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„Fliedermühle“ in Zizkow Landsturmmusterung statt.
Vor dem Schwure der Rekruten stellte der Bezirks¬
gendarmeriewachtmeister fest, daß die Angeklagten an
dem Rocke schwarze Bänder befestigt hatten.
Sie hatten die Bänder in dem Geschäft der Husak
von der Verkäuferin Cerny gekauft. Der Gerichtshof
erkannte sämtliche Angeklagten schuldig und verurteilte
Petrasek zu einem Jahre, Vyschka,
Soustruznik und Myslicek zu acht Mo¬
naten schweren Kerkers, die Husak zu
zwei Monaten und die Cerny zu einem
Monat Kerker.
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Annst und Bühne.
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Wien, 13. Oktober.“
Burgtheator. Zum ersten. Male: „Komödie.
der Worte“, drei Einakter von Artur Schnitzler.
Zunächst eine Frage: weshalb „Komödie der Worte“
und nicht „Komödien der Worte"? Es handelt sich doch
um drei stofflich verschiedene Einakter, die nur insoferne
zusammenhängen, als in jedem von ihnen Herr Wal¬
den die männliche Hauptrolle spielt und die Lüge das
letzte Wort hat. Der tiefe Sinn des Rätsels, weshalb
statt der Mehrzahl die Einzahl gesetzt wird, ist ungleich
schwerer zu erraten als die Absicht des Verfassers, durch
den Titel von vornherein die Kritik zu entwaffnen.
Stellt man die Forderung nach einer straffer geführten
Handlung, setzt man sich selbst ins Unrecht. Es ist doch
eine Komödie der Worte, also Handlung Nebensache. Sehr
klug erdacht, zu schlangenklug fast, als daß man
die Absicht nicht merken und darüber nicht ver¬
stimmt werden sollte. Oder wollte Artur Schnitzler
drei Einaktern; gar
mit seinen
beweisen, daß
das Wort lügt und nur gilt, was sich hinter ihm
verbirgt und was jeder sich aus ihm herauszulesen ver¬
mag? Möglich. D inn aber war die Bühne wohl nicht
der rechte Ort dazu. Wieviel die Bühne die Welt des
schönen Scheines sei, so verlangt sie doch nach Wahrheit
und Klarheit, und mit welch gutem Recht der Dramatiker
nach Objektivität strebe, so muß er doch irgendwie Partei
ergreifen und erkennen lassen, wem sein Herz gehört,
denen, die aus Gewohnheit sich selbst und die anderen
belügen und betrügen, oder denen, die es aus Not tun.
Seit dem „Weiten Land“ liebt es Schnitzler, seine
Bühnengestalten mit dem Reiz des Ungewissen zu um¬
gürten und sie zwischen Wahrheit und Lüge das Leben
buntschillernder Sumpfpflanzen führen zu lassen. Und diese
Ungewißheit, wo die Wahrheit aufhört und die Lüge beginnt,
bildet auch das Hauptmerkmal der drei Einakter. Künst¬
lerisch berechtigt ist sie nur in der „Großen Szene“ dem
zweiten Stücke, das auch gestern den größten Erfolg
davontrug. Es handelt vom Doppelleben des Schau¬
spielers, der sich nicht nur auf der Bühne mit schönen
Worten und schönen Leidenschaften behängt. Er hat die
Braut eines braven jungen Mannes verführt und ist dar¬
über mit seiner Frau in Zwietracht geraten. Solange er
kleinen Liebschaften mit Philinchen nachjagte, glaubte sie
ein Auge zudrücken zu dürfen. Nun er aber daran ist, in
ehrbare Bürgershäuser einzubrechen, wird es ihr zu viel.
Da kommt der betrogene Bräutigam und fordert Rechen¬
schaft und Gewißheit. Nur einmal noch erbittet sich der
Schauspieler von seiner Frau das Recht, lügen zu dürfen.
Und er spielt dem jungen Mann, um ihn zu beschwichtigen,
eine Szene des Edelmutes mit solcher Meisterschaft vor,
daß der horchenden Frau vor dem Lügengewerbe graut
und sie auf und davon will. Aber der Komödiant spielt
auch ihr eine Szene vor, die sie in seinen Bann zwingt,
und alles ist wieder gut. Hier, wo das Leben
zum Theater und das Theater zum Leben wird,
kann Schnitzler seinen artistischen Witz in allen Strahlen¬
brechungen der Ironie aufleuchten lassen, und man folgt
ihm willig in die kleine Welt seiner halben, heimlichen
Empfindungen. Um so gequälter wirkt das erste, um so
peinlicher das letzte Stück. Da und dort wird Abrechnung
gehalten. In der „Stunde des Erkennens“ hat ein Arzt
zehn Jahre gewartet, bis die Tochter aus dem Hause ist
und er seiner Frau die Wahrheit sagen kann. Aber er hat
nur die halbe Wahrheit. Er glaubt, seine Frau habe ihn
mit seinem Freunde betrogen. Den hat sie indes nur
platonisch geliebt. Wirklich betrogen hat sie den Mann
mit einem Dritten, den sie aber gar nicht liebte. Und sie
läßt in der Stunde der Abrechnung und des Auseinander¬
gehens ihren Gatten bei der halben Wahrheit. Im
„Bacchusfest", dem dritten Stücke, erobert sich ein
Schriftsteller seine Frau zurück, indem er ihr von dem
religiösen Brauch der alten Grirchen erzählt, der allen
Liebenden eine Nacht frei gab, nach der die Paare
auseinander mußten und nie wieder von dem Erlebnis