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ARGUS SUISSE ET INTERNATION4I.
DE LA PRESSE S. A.
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Extraft du Jeurnal:
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2.

Frankfurter Neues Theater.
Mit der „Komödianten"=Einakter=Reihe sind gute Geschifte zu
machen. Alle drei: „Varicté“ von Heinrich Mann, „Große
Szene“ von Arthur Schnitzler, „Veilchen“ von Molnar
führen hinter die Kulissen,drei Direktoren, halbe Künstlerinnen
und ganze Dilettantinnen und ein echter Primadonnerich bevölkern
die Bühne, Schnitzler, der es immer gutfmit den Frauen meint,
stellt die männlich: Primadonna, ###en Hofschauspicler. Der spielt,
von seiner Frau im Nebenzimmer beobachtet, vor einem Herrn,
dessen Braut er verführt hat, die große Szene, eine Szene mit
flutenden Tönen, eine Schwindel=Szene, die fast beängstigend
ist. Um rein oder doch schuldlos=schuldig zu scheinen, hat er sich
eine Rolle zurechtgelegt und gibt sie so echt (man denkt an Ham¬
lets Worte über die Schauspieler), daß er sie beinahe selber glaubt.
Die Stimme vibriert, die Züge verdüstern sich, Bewegung erstickt
die Stimme, großartige und hilflose Gesten unterstützen die
Heuchelei, er siegt nach Gesallen. (Siegt in der Gestalt des Herrn
Jensen, der ein Mcisterstück von schimmerndem Talmi lieferte.)
Die Frau, unheimlich belehrt, erlennend, daß in diesem Manne
das Leben zur Komödie ward und daß sie ein menschliches Ge¬
spenst liebt, will davon, aber sie will nur. Frl. Lach fand leicht
die gegensätzlichen Töne, die des Ernstes, der Angst, des Entsetzens,
die des Wissens um das große Kind an ihrer Seite, das nun doch
eben kein Kind ist, eher ein Ruhloser, dem die Lebenstragik selber
zur Rolle wird. Frl. Wilke, die Herren Nürnberger und Gro߬
mann, trugen Schnitzlers Skepsis und bürgerliche Anständigkeit in
das Stück, dem die Regie von Dr. v. Wild im Leisen wie in allen
Schwellungen behutsam nachgegangen war. Der Dichter konnte zu¬
frieden sein; über die Bühne wetterleuchtete die ganz Stunde
durch seine gelassene Ironie.
Einen außerordentlichen Spaß gab das „Veilchen“ her, und
dieser Spaß hieß Lydia Busch. Als Ilonka Sobri bewirbt sie sich
um eine Stellung im Chor. Sie ist von einer jämmerlichen Ein¬
falt, aber doch Weib genug, um alle Register zu ziehen. Sie ist die
Karikatur einer Künstlerin, schneidet Grimassen, verdreht die Augen,
hat die ungeschlachtetsten Bewegungen, fern aber doch von einem
Reiz durchronnen, sie singt zum Davonlaufen salsch, beträgt sich
so putzig=grotesk, so zermalmend naiv, daß alle Stühle wackeln.
Ihr Reinfall ist eine glänzende Talentprobe, die Komik ihrer Treu¬
herzigkeit überwältigt. Neben ihr und um sie leisteten die Damen
Gantzert, Wilke, Lach in ähnlichen Aufgaben hübsche Klein¬
arbeit, die Herren Lingen und Großmann machten bei
dem „Theater“ gut mit. Großmann, der es inszenierte, versteht sich
auf die Drücker. Er weiß, daß Ilonka keine Fesseln verträgt und
erlaubt ihr eine Riesen=Serie von Spitzbübereien.
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Im „Varieté“ hat Frl. Busch eine Zwillingsschwester der
vi¬
Schauspielerin Cavendisch aus der „Königlichen Familie“ zus 0.
spielen. Sie ist also „im Bilde“, hat aber noch etwas dazugelernt
und füllt eine gute Stunde mit Launen, Schreikrämpfen, Hilflosig¬! S.
keiten, Naivitäten, Verschlagenbeiten, Drolerien. Tränen und Ge=C
lächter, daß des Staunens kein Ende war. Mit Ehrfurcht erkannten ge#
wir wieder, wie reich Natur die Frauen ausgestattet, wie unüber¬
sehbar das Arsenal ihrer Requisiten ist und daß die Gerissenen
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unter ihnen immer wieder auf die Pfötchen fallen. Frl. Busch
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lönnte Kurse veranstalten zur Ausbildung der Frau in allen
Lebenslagen, ihre Absolventinnen werden in erster Linie bei ihrses
die große Kunst der Unbesangenheit studieren können. Und dann
U.
die Gabe, einen Mann nicht zu Wort kommen zu lassen, denn sie
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bringt es sicher auf dreihundert Silben pro Minute. Das Stücklein
gedieh auch sonst trocken und lustig zum Larieté. Dr. v Wild, der
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es bot, entfesselte einen Wirbel mit ruhenden Polen. (Nur dem
lärmenden Klavier zu Beginn sollte er eins aufs Maul geben.) iu
In den Wirbel gehörte noch die amüsante Hysterie von Frl. |###
Gantzert und ein wenig Herr Nürnberger, der hier zur
Komödie vergewaltigt wird. Die Heiren Lingen (in heiligem
d.
Ernst), Großmann (überle#Direktor, lebenskundige Direk¬
1
toren liegen ihm so sehr, daß m#n glauben könnte, er habe seinen

Beruf verfehlt) und Costa (man denke; ein verliebter und ängst¬
licher Warenhausbesitzer vis-à-vis dem raffinierten Luderchen Lydia
Busch) vertraten den seriösen Teil.
Der Abend wurde mit lautem Behagen ausgenommen. Er be¬ #
wies, wie die Kräfte einer Bühne für Stücke zweiter Garnitur so
ausgenützt werden lönnen, daß zum mindesten die darstellerische
Kunst auf ihre Rechnung kommt. Denk es, o Schauspielhaus!
= [Kleine Mitteilungen.1