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IöNC 917
Jnusiin
Abiatt, Wier
Theaterzeitung.
„Eink und Fliederbusch.
(Deutsches Volkstheater.)
Ein neues Stück von Artur Sch###l
erweckt immer Erwartungen. Die großen Maßstäbe
werden hervorgeholt
und abgestaubt. Die
gestern zum ersten Mal gespielte Komödie
„Fink und Fliederbusch“ beruht auf
einem anekdotischen Einfall, den auch Tristan Bernard
gehabt und zu seinem Schwank „Les deux Canards“
benützt hat, der vor einigen Jahren im Jolefstädter
Theater einige Lacher auf seiner Seite hatte.
In Schnitz ers ureigenster Fassung wird uns
das bescheidene Vergnügen zuteil, einen begabten
jungen Zeitungsschreiber namens Fliederbusch kennen
zu lernen, der, in dürfugen Verhältnissen lebend, sich
keinen anderen Luxus zu gönnen vermag, als den
zweier einander diametral entgegengesetzter politischer
Ueberzeugungen. Die eine für ein konservatives, die
andere für ein liberales Blatt. Unter dem Pfeudonym
Fink greift Fliederbusch seine eigenen Artikel
schneidig an. Fink schreibt konservattv, Flieder¬
busch liberal. Die Polemik wird so hitzig und heftig,
daß ein Zweikampf zwischen Fink und Fliederbusch
der Kollegenschaft der „beiden“ unsäuberen Herren
unausweichlich erscheint. Das Duell soll im Prater
ausgetragen werden. Die Sekundanten sind da, aber
das Kämpferpaar erscheint naturgemäß nur in der
einen Person des Herrn Fliederbusch. Seine Chef¬
redakteure, der rückchrittliche sowohl, wie der sont¬
schrittliche, finden den Streich so gental, daß einer dem
andern den Gesinnungslumpen an Ort und Sielle im
Versteigerungswege abzusagen sucht.
Im ersten Akt wirft Schnitzler mit einem
satirischen Tascheulaternchen mehrere grelle aber
schiese Streiflichter in das Getriebe der Redat¬
tion einer freiheitlichen Tage=zeitung und ent¬
wickelt dabei eine befremdliche Untenninis des
Milieus, das er zu travestieren beabsichtigt. Im
zweiten Aufzug ergeht es ihm mit einem konservativen
Wochenblättchen nicht anders. Auch mit Gesellschafts¬
schilderungen aus hochabeligen Kreisen hat er diee¬
mal nicht das gewohnte Glück. Die Gestalten wollen
kein rechtes Leben gewinnen. Etwas gewaltsam Kon¬
struiertes, absichtsvoll Vorbereitetes, umständlich Zu¬
rechtgemachtes haftet ihnen an. Lungwierigste Selbit¬
gespräche und ebenso tiefsiunige, als weitläufige und
überflüssige Auseinandersetzungen über Gesinnung
und Ueberzeugung lösen einander ab. In diesem Stücke
kommt bloß ein einziges Fraueuzimmer vor, eine lüsterne
unjunge Fürstin, die aber vom Autor so lieblos be¬
handelt wird, als ob auch sie zur Journalistenzunft
gehörte. In allen drei Aufzügen keine Liebe — nur
Groll.
Die Aufführung, an die Dr. Schul¬
baurs Spielleitung ihren bekannten, sorgsam
ausgestaltenden Fleiß gewendet hatte, was recht
anerkennenswert. Den traurigen doppelläufigen
Helden svielte Herr Edthofer mit seiner nettesten
Disbretion und fast wär' es ihm geglückt, über die
katole Zwiespältigkeit des schäbigen Charakters hin¬
überzukommen. Was ein wirklicher Künstler aus
einer bloß lärglich bedachten Rolle heraus¬
zuholen versteht, zeigte Herr Thaller als
ramponierter, gesellschaftlich deklassierter Sport¬
redakteur. Herr Kramer spielte einen fendalen
Grafen in seiner soigniertesten chevaleresken Art leicht
aus dem Gelenk heraus. Sehr ergötzlich war Herr
Forest als dramatisch betätigter Reporter und
Rechercheur. Jus die übrigen, wenig verlockenden
Röllchen teilten sich opferbereit die besten Kräfte des
die Herren
Hauses: Fräulein Waldow,
Askonas, Aslan, Fürth, Götz, Klitsch,
Kutschera und Millmann. Die Aufnahme
war freundlich, der Dichter erschien wiederholt vor
der Rampe. War er es wirtlich? War es derselbe
Schnitzler, der uns all die Jahre her mit so viel¬
bleibend Wertvollem beschenkt und erfreut hat? In¬
seinem neuesten Werke ist er nicht wiederzuerlennen.
