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26.1. Kongedie der Norte—Zykius
S
seinen Herzog als wahrhaft ver¬
einen Jux will er sich machen! Der Künstler ließ sich
in Marberg (Olivia) hält
das nicht zweimäl sagen, und er verdoppelte die Dosis:
feinen Lustspiels fest und gibt
sein Malvolio ist die Karikatur einer Karikatur, ein ver¬
ammenden Neigung zu Viola¬
zerrtes Zerrbild, eine Ueberfratze, an sich aber etwas Ur¬
leise, sinnig angedeutete Wendung
komisches, in seiner dummstolzen, gespenstischen Steife,
kulein Wohlgemuth (Viola),
seiner hanswurstlichen Grandezza ein Lachobjekt, wie
immer, reizend in verschiedenen
man es dort am Orte wohl noch nie gesehen, das Zwerch¬
weilen von der großen Lustig¬
fell reizend, auch ohne den Mund zu öffnen, jede Finger¬
pielsweise die schöne Stelle: „Ich
bewegung ein Witz, jeder Blick eine Schnurre, jede
ein Weidenhüttchen“ in einem
Grimasse eine gelungene Parodie, die ganze Figur mit
n, während diese Stelle doch das
dem sauertöpfischen Bocksgesicht der Gipfel der Groteske -
beele, das verhüllte Geständnis
der Gipfel, aber auch die Grenze.
st. Aber freilich, wenn alles lacht,
Man sollte nun glauben, dieser lustige Karneval
o schädigt das ausdringliche Vor¬
würde im flottesten Tempo erledigt werden, in Saus und
den Gesamteindruck, den dieses
Braus vorüberstürmen. Dem ist aber nicht so. Spiel um
llte. Alles Süße, Holde, Lieb¬
Spiel wird von den Darstellern mit äußerstem Behagen
Dichter begnadete, verliert seinen
ausgeführt, und Behagen will sich Zeit lassen, liebt die
Shakespeare kommt selten zum
gemächliche Gangart. Dazu kommt ein anderer Zeit¬
ganz verstummen, und das
verschwender: der Zwischenvorhang. Er bietet den Vor¬
ans andere Ufer...
teil, daß man die Szenen so ziemlich in der vom Dichter
komischen Rollen werden auf
gesetzten Reihe bringen kann, unterbricht aber dafür jeden
gau Albach=Retty (Maria)
Augenblick den Fluß der Handlung, reißt jeden Augen¬
diegenen Burgtheaterkunst unter
blick den Zuschauer aus der Stimmung. Mit Wehmut ge¬
Schwank= und Possenhaften
denken wir einer Vorstellung von „Was ihr wollt“ durch
und nur ihre köstliche Schilde¬
die Meininger, die fast das ganze Stück, ungemein
rliebtheiten beweist, daß man
stimmungsvoll, in derselben Dekoration spielten, den
ielen kann, auch ohne sich auf
ganzen Abend nur zwei Verwandlungen nötig hatten.
en. Herr Walden in der
Im Burgtheater sind es deren fünfzehn oder zwanzig.
hrt sich wiederum als trefflicher
Und der verwünschte Vorhang fällt auch, wenn gar kein
gleich, doch was nützte ihm all
Dekorationswechsel stattfindet, das nämliche Bild wieder¬
nicht auch Luftsprünge von be¬
kehrt, fällt oft, nur um zu fallen, um sein Daseinsrecht
tagweite auszuführen verstünde.
zu behaupten, als Prinzip, gehabt sich förmlich als
berschwang vermag bloß Herr
drimatische Notwendigkeit. Es läßt sich gar nicht be¬
Malvolio siegreich aufzukommen.
schreiben, wie grausam dieser Spielverderber die Harmonie
komisch, sie bietet auch Stoff
des Ganzen zerstört, ein so schön gebautes Meisterwerk
Charakterstudie, deren dieser
zerstückelt und zerhackt. Um dann den Zeitverlust ein¬
durchaus fähg wäre. Doch
zubringen, den er verursacht, haben sich einschneidende
ein Verstoß gegen den Grund¬
Kürzungen als notwendig erwiesen. Die Pfarterszene des
wesen. Die Losung hieß: Kari=] Narren mußte zum Beispiel geopfert werden, das Stück
Faschingslaune, Narrenfreibeit. ist um einen ganzen Akt kürzer geworden.
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Dabei hat man auch diesmal, wie kürzlich bei
Molières „Don Juan“, das Schaugerüste zu vereinfachen.
gesucht. Wir seiern ein Wiedersehen mit den famosen
Rollertürmen. Sie bleiben festgewurzelt, wie auch der
Schauplatz wechselt, stehen jetzt im Freien und jetzt im
geschlossenen Raum, bald als Ausgang, bald als Ein¬
gang dienend, das richtige Entoutcas. Gewechselt wird
immer nur der Hintergrund der Bühne, der Prospekt,
und auch der bleibt fest wie eine Schanze. Ein „durch
die Mitte ab“ gibt es nicht mehr, die Personen treten
in einem fort von der Seite her auf, was auf die Dauer
sehr eintönig wirkt. Auch diese vereinfachte Bühne
eine Rückbildung ins Veraltete, Unfertige, Primi¬
tive. Wenn sie wenigstens den Zwischenvorhang über¬
flüssig machte! Der aber rutscht unermüdlich weiter,
herunter=hinauf, hinauf=herunter. Alle technischen Bühnen¬
reformen, die nicht den blitzschnellen Dekorationswechsel
bei offener Szene ermöglichen, sind keine zwei Heller
wert. Wir haben die Schattenseiten dieser Vorstellung
vielleicht zu stark hervorgehoben. Zum Glück fehlt es nicht
an erfreulichsten Eindrücken. Es ist immer eine Freude, zu
sehen, wie alles mit Leib und Seele bei der Sache ist, die
kleinsten Rollen sich in den bestmöglichen Händen be¬
finden, die Tradition des Hauses überall lebendig nach¬
wirkt. Ganz zum Schluß ein überraschendes Capriccio.
Das Stück ist aus, die Darsteller sind abgetreten, nur der
Narr blieb zurück, um vor dem Souffleurkasten sein
Regenlied zu singen. Da senkt sich knapp hinter ihm eine
feine, durchsichtige Nebelkurtine, auf der nun, während
des Gesanges, die dunkeln Silhouetten der Personen, die
in dem Stück mitgespielt, in Lebensgröße vorübergleiten,
die Liebespaare Küsse tauschend, die beiden Junker er¬
bärmlich zugerichtet, Malvolio ganz allein, splendid
isolation, zuletzt der Narr selbst, sein Narrenzepter
schwingend. Ein köstliches Schattenspiel als Postludium.
Der Einfall ist allerliebst, und dem glücklichen Finder ge¬
bührt alles Lob. Nachdem man schon so viel gelacht, lacht
man wieder und wieder, lacht noch draußen auf der
Straße, und so bewährt sich auch hier das alte Wort:
Wer gelacht hat, muß die Waffen strecken. — X.1