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geschlössene Form eine E
Man merkte deutlich, daß durch bie
müdung eintrat. Und so mußte Schnitzter nun tlein beigeben und
wenigstens einen Zwischenatt konzedieren. Einmal gab ja be¬
kanntlich selbsi der große Ibsen nach, der den Schluß seiner
„Nora“ änderte. Das Publikum ist eben ein unerbittlicher“
Tyrann. Oskar Blumenthal schrieb einmal eine etwas kühnere
Komödie. Ein Theaterleiter schlug ihm vor, für seine Bühne einen
milderen Schluß zu machen, und die zwei Leute, die sonst schroff
auseinandergingen, sich versöhnen zu lassen. Lächelnd meinte er:
„Also gut, nehmen wir den versöhnlichen Schluß für Städte unter
100.000 Einwohnern.“
Die Geschichie des letzten großen Wiener Theatereifolges,
den „Frau Rat“ errungen hat, hat eine ebenso listige wie lehr##
reiche Pointe. Wie ist Dr. Paul Wertheimer, der glückliche Autor
der „Frau Rat“ zu diesem interessanten Sujet gekommen? Da¬
durch, daß er ein Buch mit sich in der Tasche herumgetragen hat
und damit in das Kaffechaus gegangen ist. Ein so vielbeschäftigter
Mann, der gleichzeitig Rechtsanwalt, Publizist und Poet ist, hat,
seitdem das Casé Grünsteidl und das „Jung=Wien“, dem er an¬
gehörte, nicht mehr existiert, nur noch selten Zeit für eine Kaffee¬
hausstunde. Eines Abends im vorigen Frühjahr ging er aber am
Café Kaiserhof vorüber; da zog er dem Kafscedufte nach und
spazierte hinein. Er setzt sich in eine Ecke und am Tisch gegen¬
über sitzt — Direktor Jarno, der sich hier von seinen dreifachen
Bürden als doppelter Direktor, Regisseur und Darsteller zuweilen
für eine Stunde erholt.
Die beiden gerieten sogleich in ein Gespräch, das von den
üblichen Kaffeehausthemen, Valuta und Schieberium, wesentlich ab¬
wich. „Nur eines“ erzählte Dr. Wertheimer, ein eifriger Bücher¬
leser und Kusturliebhaber vor dem Herrn, dem Direktor, der mit
seiner unerschöpflichen Lebens= und Arbeitskraft noch Zeit und
Lust zu allem findet — „nur eines hat mich in diesen schweren
Zeiten des Niederganges Deutschlands, unseres moralischen und
materiellen Elends getröstet — ein Buch, sehen Sie nur —
und er zog ein braunes Büchlein aus der linken Tasche — „Die Briese
der Frau Rat Gocthe“. „Merkwürdig, Doktor“ replizierte der Direktor,
„wollen Sie wissen, welches Buch mich in den letzten Tagen immer be¬
gleitet hat?“ Und er zog aus der rechten Seitentasche gleichfalls ein
braunes Buch hervor — „Die Briefe der Frau Rat Goethe“.
„Alle Hochachtung vor einem Direktor, der in seinen wenigen
Mußestunden Goethe liest“, meinte Wertheimer. „Mir ist dieses
Werk nämlich Erholung und Quellenstudium zugleich. Seit
Monaten beschäftige ich mich mit einem neuen Stück, das mir
Herzenssache ist. Die Frau Rat Goethe, diese prachtvolle, echte,
kernhafte deutsche Frau — ich werde sie auf die Bühne bringen.“
„Daran hab' ich auch bei der Lektüre sogleich gedacht“
fiel der Direktor ein. „Das ist eine Prachtfigur. Wertheimer
wurde in seinem Feuereiser dadurch noch bestärkt, er setzte sich jetzt
energischer hin, schrieb das Stück und brachte es Jarno,
der es sofort einstudierte und jetzt nach der erfolgreichen
„Concordia“=Aufführung im Theater an der Wien im Stadttheater
allabendlich spielen wird. Und die Moral der Geschichte für
Autoren: Man soll doch ins Kaffeehaus gehen
Es wird immer wieder darüber bewegliche Klage geführt,
daß die Direktoren die enormen Preise für die Toiletten ihrer¬
Mitglieder nicht erschwingen können. Es winkt nun eine Lösung
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Die Bühnenleiter sind heute unmöglich in der Lage, alle von
den Dichtern in verschwenderischer Stimmung und echter Geber¬
laune vorgeschriebenen Kleider beizustellen. Das geht weder bei
den weiblichen noch bei den männlichen Kostümen. Eine ver¬
söhnliche Lösung wird die Kleideraffäre erst finden, bis die
Direktoren ihre eigenen Schneidereien besitzen werden. Die
stimmungsvollsten Roben, die herrlichsten Fräcke werden dann im
Hause selbst erzeugt werden. Dies wird bereits im nächsten
Jahre der Fall sein. Die betroffenen Schauspielerinnen und
Schauspieler seufzen bereits hoffnungsfroh dieser schönen Zukunft
sentgegen. Denn jüngst ereignete sich der Fall, daß eine sehr
begabte Soubrette eine Rolle nicht übernehmen konnte, weil sie
fünf Kostüme ersorderte.
Ein Scherzwort von Julius Bittner wird erzählt. Der
Dichterkomponist hat eine Pantomime geschrieben und
Treßler spielt im Sommer in der Schweiz die Hauptrolle,
Bitiner sagte nun: „Herr Treßler erhält monatlich 6000 Frank
dafür, haß er — den Mund hält.“

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