Niemand würde auf ihn raten, hätte er die Komödie
unter den Namen Fink oder Fliederbusch eingereicht
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und aufführen lassen.
Wien, V., Soncordlaplatz Nr.
Oesterreichische Vollmzeitung
Wien.
Deutsches-Volkstheater.
„Fink und Fliederbusch.“ Komödie ir
drei Akten (und einem Nachtrag) von Artur
Schnitzler-
Armer Vater Güslaäb Freytag, wie hast Du
Dir verändert!
Die glorreichen Ahnen von Gustav Freytags
im Reigen Artur
„Journalisten“ umtanzten
Schnitzlers lockenumwebtes Haupt, als er sein,
Journalistenstück „Fint und Fliederbusch“ schrieb.
Alte vertraute Figuren schwebten ihm vor und
nahten sich ihm als schwankende Gestalten.
Da hüpft schon Bellmauschen herein, aber er
macht nicht mehr lyrische Gedichte in Goldschnitt
und wird nicht rot, wenn er eine Schauspielerin
empfangen soll, sondern er schreibt Theaterstücke,
Prologe, Netrologe über Lebende und Scheintote,
ist zupringlich wie eine Wanze. Der liebe Junge
kennt wie ein Platzagent immer mit einer Akten¬
asche herum.
Auch der wackere Oldendorf fehlt nicht; er
eißt Füllmann, ist schlecht rasiert, trägt wahr.
cheinlich Jägerwäsche, einen schäbigen Anzug, hält“
demotratische Reden und benimmt sich wie
in Bär.
Und da ist ja auch der Bijouschmock: der hat
ich besonders heraus gemacht. Er trägt Monokel,
chnoffelt, ist ein deklassieeler Baron oder so etwas,
schnüselt hinter den Kulissen und schreiot noch
immer schlecht bezahlte „Perlen“.
Allen Respelt, Frau Fürstin Priska, geborene
Adelheid. Sie hat noch alleweil eine Schwäche für
Journalisten, aber nur für sehr junge, veranstaltet
Parkfeste, Blumenkorso und ähnliche Massen¬
ansammlungen.
Auch der brave Oberst Berg hat Karriere
gemacht; er kauft zwar noch immer liberale
Zeitungen, um sie katholisch zu machen, aber er ist
linzwischen ein Gras Niederhof und Abgeordneter
geworden und wettert gegen die Arbeiter in
Strakonitz.
Und unser Liebling Bolz! Was ist aus dem präch¬
tigen Menschen geworden? Er hat sich halbiert; er ist
Fink und Fliederbusch gewaeden; seine schneidiges#
Feder gehört als Fliederbusch dem demokratischen
Organ, als Fink der christlichen „Eleganten Welt“.
Das ist nämlich der sogenannte Witz der
neuesten Komödie von Artur Schnitzler:
Journalist, der für zwei Richtungen schreibt,
in den Zeitungen lebgaft betämpft und im Eifer
des Scheingesechtes in ein Duell mit sich selbst,
Fink contra Fliederbusch verwickelt wird. Das
Thema wäre lustig genug, um eine satirische Be¬
handlung zu vertragen; aber Artur Schnitzler
geht die Sache psychologisch veristisch an. Er taucht
in die tiefsten Fluten des Tintenfasses, um aus
einer Satie ein Tendenzstück zu machen. Abgrund¬
tiefe philosophische Perspektiven eröffnet er; er
wird geradezu shakespearisch gedankenüberflutet.
Hamlet kann die Frage: „Sein oder Nichtsein“
nicht wuchtiger behandeln als über die Frage:
„Fink oder Fliederbusch“ spekuliert wird und zur
Höhe Shalespeareschen Witzes in den Rüpelkomödien
erhebt sich die Duellszene mit der Lizitation um
die Mitarbeiterschaft des Lumperl Fink=Flieder¬
busch.
Zum mindesten stellt sich Artur Schnitzler in
diesen abgeschmackten Szenen so, als ob er dens d
Kern der Sache treffen wolle.
Und gar erst der tiefschürfende Dialog über
Ueberzeugung, Sport, Monomanie und Polinik.
So stellt sich beiläufig der kleine Moritz aus
der Schiffamtsgasse — auch diese Lieblichkeit des
Schnitzlerischen Naturalismus fehlt nicht — Welt1
und Versonen vor.
Einen besonderen Reiz erhält dieser neueste
Schnitzlerische Journalistenreigen durch die An¬
wendung des jüdischen Jargons im Dialog; seitst
#
der „Klabriaspartie“ hat lein Dichter dieses Idiom
so meisterhaft im Dialog zu verwenden gewußt,
rink und Fliederbusch“