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Voni:
Schnitzlers „Komödieder Worke.
Die Aufführung des Lessingtheaters.
Der neue Einakter=Zyklus, den Arthur
Schnitzler drei Jahre nach dem „Professor Bern¬
hardi“ den Bühnen übergeben hat, erinnert mit
seinem Haupttitel und in seiner bald schatten¬
dunklen, bald witzig-heiteren Skepsis an die
„Lebendigen Stunden“. Damals folgte auf drei
ernste Dramen das Satyrspiel „Literatur“. Jetzt
heißt die burleske Abwandlung des gemeinsamen
Motivs „Große Szene“. Aber sie steht nicht
am letzten Platz, sondern in der Mitte zwischen
zwei Stücken, die, gegen dieses formvolle, reizende
Werk gehalten, blaß und erklügelt sind.
Die „Stunde des Erkennens“ die den
Anfang macht, berührt sich mit der „Gefährtin“
(aus dem Zyklus „Der grüne Kakadu“). Wiederum
das grausame Finale einer Ehe, Wahrheit nach
langen Jahren des Schweigens; die Schuld der
Frau, die nur treulos aus seelischer Einsamkeit
schien, vertieft zu einer Treulosigkeit der heischen¬
den Sinne. Nichts ist so schnitzlerisch wie dieser
Abschiedston, doch überspitzt und durch eine un¬
sichtbare vierte Person belastet ist der von dem
kleinen Schauspiel vorausgesetzte Konflikt. Den
Achtungserfolg, den # im Lessingtheater hatte,
dankt es seiner Stimmung und dankt es der
Wiedergabe. Bassermann stellt den unver¬
söhnlichen Ehegatten dar, den Arzt Dr. Eckold,
der, als die Tochter das Haus verlassen hat, der
„Gefährtin“ seinen bisher verborgenen Haß ins
Antlitz schreit; und schon durch seine Maske, durch
seinen starren, bösen Blick übt er eine zwingende
Suggestion aus. Seine Partnerin ist Fräulein
Lossen, die die Wiener Bürgersfrau, die
„große Liebende“ zu einer schmerzbewegten
Rebekka West vergeistigt.
Im „Bacchusfest“ das den Zyklus ab¬
schließt, handelt es sich um die Ehe eines Drama¬
tikers. Irgend einen jungen Mann hat seine
kleine Frau, die Abwechslung ersehnte, ihm vor¬
gezogen. Im Wartesaal des Salzburger Bahn¬
hofs erreicht er das Pärchen. Die kleine Frau,
die ihren berühmten Dichter noch immer liebt,
sieht mit Aerger, dann mit Genugtuung, wie der
junge Mann, verlegen stotternd, nach einem schüch¬
ternen Versuch, energisch zu werden, seine neuen
Rechte preisgibt. Ihr legitimer Besitzer erzählt
hierbei vom Stoff seines neuen Dramas, vom
griechischen Bacchusfest, von der kurzen Ge¬
schlechterfreiheit, deren Mißbrauch über die
heilige Nacht hinaus mit dem Tod bestraft wor¬
den sei. Ein anspruchsloses Lustspiel, zu dem
der allegorische Putz nicht passen will; und der
augenwälzende Dichter=Pascha ist für Basser¬
mann undankbar, weil auch hiet, in einen
scherzhaften Dialog, die wütende Nachsucht des
Eckold sich eindrängt.
Die „Große Szene“ wird für Bassermann
werden, was der gefeierte Mime in Bahrs „Gelber
Nachtigall“ hatte sein sollen: die Paraderolle,
die ihm erlaubt, sich auszutoben. Er ist hier der
selbstherrliche Tragöde, um den sich der lite¬
rarische Direktor reißt, der vor dem „Hamlet“
lärmend durch das Hotelzimmer wandert, dem
die Bühnenkandidatinnen nachlausen und die
jungen Bräute, und der, als „Hamlet“ kostümiert,
noch einmal aus der Garderobe zurückkehrt, um
seine schmollende Frau persönlich wegzutragen.
