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Schnißlers neuer
Einakter-Zyklus.
Eigene Drahtung.
Wien, 11. Oktober.
Im Burgtheater gelangte heute abend
Artur Schnitzlers neues Werk, der Einakter¬
Zyklus „Komödie der Worte“, zur Erst¬
saufführung. Es ist ein echter Schnitzler voll
messerscharfer Seelenanalyse, gemildert durch die
heitere Grazie des Verstehers aller Menschlichkeiten.
In allen drei Stücken geschieht eigentlich sehr
wenig. In der „Komödie der Worte“ steigen nur
Vergangenheiten auf und formen sich in schönen
oder häßlichen Worten zu letzten Aussprachen, zu
tragischen oder heiteren Erledigungen des Schicksals
zweier Menschen.
Das erste Stück nennt sich „Stunde des
Erkennens“. Es ist die Stunde, da der be¬
rühmte Professor „Dr. Rudolf Ormin Abschied
nimmt von seinen Freunden, dem Arzt Dr. Eckol
und seiner Frau Klara. Diese haben tags vorher
ihre Tochter verheiratet. Heute verabschiedet sich
der Freund, um nach Japan zu gehen und viel¬
leicht nicht mehr zurückzukommen. Er hat immer
Frau Klara geliebt, und heute sagt sie ihm, warum
sein Werben vergeblich war. Er wäre ihr Schick¬
sal geworden, und sie durfte ihren Mann nicht
verlassen, weil er sie nötig hatte. Sie war darum
keine Heilige, sie gab sich einem anderen, der nicht
ihr Schicksal werden konnte, und dem sie das einzige
Glück des Lebens war. Dr. Eckol aber, ihr Mann,
hält nun auch die Stunde des Erkennens für ge¬
kommen. Seit zehn Jahren ist er der Ueber¬
zeugung, daß seine Frau Ormins Geliebte war,
und jetzt schreitet er zur grausamen Demütigung
der Frau, von der er, ohne daß sie es ahnte, seit
Jahren in innerster Seele getrennt war. Viel¬
leicht hätte er ihr verziehen, wenn es ein anderer
als dieser immer von ihm beneidete Götterjüngling
gewesen wäre. Da gesteht Frau Klara, und schreit
ihm ins Gesicht, daß sie Ormins Geliebte war, wie¬
wohl es nicht wahr ist, und geht aus dem Hause.
Im zweiten, viel kräftigeren Stück, betitelt
„Große Szene“, ist es der Konflikt zwischen
Frau Sophie Herbot und ihrem berühmten
Gatten Konrad Herbot, der zur Komödie der
Worte führt und skeptisch befriedigend gelöst
wird. Sophie kehrt zu ihrem Mann zurück, den
sie verließ, da er sie mit einem jungen Mädchen,
das dazu noch Braut war, betrog. Er braucht
sie, und da ist sie gekommen. Es kam aber auch
der Bräutigam des verführten jungen Mädchens,
der nichts als die Wahrheit wissen will. In der
„großen Szene“ beschwindelt Herbot den jungen
Mann auf geniale Weise, so daß dieser von der
Unschuld seiner Braut überzeugt von dannen
geht. Frau Sophie, von so viel=Lüge angewiderr,
bleibt gleichwohl bei ihm. Er kann ohne sie nicht
spielen, und in zehn Minuten soll er als Hamlet
auf die Bühne.
Das dritte Stück endlich, das „Bacchus¬
fest“, spielt auf dem Bahnsteig in Salzburg.
Dort erwarten Agnes Staufner und ihr Ge¬
liebter Guido Wernig den heimkehrenden Gatten
der Frau Agnes, die nicht mehr mit ihrem
Gatten nach Hause fahren, sondern fortan mit
Wernig leben will. Aber Staufner macht diesen
Plan zunichte. Sie sagen ihm nichts, sondern
sagen einander höflich Ade, nachdem ihnen der
Dichter die Idee seines Stückes „Das Bacchus¬
fest“ dargelegt hatte. Dieses mythologische Fest
war bei irgendeiner verschollenen Nation ein reli¬
giöser Brauch. Männer, Frauen und Mädchen
verließen bei Sonnenuntergang das Haus und
begaben sich in den Hain, um dort unter den
schützenden Schleiern der Nacht das göttliche Fest
zu feiern. Für die Erlebnisse dieser Nacht gab
es keine Verantwortung, aber bei Sonnen¬
aufgang mußte man voneinander scheiden. Dies
alles ist natürlich symbolisch gemeint, aber da
sowohl Mann wie Frau so gehandelt haben, daß
sie diese Symbolik nötig haben, um sich zu ver¬
söhnen, so tun sie das. Dieses Stück ist sehr
lustig und von einem blitzenden Dialog getragen.
Alle drei Stücke, besonders aber die beiden
letzten, erregten bei der Generalprobe viel Ge¬
fallen.
