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Text

29. Komd
box 33/6
der Verfuehrung
pr. Man Geldschmiet
Caro für Testungsauschmlte
releton: Norden 3051
BERLIN N 4
Busschnitt aus:
vertsche dligeneine Selung-Verie
26.Okt. 1924
Bett, von Busen zu Busen, von Aurelie zu
Schnitzlers
Seraphine, dem süßen Mädel, der Tochter des
Exkammersängers Fenz, von ihr zu Judith Aßra,
„Komödie der Verführung.“
zur Schwägerin des Bankpräsidenten, der seine
Frau getauft hat, und den diese ans Messer liefert,
Reichsdeutsche Uraufführung im
um einem anderen zu gehören. Judith aber, die
Staatstheater Wiesbaden.
sich vermaß, in einem Jahre die größte Kokotte
Europas zu werden, folgt, wohl um diese Lauf¬
Drei Männer werben um Aurelie von Merken¬
bahn würdig zu beginnen, dem Prinzen auf seine
stein: Arduin Prinz von Perosa, Ambros Doehl,
Zauberjacht.
der Dichter, und Ulrich Freiherr von Falkenir.
Das sind die Menschen, die an der Schwelle
Den letzteren erwählt sie nach dreimonatlicher
des großen Krieges stehen, denn das Stück spielt
Bedenkfrist auf dem Maskenfest im Park des
zwischen dem 1. Mai und dem 1. August 1914!
Prinzen. Aber er nimmt sie nicht, er stößt sie
Sie haben keinen Grund mehr unter den Füßen.
hinaus in die Welt, denn ihm ist es gegeben, die
sie werden in den Abgrund stürzen und es ist nicht
schade um sie.
ewigen Ströme rauschen zu hören, die dunklen,
ewigen Ströme, die unaufhörlich fließen von
Bedauerlich bleibt es bis zu einem Grade, daß
Mann zu Weib und von Weib zu Mann, zwischen
Schnitzler dieses Stück der durcheinanderwirrenden
Geschlecht und Geschlecht. „Er ahnt in ihr die
Handlungen geschrieben hat. Man meint einen
Vielfaltige, Unausschöpfliche, Herrliche“, die ge¬
Roman an sich vorübergehen zu sehen. Die
schaffen ist, „sich zu verschwenden, und in aller
dramatische Schlagkraft, die Schnitzler in dem ihm
Verschwendung sich im Innersten stets zu be¬
recht eigentlich liegenden Einakter wohl zu Gebote
wahren. Sie ist nicht die Frau, sich zu binden.
steht, verpufft in diesen fast vierstündig an einem
Er führt sie auf den Weg, den ihr wahres Wesen
vorüberfließenden Konversationen. Wohl ist der
ihr weist. Aurelie ist zum mindesten eine gehor¬
Dialog geschliffen, wohl fehlt es nicht an echt
same Schülerin. Von der Seite ihres unbegreif¬
schnitzlerischen Worten, die keinem anderen zu
lichen Verlobien weg taumelt sie halb verführt,
Gebote stehen, an Perlen, wie nur ein Dichter sie
halb Verführerin, in die Arme eines hübschen
Jungen, des Max von Reienberg, eines Miniatur¬
Don=Juan, und zugleich einer echt schnitzlerischen
Figur, dem alle Frauen gehören. Wenn auch
nur für eine Nacht. Auch er ein Umhergetriebener.
Von da gleitet sie rasch die abschüssige Bahn hinab.
Sie gehort dem brutalen Gysar, der sie malt gleich
Eva, und dieses Bild dem Prinzen verkauft. Sie
flüchtet zu Ambrou, sie fühlt, daß sie sich bald
selbst hatte verkaufen lassen. Krankhafte Ver¬
störung bemächtigt sich ihrer. Sie hat nun die
ewigen Ströme, denen Falkenir ihr Ohr geöffnet
hat, ungebändigt durch ihr Herz fließen lassen.
So findet sie der Verlobte wieder. Gibt es noch
eine Vereinigung nach dem, was geschehen ist?
Die Gespenster schrecken, die der Vergangenheit
und mehr noch die der Zukunft. Was bleibt, ist
der gemeinsame Tod. Die Wellen des Meeres
geben die endlich Vereinten der Erde wieder.
Diese Entwicklung, obwohl folgerichtig, nach¬
dem einmal der erste Schritt getan, bleibt im
übrigen durchaus unbefriedigend. Denn eben
dieser erste Schritt wird keinesfalls genügend
motiviert. Gegen Ende des Stückes spricht
Falkenir das unbestreitbar wahre Wort: „Lieben
heißt bangen, kämpfen, werben — Lieben ist: in
jeder Stunde neu sich erringen müssen, was man
liebt; bereit sein, zu verzichten, wenn es das
Schicksal will —
und Heimat bedeuten immer
wieder Heimat, aus welcher Fremde auch die Ge¬
liebte wiederkehren
— — und in welche Ferne
sie sich sehne.“ Kämpfen. Werben, Heimat — das
sind sicherlich essentielle Gehalte des Begriffes
Liebe, aber wo ist in diesem schnitzlerischen Werke
echte Liebe? All seine Menschen sind heimatlos.
Sie haben kein Heim, keine Liebe und keine
Heimat, wie dies letztere so wundervoll an dem
Prinzen Arduin erläutert wird. Sie finden sich
und verlieren sich. Selbst dies kurze Dasein
scheint ihnen im Lichte jedweder Bindung als
Ewigkeit. Sie lieben nicht, sie liebeln nur. und
verführen ohne zu führen.
Max, der nette Junge, gleitet von Bett zu
reiht. Doch das ganze ist konstruiert, erdacht —
nicht erlebt.
Die Aufführung des Wiesbadener Staats¬
theaters ist im wesentlichen zu loben. Dr. Hans
Buxbaums Regie hatte sie um einige Grade
zu schwer, zu unschnitzlerisch angelegt. Dies Stück
will beschwingter gespielt sein, mit starken Tempis,
und nicht minder mit dem weinen Hauch der
Elegie, der todgeweihtes Liebenswertes unwider¬
bringlich Verlorenes umkleidet. Einzelne der
Spieler tafen diesen Ton, am besten wohl Bern¬
hard Herrmann als Prinz Arduin, der mit
sicherem Instinkte und mit natürlicher Eleganz die
schnitzlerischer Lichter spielen ließ. Auch der Max
von Reisenberg Wolfgang Langhoffs war
eine erfreuliche Leistung von glaubhafter Diskretion
der Verführungskunst, der sich fein bemäntelt die
innere Leere paart. Thila Hummel lieh der
schwierigen Rolle der Aurelie ihre starke Ge¬
staltungskraft. Neben ihr verblaßte die undank¬
bare Figur des Freiherrn von Falkenir in Kurt
Sellnis Darstellung. Friedel Nowack
war eine liebreizende Seraphine, eine Gestalt, die
stellenweise leise Rührung weckte und Max
Andriano als Kammersänger Fenz eine vor¬
treffliche Charge.
Dr. Leuchs-Mack.