Aber nicht nur die äußere Umwelt des Theaters
zeichnet Schnitzler; er faßt den Menschentypus,
das seltsame Durcheinander von Lüge und Wirk¬
lichkeit, das schon in den „Letzten Masken“ uns
erschreckte, und das für ihn das furchtbare oder
lächerliche Geheimnis jeder Kunst ist. Basser¬
manns strahlender Uebermut, Bassermanns
Freude an diesem Schauspiel im Schauspiel sind
unwiderstehlich. Neben ihm treten seine Gattin
auf, Herr Forest als milder, philosophischer
Direktor, Herr Loos als belogener Bräutigam
und Fräulein Binder als hitzige Theater¬
novize.
P. W.

Dr. Max Goldschmidt
Bureau für Teitugeanse“
BERLI N.
Telefen Norden 3051.
4
Ausschnitt aus.
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Ger. 16 710. 75
e
1
„Komödie der Worte.“
(Lessing=Theater.)
Die drei Einakter, die Arthur Schnitzler hier unter
einem Titel vereinigt, sind Variationen über das nicht gerade neues
Thema Ehebruch. Der erste, „Stunde des Erkennens“, zeigt dies
Abrechnung bei einem bürgerlich ehrbar gealterten Paare. Zehn
Jahre zurück liegt der ganz heimliche Seitensprung des haus¬
mütterlich soliden Weibchens, als nach Verheiratung der einzigen
Tochter der Ehemann zu erkennen gibt, daß er „damals“ allzu¬
gut sah und er nun kaltlächelnd die Ehegesponsin aus dem Hauses
weist. Es hilft der bestürzten Gattin nicht einmal etwas, daß
sein Verdacht den falschen Liebhaber trifft; den Fehltritt an sich
hat sie leider gleich im ersten Schreck eingestanden. Und sie geht.?
Im zweiten Stück, „Große Szene“ ist das ehebrechende;
Karnickel der Ehemann, ein primadonnenhafter Schauspieler,
dessen rücksichtslose Abenteuersucht und unverschämte Verlogenheit¬
ein Brautpaar ins Unglück, die Gattin aber zur Verzweiflung
und Abkehr von ihm treibt, bis sie erkennt, daß er im Grunde ein
großes Kind ist, und daß sie, nach der er schreit, ihn nicht verlassen
darf, ohne der Kunst einen schweren Verlust zuzufügen. — Das
dritte Stück, „Das Bacchusfest“, zeigt mit gefälliger Ironie, wie ein
betrogener Ehemann von geistigen Qualitäten einen bei seiner
Frau in schwacher Stunde siegreichen Trottel aus dem Sattel
hebt. ihn zum beschleunigten Verduften zwingend.
Kein Mensch wird von Schnitzler erwarten, daß er diesen gewiß
nicht originellen Konflikten ernsthaft zu Leibe geht. Immerhin
verhalf uns seine geschliffene dramatische Technik zu einem
amüsanten Abend. Bassermann, Träger der Hauptrolle in
allen drei Fällen, fand besonders in der „Großen Szene“ einen
willkommenen Schlager. Sein Schauspieler Herbot ist eine
prächtig temperamentvolle Leistung, allerdings in üppiger Fülle
Gelegenheit zu mancherlei erheiternden Mätzchen bietend, die der
Dichter selbst sich in dem Theatermilieu der Szene natürlich auch“
nicht entgehen läßt. Neben Bassermann war im ersten Stück*
[Lina Lossen eine gut kultivierte Bürgerfrau, nur für das
Ehebrüchgeständnis von viel zu edler Linie. Das zwischen Ver¬“
zweifeln und Verstehen schwankende Schausvielerweibchen gab klug
und nett Else Bassermann, trefflich akkompagniert von
Carl Forest, in der Rolle des aus brennenden Kassenängsten
heraus andauernd begütigenden Theaterdirektors. Das verirrte
Ebeschäfchen im Bachusfest spielt Traute Dumcke=Carlsen
recht drollig.
Das Haus rief besonders nach dem zweiten Einakter stürmisch
nach Schnitzler und Bassermann, welch letzterer sein
Gastspiel=Repertoire um eine Bombennummer bereichert sieht.
Nicht zuletzt triumphierte Barnowskys tüchtige Regie.
W—r.