Kollegen der beiden, einem Stiefkind
eine Augenblick ihrer Gnade Sonnens##
menden Lebenslauf sein soll. So gla
Schnitzlers „Komödie der Worte“.
spitzte Selbstverteidigung der Dame be
Von
deuten nicht mißverstehe) in der Unt
im übrigen durch ihre sonstige unt
Aewund
Dr. Anton Bettelheim.
jährune ansprechen zu können. Unheil
späte, unerwartete Rache des Gatten
Wien, 12. Oktober.
Nebenbuhler gar nicht nennt —, ihr
nug, der fälschlich als Ehebrecher ver
Nicht leicht läßt sich in dieser Zeit der Taten ein gefährlicherer
Titel für eine Schauspiel=Reihe ausdenken als der Sammelname,
freiwillig aus dieser Welt. Für die
täten dieser Frauenseele, die sich für sc
den Schnitzler für seine zur Uraufführung im Burgtheater
ten sich, selbst wenn sie so überlegen
bestimmten drei neuen Einakter gewählt hat: „Komödie der
Frau Bleibtreu wenig Gläubig
Worte“. Der Dichter faßte den General=Nenner seiner jüngsten
Tröstlich, nicht bloß als Gegenstück
Geschichten (der tragisch ausgedehnten „Stunde des Erken¬
die „große Szene“: ihr Held ist,
neus“, der parodistischen „Großen Szene“ und des tragi¬
Otto Brahms zu wiederholen, ein „Cäst
komischen „Bacchusfestes“) augenscheinlich ironisch: allemal geht
Einer der Virtuosen, die halb Kind, ha
es auf die Halbwahrheit hinaus, wie viel Heuchelei, bestenfalls wie
toren durch die Lande ziehen, die kom
starke Selbsttäuschung hinter den großen Worten von Liebe und
Hausfrieden stecke. Kranke Chen zeigt uns der Dramatiker in jedem
widerstandslos zu ihren Füßen sehen.
seiner Spiele, Dialektik der Untreue entwickeln seine Wortführer,
Mustergattin naturnotwendig betrüg
angefangen beim eigenen Ich, Komö
zu Anfang schwermütig; in der „Großen Szene“, dem weitaus
wirksamsten Mittelstück, grotesk ausgelassen; zuletzt in wilden Hohn
Augenblicken bewußt und unbewußt
ausbrechend. Jedes Blatt, das Schnitzler in seinem Ehezucht= oder
famie sich verstehen. Konrad Herbott
Streiche — er verführte die blutjunge
vielmehr Eheunzucht=Büchlein aufschlägt, führt uns in einen an¬
deren, dem Sittenmaler aus jahrzehntelangen Erfahrungen gleich
sohnes — seiner unübertrefflichen Fra
vertrauten Kreis: „Die Stunde des Erkennens“ zu Aerzten; „Große
nie mehr zu belügen. Im nächsten
Szene“ in die Bühnenwelt; „Das Bacchusfest“ zu Literatur=Zigeunern.
trogene Bräutigam und fragt unter
Am traurigsten geht es menschlich und, wie ich besorge, auch künst¬
Ehr und Gewissen, ob er der Geliebt
lerisch am fragwürdigsten unter den Medizinern, ziemlich unsicher
Die „große Szene“, die Herbott sein
unter den Leuten der Feder, am ergötzlichsten, mindestens für den Zu¬
Frechheit, mit der er ihm einen für
schauer, in der Schauspielerei zu.
dem Luderchen von Braut vorher abg
in allen Spielarten und Tönen seiner
Beginnen wir mit der „Stunde des Erkennens“. Doktor
widerspruchsvoll das klingt — zum
Eckhold hat nach achtzehnjähriger Ehe seine Tochter ausgeheiratet.
lebenswahr Gemutendsten, was man
Am Tag, nachdem sie die Hochzeitsreise angetreten, sagt er seiner
kann. Die Gattin, eine reine Natu
Frau, sie könne, ja, sie solle sein Haus verlassen. Zehn Jahre lang
Niedertracht geworden, will für imm
hat er es, des Kindes halber, schweigend getragen, daß sie ihm
dratlumpen sich trennen. Der Unb
einmal — er glaubt, mit einem seines Erachtens vom Geschick mit
Widerstand. Als er seine Frau, der
Unrecht verhätschelten Streber, dem Professor Ormin —, untreu
nungsszene gesagt, er wolle heute abe
geworden. In Wirklichkeit trifft auf Frau Clara das Wort des
spiesen, nicht in der Loge sieht, läßt er
zum Hängen verurteilten Raubmörders zu, der nach Auerbachs
das ganze Publikum mit dem Erzherz
mundmäßig berichtetem Schlußworte sagte: „Than han i's, aber
und ruht nicht, bis die Widerspenst
nöt so, wie der Herr Staatsanwalt g'moant hat“. Sie war in
Schon einmal, im „Freiwild“ hat
einer Ehestandskrise dem Gatten ein einziges Mal untreu. Doch
überlegener Laune vor Augen gestel
nicht mit dem Mann ihres Herzens, Ormin. Aus Angst, dieses
Konrad Herbott und seinen Leuten
Damengünstlings, ihres wahrhaft Geliebten halber, ihren Gatten,
den sie hochhält, zu hintergehen, gab sie sich einem unscheinbaren ! Virtuosenstück, dem glücklichste Beol