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27. Einkund Fliederbusch
+.. Wien, I., Rotenturmstraße 12.
Theater und Kunst.
Hinter den Kulissen.
(Zwei Dichter und eine Idee. — Das neue Lustspiel Artur
Schnitzlers. — Eine fatales Zusammentreffen. — Der Notariatsakt.
Fräulein Clemens in Aegypten. — Der Irrsinnige. — Ein zu¬
E
treffendes Argument. — Das Pech der Schwankautoren.)
Es handelt sich um das Stück von Tristan Bernard „Les
deux cauards“, das vor einigen Wochen in Paris zur Urauf¬
I. führung gelangte.
Artur Schnitzler ist verstimmt.
Es ist ihm etwas ganz Merkwürdiges zugestoßen. Ein böser
2 Zufall hat ihm die Lanne verdorben und am liebsten würde er
sein kürzlich vollendetes neues Lustspiel der Oeffentlichkeit für
immer vorenthalten. Es widerfuhr ihm nämlich das widrige
Schicksal, daß er sich mit einem anderen Autor in derselben Idee
begegnete. Dies ist gewiß eine unangenehme Entdeckung. Im
gewöhnlichen Leben gilt zwar der Erfahrungssatz: wenn zwei
dasselbe tun, ist es nicht dasselbe, aber wenn zwei Schriftsteller die
gleiche oder einander ähnliche Idee verwerten, ist man gleich
bereit, von Plagiat oder dergleichen unangenehmen Dingen zu
munkeln. Es ist daher begreiflich, daß Herr Artur Schnitzler einen
gehörigen Schrecken bekam, als er vor kurzem erfuhr, daß die
1
Idee, die er seinem jüngsten noch nicht aufgeführten Lustspiel zu¬
grunde gelegt hat, in ähnlicher Form von einem französischen
Autor verwendet worden ist. Der Erfolg, den der Schwank dort
erzielte, hat ihm bereits den Weg ins Ausland gebahnt und
bald wird man ihn auch hier in Wien im Josefstädter
Theater sehen.
Tristan Bernard zeigt in dem Stück die politische Viel¬
seitigkeit eines französischen Journalisten, der seine Fähigkeiten
gleichzeitig in den Dienst zweier feindlicher Parteien stellt. Der
gute Mann läßt sich in einer Provinzstadt nieder, knüpft mit der
Gattin eines Buchdruckereibesitzers ein Verhältnis an und gründet
mit Hilfe seiner Freundin ein sozialistisch=radikales Blatt, das den
Schloßherrn der dortigen Gegend heftig befehdet. Der feudale
Gegner gründet zur Abwehr ebenfalls eine Zeitung, die selbst¬
verständlich die Interessen der Konservativen zu wahren hat, und
1
gewinnt dafür denselben journalistischen Widersacher, den er durch
den politischen Kampf kennen und schätzen gelernt hat, als
leitenden Redakteur. Der Journalist gebärdet sich von nun an
auf der einen Seite als wütender Radikaler und auf der anderen
Seite als zäher Konservativer und bekämpft und widerlegt sich
gewissermaßen selber.
Einen ähnlichen Grundgedanken hat nun Artur Schnitzler
in seiner neuen Komödie verarbeitet, ohne natürlich von dem
gleichzeitig entstandenen Schwank Tristan Bernards Kenntnis gehabt zu
und
haben. Schnitzler hielt aus bestimmten Gründen das fertige Werk
für diese Saison noch zurück, während der französische Autor mit
seinem Stück vor kurzem vor die Oeffentlichkeit trat. Als Schnitzler
ns
nun den Inhalt dieses Stückes erfuhr, soll er einer Ohnmacht
nahe gewesen sein. Aber er gab sich nicht allzu lange diesen
trüben Gedanken hin, sondern schritt zu einer entsprechenden
Vorsichtsmaßregel, um nachherigen Feststellungen, Prioritäts¬
8/III.
streitigkeiten usw. zu entgehen. Er ließ sich nämlich durch einen
Notariatsakt bestätigen, daß sein Lustspiel bereits vollendet
war, als der französische Schwank zur Erstaufführung gelangte.
us
Damit hofft er alle eventuellen Vorwürfe ein= für allemal un¬
lag.
möglich gemacht zu haben. Aber ärgerlich ist die Sache trotzdem.
Das Kino übt eine unwiderstehliche Macht. Selbst angesichts
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der übermenschlichen Denkmäler der Pharaonen, der Pyramiden
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und Sphinxe ist Fräulein Clemens vom Josefstädter Theater dem
itung
Filmzauber erlegen und agiert während des Urlaubs, den sie für
eine Reise nach Aegypten genommen hat, für Lichtspiele. Die
5.
Tätigkeit ist allerdings den Annehmlichkeiten angepaßt, die man
von einem Ausflug in das Nilland erwarten darf. Fräulein
Clemens reitet auf Kamelen in die Wüste, lebt dort in Zelten
und nährt sich von Datteln, Bananen und anderen Süßigkeiten.
Da aber die Schauspielerin sich noch vor dem Kino auch der
Asronautik zugewendet und in diesem luftigen Fache bereits eine
Probe abgelegt hat, so wird das Wüstendasein mit einem Fluge
über das Sandmeer abgeschlossen werden. Hoffentlich zieht sch der
originelle Abschluß nicht zu lange hin; aber es wäre gewiß eine
Sensation, wenn Fräulein Clemens am Ende ihres Urlaubs, der
im März abläuft, mit dem Luftballon im Theater in der Josef¬
stadt landete.
Herr Generalsekretär Steininaer vom Theater
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