Faksimile

Text

Der neue Schuligter“
Das Urteil über das neue Schnitz¬
ler=Werk, welches auch demnächst bei
uns aufgeführt werden soll, ist den
Kritiken der Berliner und Wiener
Rezensionen entnommen.
Eine Komödie der Worte nenni Schnitzler die
neuen Einakter, welche Dienstag an der Hofburg
und zugleich am Darmstädter Theater zur Erstauf¬
führung gelangte. Als Schnitzler dieses Werk zu
schreiben begann, war Frieden und so führt es in
die Zeit zurück, wo kleine Erlebnisse — klein im
Vergleich zu dem Ringen des Weltkrieges, zu den
Tagesereignissen von heute, — „Schicksale“ hießen.
Der Titel sagt schon viel, fast alles: Worte die nur
Komödie spielen, leere Klänge sind, also von Men¬
schen gesprochen werden, welche Masken angeligt ha¬
ben. Menschen, wie sie vor dem Kriege waren, oder
zu sein vorgaben. Mit feinem Verständnis hat Schnitz¬
ler die entsprechenden Gesellschaftskreise gewählt;
das eine Stück spielt in schriftstellerischen, das zweite
in ärztlichen Kreisen, das dritte hat die Kulissenwelt
zum Hintergrund. Und alle Menschen haben das eine
gemeinsam, daß sie durch Lug und Trug, durch Wider¬
setzung gegen das eigene Gefühl unglücklich werden.
Alle gehen gebrochen ab, aber mit Pose. Schnitzler
hat diese Krankheit unserer Zeit, die vor Ausbruch
des Krieges ihren Höhepunkt erreicht hatte, behandelt.
Aber er hat eine Komödie daraus gemacht. „Große
Szene“ heißt der Einakter, welcher der Kritik nach
zu schließen, den größten Erfolg hatte. An Konrad
Herbot, einem berühmten Schauspieler wird gezeigt,
wie manche Menschen das Recht des Lebensgenießers
des Verführers ohne Rücksicht und ohne Verantwor¬
tung für sich in Anspruch nehmen. Ihr Nimbus und
ihre Berühmtheit — Beredsamkeit, „Komödie der
Worte“ — waschen sie vor sich selbst wieder rein. Kon¬
rad Herbot hat eine Frau, die ihn liebt, wie Schnitz¬
lers idealste Frauengestalten eben lieben. Aber er ist
der echte Künstler, durchdrungen von seiner Unwider¬
stehlichkeit und Berühmtheit, trotz seiner Glatze und
seiner fünfundvierzig Jahre ein Verführer. Und er
betört die Braut eines jungen Mannes, bis der Bräu¬
tigam zu ihm kommt, um die Wahrheit zu hören.
Kein Duell, keine Ehrenbezeugungen, die Wahrheit.
Und Herbot wickelt ihn in ein Gewebe von Worten,
erklärt ihm, daß das Mädchen seinem Ruhm, seiner
Kunst nicht widerstehen konnte und treibt ihn zum
Traualtar in eine auf eine Lüge aufgebaute Ehe.
Herbots Frau weiß es. Sie weiß, daß sie betrogen
wurde, daß es oftmals geschah und oftmals geschehen
wird, aber sie kann auf eine Scheidung nicht ein¬
gehen.. Auch sie ist seinem Ruhm unterworfen. Eine
Komödie ist dieses Zusammenleben, aber es ist un¬
abwendbar. Auch die beiden anderen Einakter „Stunde
des Erkennens" und „Bachusfest“ behandeln solche
„wurmstichige Ehen, als welche der Kritiker der N. F.
Presse diese Schnitzlerprobleme bezeichnet. Und den
Sieg, oftmals den unbewußten Sieg des Phraseurs.
Dr. Bettelheim schreibt in der Voss. Ztg.: „Schon
einmal, im „Freiwild“ hat Schnitzler Schmierenvolk
mit überlegener Laune vor Augen gestellt. Seine
Charakteristik von Konrad Herbott und seinen Leuten
ist ein weit höher stehendes Virtuosenstück, dem glück¬
lichste Beobachtung der Wirklichkeit zu Grunde liegt.
Schnitzler war niemals witziger, als in diesem Wirbel¬
sturm von parodistischen Einfällen.“ Dr. Bettelheim
hat dabei das Komische an der Stelle im Auge, wo
Herbot seine Frau dadurch beschwichtigt, daß er ihr
erklärt, er wolle den „Hamlet“ für sie spielen.
Und sie ist stolz, daß er von allen Leuten im Zu¬
schauerraum für sie allein den Hamlet darstellt. Ko¬
mödie der Worte, Unnatürlichkeit der Gefühle!
Die „Vossische Zeitung“ schließt die Besprechung
der Einakter: „Wie lange diese Gaben Schnitzlers
die Theatergänger anziehen werden, ist leicht zu sa¬
gen. Solange sie so meisterhaft gegeben werden, wie
F.
im Burgtheater.