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26.1. Konoedie der Norte zyklus
folgenden Vorstellungen ebenso wie im stiller Nachklingenlassen dieser „Ko¬
mödie der Worte“ zeigt es sich mehr und mehr, daß hier Werke sind, die
nicht den Lärm der Sensation wecken, sondern die sich langsam einsenken
und die sich mit leiser, aber unnachgiebiger Gewalt aller Seelen bemächtigen,
in denen jemals die gleiche Trauer über die Unüberbrückbarkeit der Einsam¬
keit jedes Menschen, über die Fiktionen aller Konvention, über die Unmög¬
lichkeit, je einen andern ganz zu erkennen und über das schwankende, ewig
bedrohte, niemals auf sicherem Grunde ruhende aller Zusammenhänge mit
anderen Menschen, auch mit den nahest verbundenen, laut geworden ist. In
dieser stillen Nachwirkung liegt die Gewähr des Werts dieser kleinen Kunst¬
werke, die so voll klaren Geistes sind und dabei so beziehungsreich vieldeu¬
tig, daß sie sich der kritischen Formulierung immer wieder entziehen, weil
ein unausgeschöpfter Rest bleibt, wo immer man sie anfassen mag. Und bei
denen es deutlich wird, daß auch wiederspiegelnde Kritik meist zu einer
Komödie, oft aber auch zu einer Tragödie der Worte wird.
JOHANN PETER LYSER.
VON
HANS TESSMER (BERLIN).
Wir heben den Schleier von einer Tragödie und blicken in das Leben Johann Peter
Lysers.
Das war ein deutscher Musiker, Schriftsteller und Maler — ein Bohèmien, wie
die Menge jemanden nennt, dessen künstlerisches Schaffen sie nicht genau bezeichnen
kann. Und doch einer, dessen Begabung trotz ihrer gefährlichen Vielseitigkeit weit über
die Bohème hinausragt, einer, den ein wechselvolles, tief ergreifendes Geschick in
manchen Augenblicken zum echten Dichter stempelte.
Im Jahre 1803 wurde Johann Peter Lyser als Sohn des Dresdner Schauspielers
Friedrich Burmeister geboren. Zwei Jahre später heiratete die inzwischen geschiedene
Frau Burmeister den Schauspieldirektor Mertens, der eines Ehrenhandels halber den
Namen Lyser angenommen hatte. Er nahm den kleinen Johann als Kind an und ließ ihn
später musikalisch ausbilden. Während der folgenden Jahre wurde die Familie weit ver¬
schlagen, und der junge Lyser lernte früh ein unregelmäßiges Wanderleben kennen, das
wohl auch den Beginn seiner Lebenstragödie beschleunigt haben mag: eine Ohrenkrank¬
heit führte in seinem 22. Jahre zur völligen Ertaubung. So war er, gleich Beethoven, ein
tauber Musiker, ein tauber Hörer. Und weiter: 1821 starb die Mutter, zwei Jahre später
der Stiefvater. Der junge Künstler war nun gänzlich auf sich angewiesen. In Flensburg
gab er schlechtbezahlte Zeichenstunden, in Hamburg malte er Theaterdekorationen, und
dann wandte er seinem Vaterlande für fünf Jahre den Rücken; er fuhr als Schiffsjunge auf
einem Westindienfahrer über die Meere, und während der Fahrt schrieb er Gedichte,
die 1834 als „Lieder eines wandernden Malers“ erschienen; es sind ergreifende, wenn
auch im Ausdruck einfache Verse darunter.
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