Faksimile

Text

27. Eink und Fliederbusch box 33/3
der „fackel' macht der niederreißende Kiraus die Schalek Schalek leben¬
diger als auf hundertsechsundfünfzig Seiten der schaffende Schnitzler
ihre kiollegenschaft. Er braucht unsre Hilfe. Der atemlos galoppierende
Interjnif kiajetan, der seine Beziehung zur Dresse benutzt, um den
Bühnen seine Kamschware anzudrehen, dieser spuckende „fapresto des
Literaturgeschäfts, ein Allumfasser, der sich Zeilenhonorar und Tan¬
tiemen gleich leicht erschmiert: der wird uns nur deshalb ein bißchen
greifbarer, weil wir wissen, daß Rudolf Lothar gemeint ist. Und damit
fink und Fliederbusch seine Bleichsüchtigkeit verliere, führe ich ihm das
Blut des begabten Journalisten zu, der vor dem lirieg eine demokratische
und eine alldeutsche Wochenzeitung versorgte, und dem zehn Jahre Heit
vergönnt wurden, fern von Berlin darüber nachzudenken, warum das
schlimmer ist, als was manche unsrer Musikkritiker unangefochten treiben.
Schnitzler findets nicht schlimmer, ja, überhaupt nicht schlimm. Er
stellt die Pilatus-frage und antwortet: Alles ist wahr — aber das
Gegenteil ist auch immer wahr. Was ist Gesinnung, was Ueberzeugung
Ists nicht Beschränktheit, auf einer einzigen zu kleben? Sieht man nicht
heute die Dinge anders als gestern, und hat nicht jedes Ding hundert
Seiten? „In mir geht ein halbes Dutzend Sergiusse ein und aus —
welcher von diesen sechsen mag der richtige sein?“ darüber grübelt der
Offizier Sergins in den „Belden“ von Shaw, dem der skeptische Schnitzler
hier so nahe kommt, wie die kiluft zwischen ihnen irgend gestattet. Shaw
ist nämlich imstande, seine „figuren fortwährend um ihre Achsen zu
drehen und in allen ihren „farben schillern zu lassen, während Schnitzler
gezwungen ist, seine Auffassung, daß das Weltbild genau so von den Seh¬
mängeln wie von den Sehkräften des Betrachters bestimmt wird, daß eine
Wahrheit die Spitze von Lügenppramiden und die höchste Tharakterfestig¬
keit im Grunde die höchste Tharakterlosigkeit ist — Schnitzler also muß
diese seine Auffassung teils einem Grafen für ein viel zu gescheites
feuilleton, teils seinem Doppelbelden für ein paar Monologe unter¬
schieben. Dabei erfolgt ein Dreh: der Majoratsherr übertrifft an Zynis¬
mus bei weitem den Zeilenschinder; und wenns nicht zu spät wäre, könnte
ein neues Stück beginnen, das den Gegensatz von Sportsmann und Mo¬
nomane als zwei Typen der Menschheit zum Inhalt hätte. Bis dahin
wird auf Wienerisch aus der Schule geplauscht. Alles in allem so harm¬
los, daß nicht einmal, wer sein Geheimnis verraten fühlt, böse ist. Ein
Zwischenspiel. „für Schnitzlers Verhältnisse gar zu dünn.
Unterhält man sich wenigstens ausreichend? Nach der Lektüre er¬
widert man: Aein. Nach der Aufführung unsres Lessing-Theaters: Ann
ja, vielleicht, allenfalls, zum mindesten ganze Strecken lang. Es ging
nach Möglichkeit flink und lustig zu. Die Journalisten kriegten Gesichter.
Der Graf war Bonn, der immer gewinnt, wenn er seine heimische Mund¬
art sprechen darf. Unter den tabakbraunen Männerorganen tat die
lichte frauenstimme der Grüning besonders wohl. Götz, der nicht ge¬
nügend jüdische liajetan, sehnte sich nach der Titelrolle. In dieser ver¬
stärkte Bassermann den Widerspruch zwischen seinem ernsten, reifen, bedeu¬
tenden Brutus=Gesicht und der Windbentelhaftigkeit des doppelläufigen
kiarrieremachers zunächst noch durch den Ton eines ungezogenen Jun¬
570—
zen. Er strebte Naivität als Entschuldigung an. Aber je mehr heraus
kam, daß Schnitzler garnicht moralisiert, sondern dieses Chamäleon pfr¬
chologisch begriffen wissen will, desto reizvoller und gewichtiger wurde
Bassermanns Spiel, das sich die größten Verdienste überall da erwarb.
wo dem Dichter nichts eingefallen war.