zu meiden. Aber sie sind einem wehmütigen Abschied geht er von ihr.
tionen liebt, bereits vor anderthalb Jahren einmal nicht abergläubisch und hegen kein Vorurteil. Sie bleibt allein, gebadet in brennender Scham.